Die Schändung
Text zum Thema Tod
von KayGanahl
Nicht nur an den Grabsteinen hatte man sich vergangen. Der beschauliche Friedhof am Stadtrand beim Kloster war (wie von einer rasenden Horde) verwüstet worden, vieles war zerstört. Es dämmerte schon. Der morgendliche Frühlingsregen setzte ein. Eine graue Gestalt verschwand sehr schnell hinter dem Haus des Friedhofsgärtners. Jäckel war übel vom Anblick, der sich ihm bot. Es war kaum auszuhalten. Natürlich hätte er gleich die Polizei rufen sollen, aber er war dazu außerstande. In ihm wütete jetzt sogar noch ein Orkan der Wut. Und es kam ihm so vor, als würde er während des Wütens dieses Orkans langsam in der Erde versinken. Auch das Grab seiner Mutter Luiza lag auf diesem Friedhof. Der zwanzigjährige Jäckel sah es in etwa 10 Metern Entfernung immerhin noch halbwegs intakt vor sich, aber es sprach nicht mehr zu ihm. Als ihn die Wut wieder losgelassen hatte, begann er zu weinen, - sein leises Weinen und die düsteren Gedanken, die ihn durchdrangen, erstickten die Trauer um seine Mutter, die, gerade vierzig Jahre alt, von einem in der Region Callala grassierenden Fieber hinweg gerafft worden war.
Callala war von da an nicht mehr seine Heimat!
Und jetzt war diese Verwüstungsaktion geschehen. Jäckel konnte es nicht fassen: Derartiges hätte er von seinen Kumpels nicht erwartet! Ihre Art, mit dem Tod und den Toten umzugehen, hatte ihm ja noch nie gefallen, aber das hier war katastrophal. Das hätte er ihnen nicht zugetraut, es überstieg alle seine Befürchtungen!
In der morgendlichen Kühle fing Jäckel am Körper etwas zu zittern an. Er musste sich jetzt erst einmal setzen. Auf die Randsteine der Grabstelle seiner Mutter. Ein paar Bodendecker riss er, sich umwendend, aus der Grabeserde. Er warf sie wütend weg. Wo waren die Verantwortlichen, die auf dem Friedhof wieder alles in Ordnung bringen konnten? Er schrie blöde herum, auch nach Hilfe, entsann sich dann der grauen Gestalt, dieses Rätsels, das ihm vorhin vor die Augen gekommen war. Möglicherweise war das einer der Angestellten des Friedhofs, die offenbar denen, die sich auf dem Friedhof ausgetobt hatten, nichts Ausreichendes entgegen gesetzt hatten. War die graue Gestalt ein Überlebender?
Jäckel , der immer noch auf den Randsteinen saß und sehr nervös wurde, hielt Ausschau nach der Gestalt, die wie ein kleiner Mönch ausgesehen hatte, sah aber keinen Menschen auf dem Friedhof. Er sprang von den Steinen auf, rannte zu dem Gartenhaus der Friedhofsverwaltung rüber, dessen Vordertür er mit Gewalt auftrat. Niemand befand sich in dem Gartenhaus. Zu Jäckels Erstaunen war dem ersten Augenschein nach alles unbeschadet geblieben. Hier war offensichtlich keiner von seinen Kumpels drin gewesen. Neugierig war er, sehr neugierig.
"Wenigstens ist das Haus verschont geblieben," stellte Jäckel laut fest. Das auffällig laute Ticken einer Wanduhr irritierte Jäckel kurz. Mehrere Stühle befanden sich im Raum. Die zwei kleinen Fenster waren verhangen. Er setzte sich auf einen Stuhl, der schräg vor dem von Papier übersäten Schreibtisch stand. Ein alter Kanonenofen im Raum erzeugte eine Wärme, die Jäckel zum Schwitzen brachte. Seinen Parka zog er deshalb noch schnell im Sitzen aus. Eilig suchte er auf dem Schreibtisch nach Hinweisen, die ihm weiterhelfen konnten in dieser Zeit der Katastrophe, die er gegenwärtig allein durchstehen musste, denn von Hilfe war weit und breit nichts zu sehen. Warum ging er eigentlich nicht einfach fort von hier? Gute Frage, aber Jäckel wollte wissen, was los war.
„Hallo, keiner da?“ rief er, sich in den Raum umdrehend, aus.
„Hier bin ich aber doch schon, Herr …!“ vernahm Jäckel. Er staunte. Also doch!
„Wer sind Sie?“
„Ein Mensch“, antwortete die graue Gestalt.
„Ich heiße Jäckel, guten Tag!“ gab Jäckel dem vor seinen Augen langsam den Raum Betretenden zu hören.
„Ich … heiße …!“ sagte die graue Gestalt - dann war sie bei Jäckel. Die graue Gestalt starrte ihn düster von der Seite an. Sie war bis auf zwei, drei Meter an Jäckel heran gerückt und roch intensiv nach einer bekannten Chemikalie, die zu Hygienezwecken benutzt wurde.
