Sternenmoor

Legende zum Thema Untergang

von  Sanchina

STERNENMOOR

Ein junger Bauer ging erschöpft nach Hause. Er kam aus der Stadt und war zufrieden, denn er hatte die beiden Ochsen verkauft und trug viele Münzen bei sich. Aber der Markttag war anstrengend gewesen. Er hatte die lange Reise schon am Tag zuvor angetreten, weil er mit den trägen Tieren nur langsam vorwärts kam. Doch dann hatte er sie schon vor dem Mittagsläuten verkauft und den Heimweg angetreten.

Gegen Abend erreichte er das Moor. Die Handelsstraße führte in einem weiten Bogen um das Moor, das noch nicht gefroren war. Es war schon bitterkalt im späten Herbst, es fror auch schon in den Nächten, aber es gab noch kein Eis. Der müde Bauer sehnte sich nach seiner warmen Stube, nach einem guten Essen, einer Kanne Bier dazu und seiner Frau. Da beschloss er, seinen Heimweg abzukürzen und durch das Moor zu gehen. Er fürchtete sich nicht, denn er kannte die Gefahren. Schließlich hatten seine Vorfahren dem Moor das Land abgerungen, von dem er lebte. Der Bauer kannte sich im Moor gut aus. Er griff sich eine Hand voll Eicheln und steckte sie achtlos in seinen Hosensack. Dann verließ er die sichere Straße und vertraute sich der tiefschwarzen, schweigenden Landschaft an. Die Wege, die durch das Moor führten, waren an den Sträuchern zu erkennen, die sie säumten. Die Nacht war mondhell und sternenklar. Zuversichtlich stapfte der Bauer in das ihm vertraute Moor, seinem Dorf entgegen, wo ihn Behaglichkeit erwartete.

Das nächtliche Moor glitzerte und gluckste. Die Sterne spiegelten sich in den Pfützen, in den feuchten Blättern und im hellen Raureif, der schon bald die Landschaft überzog. Ein geheimnisvolles Blinkern und Blitzen, hier hell, dort rötlich, dann violett aufleuchtend, schien den Weg zu weisen. Der Bauer achtete nicht darauf. Er schaute auf die Sträucher. In ihrer Nähe spürte er den Weg fest unter seinen Füßen. Der Hunger trieb ihn, sich etwas schneller zu bewegen. Sein Magen knurrte.

Ein Kauz erschreckte ihn, indem er beinahe seinen Kopf streifte. Sein rechter Fuß fand keinen Tritt mehr. Der Bauer hielt kurz inne; auf dem linken Fuß stand er noch sicher. Das Moor schien ihm recht freundlich zuzuzwinkern, doch der Bauer hatte jetzt keinen Sinn für die Schönheit der Natur. Wo waren die Sträucher? Zuversichtlich wiesen sie ihm seinen Weg. Und dann fand auch der rechte Fuß wieder festen Halt, während der Bauer nach den feuchten Ästen griff.

Soeben war da noch Blattwerk gewesen! Plötzlich griff die Hand ins Leere. Eine Lücke tat sich zwischen den Büschen auf. Nur einen kleinen Schritt weiter war der nächste Strauch. Hier musste auch der Weg sein. Der Bauer setzte zu einem Sprung an. Seine Hände fassten Zweige, doch seine Füße sanken ein bis zu den Wurzeln des Strauches, den er erwischt hatte.

Da war kein Weg mehr, nur noch Wurzelwerk. Wo war der Weg?

„Nur keine Angst!“ sprach der Bauer zu sich selbst und sah sich um. Und da erkannte er mit jähem Entsetzen, dass er von Moorgeistern umzingelt war. Es war eine ganze Schar, die ihn – durchaus freundlich – mit Tausenden von Lichtern lockte. Und seine Füße steckten knöcheltief in dem schwarzbraunen Wasser, fanden Halt nur auf den Wurzeln. Der Bauer hob ein Knie an. Mit einem schmatzenden Laut löste sich sein Stiefel aus dem sumpfigen Grund.

„Nur keine Angst!“ sagte sich der Bauer noch einmal. Soeben war da doch noch der Weg gewesen! Er musste doch weiter gehen. Dort, wo sich die Sträucher reihten. Dort musste der Weg sein.  Der Bauer zog sich an den Ästen vorwärts. Seine Füße tasteten den nassen Grund. Da war kein Weg.

