Der ganz alltägliche Wahnsinn – im trauten Heim
Unser Hausfreund treibt wieder sein Unwesen. Letztens erscheint seine hagere Gestalt in unserer Behausung – sein zartes Antlitz noch verborgen unter einer schwarzen Tarnkappe – darüber gestülpt sein Schutzhelmchen. Dieser Anblick bringt unseren schwarz-weiß gefleckten Jack-Russel zur Weißglut. Fussel geht ab wie` s Zäpfle, er hegt immer noch Hass auf unseren Alkaida-Schlumpf, welchen wir mittlerweile aber in Speedy Conzales umgetauft haben und knurrt bedrohlich. Speedy kommt herein, legt mir irgendein, nicht identifizierbares, Etwas auf den Küchentisch und grinst triumphierend. Er bemerkt meine fragenden, nach oben gezogenen Augenbrauen und grinst immer noch. „Hab da was gefunden, weiß nicht, was es ist, aber es funktioniert.“ Ich muss ihn wohl ziemlich entgeistert angeschaut haben, denn er nickt so heftig, dass sein Käppi lustig auf und ab wippt. „Man muss halt nur seine Augen aufmachen.“ Ich fange an zu kichern und rufe meinen Mann, „Thomas, komm schnell, Speedy hat was gefunden, weiß nicht was es ist, aber es funktioniert.“ Mittlerweile hat sich mein Kichern in einen Lachanfall gesteigert. Jetzt schellt es auch noch und Sabine, meine Freundin steht vor der Tür. Ich suche Halt bei dieser zierlichen Person und kann kaum noch sprechen. „Sabine, Speedy hat…,“ da versagt meine Stimme. Wir gehen in die Küche und dort steht mein Mann und wischt sich die Tränen aus den Augen. Speedy schaut jetzt etwas konstatiert. Er ist sehr empfindlich und leicht verletzbar. Ich bekomme jetzt endlich wieder etwas Luft und frage ihn, immer noch japsend, für was er um Gottes Willen, denn dieses Ding braucht, wenn er noch nicht einmal wisse, was es ist. Er hebt an mich aufzuklären und ich versuche verzweifelt dieser Diskussion aus dem Weg zu gehen, indem ich Sabine etwas zum Trinken anbiete. Es hindert ihn NICHT daran mir zu erläutern, dass alles einen Sinn hat und man jedes Ding, egal was es ist, gebrauchen kann. Sabine benutzt gerade ein zweites Taschentuch und liegt halb über dem Küchentisch, Thomas versucht den kläffenden Hund zu beruhigen und ich hab das Gefühl mich in einem Irrenhaus zu befinden. Ich beruhige mich selbst, indem ich mir zurede, dass jeder seinen Weg gehen muss und ich höchstwahrscheinlich in meinem früheren Leben etwas absolut Bösartiges gewesen muss – Politiker, Rechtsanwalt oder Callcenter-Mitarbeiter. Nun denn, Speedy ist kein Unmensch. Ich lass mich von ihm aufklären und unterdrücke meine Lachattacken. Das Leben ist kein Zuckerschlecken und ich hab mir meine Freunde schließlich selbst ausgesucht.
Der ganz alltägliche Wahnsinn – im Berufsleben
Ich arbeite. Ich tue es gerne und bin echt froh, einen Job mein Eigen nennen zu dürfen. Verzweifelte Versuche, eine Tätigkeit in meinem erlernten Beruf zu erhaschen, wurden fast mit Erfolg gekrönt. Ich arbeite in einem Callcenter. Nein, nein, nicht diese Dinger wo Dich mitten in der Nacht das Telefon aus Deinem wohlverdienten Schlaf reißt und eine sanfte Frauenstimme fragt, ob man evtl. Meerschweinchen unterstützen will oder den Gewinn aus dem Preisausschreiben (an welchem man n i e teilgenommen hat) verfallen lassen will. Die letzte Frage wird meist mit einem erhobenen Zeigefinger gestellt, man sieht ihn imaginär richtiggehend vor sich.