„Ist ja interessant,“ sagte sie, die Gestalt, vielmehr der Mönch - jedenfalls trug er eine Mönchskutte – lapidar. Er schnäuzte in ein Taschentuch, setzte sich danach auf den eher schlecht gesäuberten Estrich-Boden und lächelte wie unter Drogen gesetzt vor sich hin.
„Ist es, ist es!“ kam es von Jäckel. Er wandte sich dem Mönch zu.
„Was ist geschehen?“ fragte Jäckel den Mönch, der immer noch lächelte. Lächelte. Lächelte –
„Hmm … frag ich mich auch …,“ so der Mönch. Er spielte mit einem roten Bällchen, das er unter seiner Kutte hervor geholt hatte.
„Wie? Hier muss eine Horde Irrer gewütet haben!“
„Ja, denke ich auch,“ antwortete der Mönch, immer noch lächelnd, gleichgültig und verdrückte sich in eine Ecke, wo er nach etwas suchte.
„Ist die Polizei alarmiert?“ fragte Jäckel mit Nachdruck. Er trat näher zu dem Mönch hin, stand in seinem Rücken.
„Ja.“
„Sie haben sie alarmiert?“
„Ja!“
Jäckel ging danach mehrere Stunden auf dem Friedhof hin und her, um sich alles genauer anzusehen. Er war schockiert. Die Mittagszeit brach an, weit und breit war kein Polizeifahrzeug zu sehen. Es blieb Jäckel nur das Kopfschütteln - schließlich begriff Jäckel noch, dass mit dem Mönch etwas nicht stimmte, denn gegenüber Jäckel zeigte er nur Desinteresse am Friedhof. Das fand Jäckel unverständlich. Dieser Mönch hatte hier bestimmt keine Zuständigkeit! Also: Was machte ein Mönch hier, der sich so verhielt? Absurd.
Und nun, Jäckel war seines Aufenthalts hier überdrüssig, verließ er mit langen Schritten, während in ihm wieder der Orkan der Wut aufkam, den geschändeten Friedhof, wobei er den einen oder anderen Seitenblick auf die Details seiner Umgebung nicht unterlassen konnte.
„Ich fasse es nicht! … die Polizei … wo bleibt sie denn?“
Es war so, dass er hier, auf dem geschändeten Friedhof, tatsächlich nicht viel tun konnte, denn wenn erst einmal die Polizei gekommen sein würde, dann würde er nur noch der Zeuge sein, sonst nichts, was ihm allerdings momentan zu wenig war, um vor Ort zu bleiben, weshalb er nunmehr dem Mönch, der wieder ganz überraschend an seiner Seite stand, sagte: „Bleiben Sie mal hier, ich haue ab, denn mir geht das alles mächtig auf die Nerven!“
Der Mönch nickte bloß. Gleich darauf zog er einen Fotoapparat unter seiner Kutte hervor. Eilfertig bediente er ihn. Jäckel wurde zum Objekt der Fotokünste des Mönchs, der sich ihm noch nicht einmal namentlich vorgestellt hatte.
Ende
Kay Ganahl
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All rights reserved.
Callala war von da an nicht mehr seine Heimat!
Und jetzt war diese Verwüstungsaktion geschehen. Jäckel konnte es nicht fassen: Derartiges hätte er von seinen Kumpels nicht erwartet! Ihre Art, mit dem Tod und den Toten umzugehen, hatte ihm ja noch nie gefallen, aber das hier war katastrophal. Das hätte er ihnen nicht zugetraut, es überstieg alle seine Befürchtungen!
In der morgendlichen Kühle fing Jäckel am Körper etwas zu zittern an. Er musste sich jetzt erst einmal setzen. Auf die Randsteine der Grabstelle seiner Mutter. Ein paar Bodendecker riss er, sich umwendend, aus der Grabeserde. Er warf sie wütend weg. Wo waren die Verantwortlichen, die auf dem Friedhof wieder alles in Ordnung bringen konnten? Er schrie blöde herum, auch nach Hilfe, entsann sich dann der grauen Gestalt, dieses Rätsels, das ihm vorhin vor die Augen gekommen war. Möglicherweise war das einer der Angestellten des Friedhofs, die offenbar denen, die sich auf dem Friedhof ausgetobt hatten, nichts Ausreichendes entgegen gesetzt hatten. War die graue Gestalt ein Überlebender?
Jäckel , der immer noch auf den Randsteinen saß und sehr nervös wurde, hielt Ausschau nach der Gestalt, die wie ein kleiner Mönch ausgesehen hatte, sah aber keinen Menschen auf dem Friedhof. Er sprang von den Steinen auf, rannte zu dem Gartenhaus der Friedhofsverwaltung rüber, dessen Vordertür er mit Gewalt auftrat. Niemand befand sich in dem Gartenhaus. Zu Jäckels Erstaunen war dem ersten Augenschein nach alles unbeschadet geblieben. Hier war offensichtlich keiner von seinen Kumpels drin gewesen. Neugierig war er, sehr neugierig.