Da beschloss der Bauer, dorthin zurück zu kehren, wo zuletzt der Weg gewesen war. Er zog seinen schweren Leib an den dünnen Ästen, die ihn hielten. So gelangte er dann wieder an die Lücke zwischen den Büschen, wo er zum Sprung angesetzt hatte.

Wieder setzte er zum Sprung an. Er war sich ganz sicher, dass er genau an dieser Stelle vom Weg abgekommen war. Und tatsächlich: er landete mit seinen beiden Füßen auf festem Grund! Erleichtert blieb er stehen. Der Mond beleuchtete das Moor. Die Sträucher setzten sich in einer fast geraden Linie dorthin fort, wo sich ihm der Boden unter seinen Füßen entzogen hatte. Das konnte gar nicht sein! Dort musste der Weg doch weiter gehen, an der Buschreihe entlang. Es gab keine andere Möglichkeit. Der Bauer überlegte, es noch einmal zu versuchen. Oder sollte er zurückkehren zur Handelsstraße?

Die Lichter blinkten und die Geister hielten still. Und dann geschah das Ausgeschlossene: der feste Boden unter des Bauern Füßen verwandelte sich in eine weiche Masse, gab nach und fing zu saugen an.

„Zu Hilfe!“ schrie der Bauer laut, was vollkommen sinnlos war, denn er war allein. Entsetzt gewahrte er, dass das Moor an seinen Beinen empor kroch. Da war kein Halt mehr unter seinen Füßen, nicht einmal Wurzelwerk.

Der Bauer klammerte sich an die dünnen Äste. Deutlich vernahm er jetzt wieder das Wispern der Moorgeister. Es schien sich um Geistlein zu handeln, denn sie kicherten wie Kinder. Sie trieben einen üblen Scherz mit ihm!

„Ihr Gören!“ rief der Bauer wütend, „lasst mich sofort los!“

Das Moor würdigte ihn keiner Antwort. Es saugte röhrend und sein Schlund war weit geöffnet. Je tiefer der Bauer sank, umso mehr bogen sich die Zweige, als ob sie ihn geleiten wollten in sein nasses, kaltes Grab. Die biegsamen Zweige hielten noch, als des Bauern Kopf versank. Zuletzt ragten seine Arme aus der Masse und seine Fäuste umklammerten die Zweige. Im Tod ließ er sie nicht los, als ob noch immer Hoffnung in ihm gewesen wäre.

Vierhundert Jahre später wuchs an der Stelle, wo der Bauer versunken war, eine prächtige Eiche. Unweit davon war ein Dorf entstanden. Die Menschen hatten dem Moor Landstrich um Landstrich abgerungen.

Der Baum wurde „Teufelseiche“ genannt. Es hieß, unter seinen Wurzeln begrabe der Teufel seine Opfer.  Es hieß auch, ein Schatz liege unter der Teufelseiche. Doch die Dörfler wagten nie, danach zu graben.

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Kommentare zu diesem Text

Alegra (41)
(17.12.10)
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 Sanchina meinte dazu am 17.12.10:
Genau! Ich stell das als Legende ein! Wieso bin ich da nicht selbst drauf gekommen?
gruß, Barbara
steyk (57)
(17.12.10)
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 Sanchina antwortete darauf am 17.12.10:
Danke! Lieben Gruß zurück, Barbara
SigrunAl-Badri (52)
(17.12.10)
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 Sanchina schrieb daraufhin am 17.12.10:
Danke, Sigrun, das Moor in einer klaren Nacht ist wirklich faszinierend schön! Gruß, Barbara

 EkkehartMittelberg (17.12.10)
Ich kenne dich noch nicht lange, Barbara, halte dich aber instinktiv für sehr selbstkritisch. Deswegen sage ich dir meine ehrliche Meinung, ohne dir schmeicheln zu wollen: Deine Erzählung (Legende weiß ich nicht oder es gibt Teufelslegenden) erreicht als Prosatext das Niveau des Gedichts von der Droste: "Der Knabe im Moor" .
Ich wünsche dir einen wohlig geborgenen Abend
Ekki

 Sanchina äußerte darauf am 17.12.10:
Danke, Ekki, jetzt machst du mich ganz sprachlos!
Gruß, Barbara
superweib (56)
(29.04.11)
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 Sanchina ergänzte dazu am 04.05.11:
Danke! Danke! Danke!
ues (34)
(09.05.11)
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 Dieter_Rotmund (31.07.23, 09:59)
Etwas arg langatmig erzählt, den Text würde ich hier und da verdichten.
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