Damals war er ein Großer
Erzählung zum Thema Aggression
von KayGanahl
Der eher unscheinbare Hans-Gerd Kracht-Billigstens war mittlerweile nüchtern. Die leeren Flaschen lagen im Zimmer herum. Er hatte sich einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf geschüttet. Das Zimmerfenster war weit geöffnet, damit frische Luft eindringen konnte. Dieser Kracht hatte vor ein paar Jahrzehnten einmal einen anderen Namen getragen, dessen er sich zwar nicht schämte, aber der gefährlich geworden war. Er änderte ihn rechtzeitig!
Mit einer Flasche Limonade in der Hand saß er, wirklich nüchtern und ganz klaren Kopfes, im Sessel und ergab sich seinen Erinnerungen - und er erinnerte sich jetzt gewissermaßen zum Teufel, fiel wie ein Stein mit seiner ganzen Existenz herunter, - hieß ja immer noch mit Nachnamen Bobel. Dieser Nachname war ihm sehr teuer. Mit diesem Nachnamen wollte er sich heute, im Sessel sich erinnernd, ganz identifizieren, war er doch ein Mann wie ein Baumstamm! Ein Echter, Unbeugsamer, ein Teutone. Immer gewesen - und heute immer noch! Mit seinen Leistungen konnte er an der Front der Leistungsfähigkeit, an der er sich ein paar Jahre lang befunden hatte, zufrieden sein. Er entschied und handelte hocheffizient, war ein Mann der Tat - war sich selbst ein Objekt der Bewunderung.
Mithin war er voll des Pflichtgefühls, so dass er das Leid der Menschen - außer das seiner eigenen Familie - nicht mehr wahrnehmen konnte. Die Teutonen waren ihm natürlich auch sehr wichtig! Die verschiedenen Erschießungen ergaben sich allerdings nicht so aus seinem Pflichterfüllungseifer oder aus der Notwendigkeit kriegerischer Planerfüllung, aus Strategie, Taktik oder "Vernichtung, weil das der Feind in Tarnkleidung ist", sondern aus der Ideologie heraus, der Bobel mit einer Verinnerlichung anhing, ja angehörte, die beispiellos war. Das war bei ihm wie bei keinem von seinen Untergeordneten, denen er als Vorgesetzter positives Vorbild zu sein hatte. Diese Erschießungen mussten, davon war er sehr überzeugt, planmäßig und absolut zuverlässig durchgeführt werden. An der Front die Eliminierung mit vorheriger Aussonderung durchzuführen, das gebot die höchste Eile und gleichzeitig die amtliche Maßgabe der höchstmöglichen Effizienz. Kühl, rational, extrem gewissenhaft, mit der Planung immer im vorgeschriebenen Zeitrahmen, war das ihm die höchste Pflicht und Ehre.
Die Erschießungen als amtliche Maßnahmen wurden etwas nachlässig verborgen. Weil Hilfstruppen von Hilfsvölkern herangezogen wurden, hatte er durchaus genügend durchführende Einheiten in den Wäldern, weshalb er nicht allzu oft persönlich in den Wäldern erscheinen musste, so dass der Ekel in ihm nur selten aufstieg. Die Zahl der jammervollen Anblicke war gering - auf das Erträgliche reduziert.
Als hohe Chargen zwecks Inspektion an der Front erschienen, gab er sich ganz als Kommandeur, als eine Persönlichkeit, auf die man sich vollauf und ganz zweifellos hundertprozentig verlassen konnte. Vorbild. Kamerad. Menschenführer. Bestens geeignet für die hohe Aufgabe der Organisierung der Vernichtung. Dem alles daran gelegen war, das zu erreichen, wofür er hier eingesetzt wurde.
Leider gab es den einen oder anderen Bericht über Grausamkeiten an der Front. Sie widersprachen dem Grundsatz der höchstmöglichen Effizienz in der Durchführung der Maßnahmen. Dass er für diese Grausamkeiten, so es sie denn wirklich gab, nicht verantwortlich war, verstand sich für ihn von selbst. Für Gräuel, Misshandlungen, Vergewaltigungen konnte er gar nicht verantwortlich sein! Aber die Geschichte, das wusste er, würde auch über ihn richten, schließlich war er ganz hoch in der Hierarchie angesiedelt. Wie war das, was er tat, zu verantworten? Trug er persönlich Schuld an dem, was ihm befohlen wurde und er in der Hierarchie weitergegeben hatte? Nun ja, wir wissen, dass er tatsächlich während all dieser Ereignisse keine Schuld an sich erkennen konnte. Er war reinen Gewissens tätig. Ließ nichts auf sich kommen, log sogar bisweilen zu seiner Ehrenrettung, wenn die Rede auf Unangenehmes kam, für was er als Bobel nun einmal verantwortlich gewesen war. Er war ein Mann. Für seine Taten starb er am Strang.
Sein Sohn wollte später von dieser Karriere, dieser Vater-Karriere im Schatten eines allmächtigen Oberherrn, nichts wissen. Seinerseits war er davon überzeugt, eine verflucht dämonische Zeit erlebt zu haben. Zur Vergesslichkeit der Menschen wusste er sich zu bekennen, zu seinem Vater weniger, doch verneinte er ihn auch nicht oft.