"Wenigstens ist das Haus verschont geblieben," stellte Jäckel laut fest. Das auffällig laute Ticken einer Wanduhr irritierte Jäckel kurz. Mehrere Stühle befanden sich im Raum. Die zwei kleinen Fenster waren verhangen. Er setzte sich auf einen Stuhl, der schräg vor dem von Papier übersäten Schreibtisch stand. Ein alter Kanonenofen im Raum erzeugte eine Wärme, die Jäckel zum Schwitzen brachte. Seinen Parka zog er deshalb noch schnell im Sitzen aus. Eilig suchte er auf dem Schreibtisch nach Hinweisen, die ihm weiterhelfen konnten in dieser Zeit der Katastrophe, die er gegenwärtig allein durchstehen musste, denn von Hilfe war weit und breit nichts zu sehen. Warum ging er eigentlich nicht einfach fort von hier? Gute Frage, aber Jäckel wollte wissen, was los war.
„Hallo, keiner da?“ rief er, sich in den Raum umdrehend, aus.
„Hier bin ich aber doch schon, Herr …!“ vernahm Jäckel. Er staunte. Also doch!
„Wer sind Sie?“
„Ein Mensch“, antwortete die graue Gestalt.
„Ich heiße Jäckel, guten Tag!“ gab Jäckel dem vor seinen Augen langsam den Raum Betretenden zu hören.
„Ich … heiße …!“ sagte die graue Gestalt - dann war sie bei Jäckel. Die graue Gestalt starrte ihn düster von der Seite an. Sie war bis auf zwei, drei Meter an Jäckel heran gerückt und roch intensiv nach einer bekannten Chemikalie, die zu Hygienezwecken benutzt wurde.
„Ist ja interessant,“ sagte sie, die Gestalt, vielmehr der Mönch - jedenfalls trug er eine Mönchskutte – lapidar. Er schnäuzte in ein Taschentuch, setzte sich danach auf den eher schlecht gesäuberten Estrich-Boden und lächelte wie unter Drogen gesetzt vor sich hin.
„Ist es, ist es!“ kam es von Jäckel. Er wandte sich dem Mönch zu.
„Was ist geschehen?“ fragte Jäckel den Mönch, der immer noch lächelte. Lächelte. Lächelte –
„Hmm … frag ich mich auch …,“ so der Mönch. Er spielte mit einem roten Bällchen, das er unter seiner Kutte hervor geholt hatte.
„Wie? Hier muss eine Horde Irrer gewütet haben!“
„Ja, denke ich auch,“ antwortete der Mönch, immer noch lächelnd, gleichgültig und verdrückte sich in eine Ecke, wo er nach etwas suchte.
„Ist die Polizei alarmiert?“ fragte Jäckel mit Nachdruck. Er trat näher zu dem Mönch hin, stand in seinem Rücken.
„Ja.“
„Sie haben sie alarmiert?“
„Ja!“
Jäckel ging danach mehrere Stunden auf dem Friedhof hin und her, um sich alles genauer anzusehen. Er war schockiert. Die Mittagszeit brach an, weit und breit war kein Polizeifahrzeug zu sehen. Es blieb Jäckel nur das Kopfschütteln - schließlich begriff Jäckel noch, dass mit dem Mönch etwas nicht stimmte, denn gegenüber Jäckel zeigte er nur Desinteresse am Friedhof. Das fand Jäckel unverständlich. Dieser Mönch hatte hier bestimmt keine Zuständigkeit! Also: Was machte ein Mönch hier, der sich so verhielt? Absurd.
Und nun, Jäckel war seines Aufenthalts hier überdrüssig, verließ er mit langen Schritten, während in ihm wieder der Orkan der Wut aufkam, den geschändeten Friedhof, wobei er den einen oder anderen Seitenblick auf die Details seiner Umgebung nicht unterlassen konnte.
„Ich fasse es nicht! … die Polizei … wo bleibt sie denn?“
Es war so, dass er hier, auf dem geschändeten Friedhof, tatsächlich nicht viel tun konnte, denn wenn erst einmal die Polizei gekommen sein würde, dann würde er nur noch der Zeuge sein, sonst nichts, was ihm allerdings momentan zu wenig war, um vor Ort zu bleiben, weshalb er nunmehr dem Mönch, der wieder ganz überraschend an seiner Seite stand, sagte: „Bleiben Sie mal hier, ich haue ab, denn mir geht das alles mächtig auf die Nerven!“
Der Mönch nickte bloß. Gleich darauf zog er einen Fotoapparat unter seiner Kutte hervor. Eilfertig bediente er ihn. Jäckel wurde zum Objekt der Fotokünste des Mönchs, der sich ihm noch nicht einmal namentlich vorgestellt hatte.
Ende
Kay Ganahl
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