Intensivstation: Medizinisches Stenogramm und Gefühle...

Erzählung zum Thema Familie

von  Fuchsiberlin

1. Medizinisches Stenogramm, mit dem Verzicht auf Ärztelatein:

Freitag, 21.01.:
Krankenhaus-Einweisung durch die Hausärztin.
Diagnose: Vier gebrochene Rippen, als Folge eines Sturzes im Bus vor einigen Tagen. Du gingst, so wie immer, erst später zum Arzt.
Geistig warst du klar.

Samstag, 22.01.:
Du isst und trinkst zu wenig im Krankenhaus,
und bist geistig etwas verwirrt.

Montag, 24.01.
Nach dem du einige Male auf der Station stürztest,
wirst du auf die Intensivstation verlegt.
Erste Diagnose: Herzrythmusstörungen.

Dienstag, 25.01.:
Du hast wohl als Folge des vierfachen Rippenbruchs
eine Lungenentzündung bekommen.
Du erhälst künstlich alle notwendigen Nährstoffe.
Zwei kleine Schläuche in den Nasenlöchern regeln die Sauerstoffzufuhr.
Du wurdest mit deinen Armen/Händen ans Bett fixiert,
weil du "flüchten" wolltest.
Die Sorge der Ärzte, dass du dir die Schläuche rausreißen könntest,
veranlasste die Ärzte zu dieser Fixierung.
Du bist sehr verwirrt, die Ärzte bezeichnen es als sog. "Durchgangsverwirrtheit", auf dieser Station.

Mittwoch, 26.01.:
Dein Zustand hat sich nicht verbessert, Du erhälst Antibiotika gegen die Lungenentzündung, die Schmerzmittel wirken auf dich schläfrig. Du bist nicht wirklich ansprechbar.

Donnerstag, 27.01.:
Dein Herzschlag verbesserte sich,
doch das größte Problem ist jetzt die Lungenentzündung.
Alle vier bis fünf Stunden wird dir Schleim abgesaugt,
mal gelingt dies gut, mal nicht so gut,
sagen die Ärzte.

Freitag, 28.01.:
Nun erhieltest du eine Atemmaske,
die dir verstärkt Sauerstoff zuführen soll.
Du kannst und tust aufgrund der schmerzhaften Rippenbrüche den Schleim nicht abhusten

Ein Arzt meint, wenn es dazu kommt, dass du künstlich beatmet werden mußt, dass sich dann die Frage stellt, ob hier nicht eine Grenze überschritten wird, denn du würdest wohl nie mehr von dieser Beatmungsmaschine loskommen. Lebensverlängerung danke einer Maschine. Man bereitet mich vor...,auf eine eventuelle Entscheidung.

Samstag, 29.01.:
Dein Zustand ist unverändert. Erkennst du mich, deinen Sohn? Ich weiß es nicht.
Zweifel...
Es belastet mich, überfordert mich, du wirkst wie ein hilfloses Kind, und überall diese Schläuche. Ich habe große Angst.

Sonntag, 30.01.:
Eine starke Migräne setzt mir ein Stopschild, ich kann dich nicht besuchen, und ein schlechtes Gewissen plagt mich. Ich rief auf der Station an. Dein Zustand ist unverändert.

Montag 31.01.:
Du wurdest an einer neuen Atemmakse angeschlossen, der Druck des Sauerstoffs ist nun noch größer. Ein Arzt meinte, du wärst sonst an diesem Tag gestorben.
Schockzustand in mir. Gefühlschaos.

Dienstag, 01.02.:
Eine Ärztin erzählt mir, dass du stabil bist, dies aber auf dem untersten Niveau.
Ein Lungenröntgenbild zeigte eine Verschlechterung gegenüber der letzten Aufnahme an, es befindet sich noch mehr Flüssigkeit in deinen Lungen. Eine Atemphysiotherapie scheiterte, weil du zu verwirrt bist, um aktiv mitzumachen. Die Ärzte vermuten, Du könntest schon vor dem Rippenbruch den Anfang einer Lungenentzündung gehabt haben. Die Ärzte wollen keine Prognose wagen, es kann in die eine oder andere Richtung gehen. Meine Angst wird immer stärker, und meine Hilflosigkeit ist grenzüberschreitend.
Heute öffnest du kurz die Augen, und lächelst mich an. Vielleicht hast du mich erkannt. Ich lächele dich an, obwohl ich kurz davor bin zu weinen.

2. Persönliche Gefühle:

Ich verzieh dir vor langer Zeit, mein lieber Vati. Nun habe ich große Angst, dass du stirbst. Dich an diesen Schläuchen so hilflos wie ein Kind zu sehen, es belastet mich total und raubt mir Energie. Ich streichele sanft deinen Kopf und gebe dir einen Kuss auf diesen. Ich weiß, dass du mich liebst, auch wenn du dies nie so deutllich zeigen konntest, und mich nie hast so fühlen lassen wie ich es als Kind brauchte. Doch ich weiß eines. Ich liebe dich, und deswegen konnte ich dir vieles vor langer Zeit verzeihen.

Du bist 86 Jahre alt, die Ärzte meinen, und das weiß auch mein Kopf, auch wenn sich mein Herz vehement dagegen wehrt, dass ein Körper in deinem Alter nicht mehr so gute Selbstheilungskräfte wie ein junger Mensch besitzt. Ich habe Angst, große Angst um dich, doch ich ich will auch nicht, dass du leiden mußt. Ich klammere mich an die Hoffnung, dass du es schaffst, du warst doch immer ein Kämpfer!

Heute werde ich dich wieder besuchen, und die Angst begleitet mich.

Jörg S.

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