Das Vergessen breitet sich über all die Schrecklichkeiten jener Zeit aus. Das ist falsch. Nur das Sich-Erinnern ist richtig, es muss immer wieder aktualisiert werden. Es betrifft alle historischen Details bezüglich der Personen und den Zusammenhängen, in denen sie tätig waren. Nichts ist in der Geschichte so frei, dass es vergessen werden dürfte.
Bobel war ein Mörder.
Kay Ganahl
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All rights reserved.
Mit einer Flasche Limonade in der Hand saß er, wirklich nüchtern und ganz klaren Kopfes, im Sessel und ergab sich seinen Erinnerungen - und er erinnerte sich jetzt gewissermaßen zum Teufel, fiel wie ein Stein mit seiner ganzen Existenz herunter, - hieß ja immer noch mit Nachnamen Bobel. Dieser Nachname war ihm sehr teuer. Mit diesem Nachnamen wollte er sich heute, im Sessel sich erinnernd, ganz identifizieren, war er doch ein Mann wie ein Baumstamm! Ein Echter, Unbeugsamer, ein Teutone. Immer gewesen - und heute immer noch! Mit seinen Leistungen konnte er an der Front der Leistungsfähigkeit, an der er sich ein paar Jahre lang befunden hatte, zufrieden sein. Er entschied und handelte hocheffizient, war ein Mann der Tat - war sich selbst ein Objekt der Bewunderung.
Mithin war er voll des Pflichtgefühls, so dass er das Leid der Menschen - außer das seiner eigenen Familie - nicht mehr wahrnehmen konnte. Die Teutonen waren ihm natürlich auch sehr wichtig! Die verschiedenen Erschießungen ergaben sich allerdings nicht so aus seinem Pflichterfüllungseifer oder aus der Notwendigkeit kriegerischer Planerfüllung, aus Strategie, Taktik oder "Vernichtung, weil das der Feind in Tarnkleidung ist", sondern aus der Ideologie heraus, der Bobel mit einer Verinnerlichung anhing, ja angehörte, die beispiellos war. Das war bei ihm wie bei keinem von seinen Untergeordneten, denen er als Vorgesetzter positives Vorbild zu sein hatte. Diese Erschießungen mussten, davon war er sehr überzeugt, planmäßig und absolut zuverlässig durchgeführt werden. An der Front die Eliminierung mit vorheriger Aussonderung durchzuführen, das gebot die höchste Eile und gleichzeitig die amtliche Maßgabe der höchstmöglichen Effizienz. Kühl, rational, extrem gewissenhaft, mit der Planung immer im vorgeschriebenen Zeitrahmen, war das ihm die höchste Pflicht und Ehre.
Die Erschießungen als amtliche Maßnahmen wurden etwas nachlässig verborgen. Weil Hilfstruppen von Hilfsvölkern herangezogen wurden, hatte er durchaus genügend durchführende Einheiten in den Wäldern, weshalb er nicht allzu oft persönlich in den Wäldern erscheinen musste, so dass der Ekel in ihm nur selten aufstieg. Die Zahl der jammervollen Anblicke war gering - auf das Erträgliche reduziert.
Als hohe Chargen zwecks Inspektion an der Front erschienen, gab er sich ganz als Kommandeur, als eine Persönlichkeit, auf die man sich vollauf und ganz zweifellos hundertprozentig verlassen konnte. Vorbild. Kamerad. Menschenführer. Bestens geeignet für die hohe Aufgabe der Organisierung der Vernichtung. Dem alles daran gelegen war, das zu erreichen, wofür er hier eingesetzt wurde.
Leider gab es den einen oder anderen Bericht über Grausamkeiten an der Front. Sie widersprachen dem Grundsatz der höchstmöglichen Effizienz in der Durchführung der Maßnahmen. Dass er für diese Grausamkeiten, so es sie denn wirklich gab, nicht verantwortlich war, verstand sich für ihn von selbst. Für Gräuel, Misshandlungen, Vergewaltigungen konnte er gar nicht verantwortlich sein! Aber die Geschichte, das wusste er, würde auch über ihn richten, schließlich war er ganz hoch in der Hierarchie angesiedelt. Wie war das, was er tat, zu verantworten? Trug er persönlich Schuld an dem, was ihm befohlen wurde und er in der Hierarchie weitergegeben hatte? Nun ja, wir wissen, dass er tatsächlich während all dieser Ereignisse keine Schuld an sich erkennen konnte. Er war reinen Gewissens tätig. Ließ nichts auf sich kommen, log sogar bisweilen zu seiner Ehrenrettung, wenn die Rede auf Unangenehmes kam, für was er als Bobel nun einmal verantwortlich gewesen war. Er war ein Mann. Für seine Taten starb er am Strang.
Sein Sohn wollte später von dieser Karriere, dieser Vater-Karriere im Schatten eines allmächtigen Oberherrn, nichts wissen. Seinerseits war er davon überzeugt, eine verflucht dämonische Zeit erlebt zu haben. Zur Vergesslichkeit der Menschen wusste er sich zu bekennen, zu seinem Vater weniger, doch verneinte er ihn auch nicht oft.
Das Vergessen breitet sich über all die Schrecklichkeiten jener Zeit aus. Das ist falsch. Nur das Sich-Erinnern ist richtig, es muss immer wieder aktualisiert werden. Es betrifft alle historischen Details bezüglich der Personen und den Zusammenhängen, in denen sie tätig waren. Nichts ist in der Geschichte so frei, dass es vergessen werden dürfte.
Bobel war ein Mörder.
Kay Ganahl
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