Ich bin im Inbound und darf Bestellungen entgegennehmen und Kundendiensttätigkeiten verrichten. Es macht Spaß, wirklich. Vor allen Dingen, wenn Österreicher anrufen. Die sind meistens taub und verstehen Dich nicht: „Ich verstah sie net. Könnens net a bisserl lauter sprechen. I ruf aus Wien o,“ Ich versteh sie auch nicht, der Dialekt macht mir ungeheuer zu schaffen. Oder die andere, betagte Dame. „Ist mein Pullover jetzt unterwegs?“ Ich frag sie erst einmal nach ihrer Kundennummer, mach nen Datenabgleich und das Persönchen am anderen Ende der Leitung (ich sehe eine fragile, weißhaarige Frau in einem Lehnstuhl vor mir) wirkt etwas bestürzt über meine Mitteilung, dass der Artikel in Moment leider nicht lieferbar ist. Ich kann sie aber beruhigen und sie vertraut mir an, dass es heute Pellkartoffeln und Hering bei ihr gibt. Ich klopfe mit dem Kugelschreiber auf meine Schreibtischunterlage und mache mich ab und zu mit einem, „Ja, fein“, oder „Ja, Frau Meier“, bemerkbar. Dann senkt sie ihre Stimme und sie flüstert mir ins Ohr, dass sie heute Morgen schon auf dem Klo gewesen sei und fürchterliche Bauchschmerzen gehabt hätte. Ich rate ihr jetzt von den Heringen ab und sie stimmt mir zu. Ich empfehle ihr dann noch, einen Arzt aufzusuchen und sie verspricht mir, dies zu tun.
Hygieneartikel vertreiben wir auch. Sitzauflagen, welche man auf den Klodeckel stülpt. „Der Deckel ist nicht so, wie ich ihn wollte. Der andere ist viel besser, bei dem neuen schubbert es auf meinem Po.“ Ich versuche vergeblich, der betagten Person klarzumachen, dass ein Umtausch bei solchen Artikeln leider nicht möglich ist. Sie wird böse und ich verspreche ihr, die Angelegenheit an das Werk weiterzugeben. Einen Scheiß tu ich. Ich mach ne Kopie und gebe sie meinem Chef, soll der sich drum kümmern.
„Ich möchte ein Hörgerät bestellen“. Ich frage nach der Kundennummer erhalte als Antwort aber nur das Heruntergeleiere der Artikelnummer. und versuche vergeblich die Kundennummer aus dem Kunden herauszukitzeln. Er brüllt mir ins Ohr, „Ist es lieferbar, wann kommt es?“ Ich brülle zurück „Ich brauche bitte Ihre Kundennummer oder Ihre Anschrift.“ „Ich versteh Sie so schlecht, wann kommt der Artikel?“ Mittlerweile starrt mich das ganze Großraumbüro an, aber ich lasse nicht locker. „IHRE KUNDENNUMMER BITTE“ kreische ich jetzt in mein Head-Set. „Meine Slipeinlagen sind auch noch nicht da“, brüllt mir die Stimme aus dem Nirwana zu. Ich werde rot, Schweißperlen stehen auf meiner Stirn und ich brülle zurück „Die Slipeinlagen sind unterwegs und dürften in den nächsten Tagen bei Ihnen eintreffen.“ Mittlerweile spüre ich die Blicke in meinem Rücken und urplötzlich steht mein Chef neben mir. Er grinst süffisant und gibt mir zu verstehen, Ruhe zu bewahren. Irgendwann sind der Kunde und ich zu einem Abschluss gekommen und ich nippe mit zitternden Fingern an meinem Kaffeebecher. Mein Teamleiter hat Mitleid mit mir und meint, „Schon Deine Stimmbänder für nen Moment, geh eine rauchen…“
Schlimm sind auch die Damen, welche ohne Zusendung eines bestimmten Kostüms suizidgefährdet sind. „Ich hab die Bestellung schon vor vielen Wochen aufgegeben. Schläft ihr Versandhaus, oder was?“ Ich schaue nach und stelle fest, dass die Bestellung erst vor wenigen Tagen aufgegeben wurde. „Tut mir leid, Frau Meier, die Bestellung ging erst vor 3 Tagen bei uns ein und ist noch in Bearbeitung.“ Die Person am anderen Ende läuft rot an, ihre Halsschlagader ebenso (ich kann das sehen, man bekommt ein Gefühl dafür) und ihre Stimme wird schrill. „Was ist das für ein Service, Sie können mich aus Ihrer Kartei streichen und ich werde Sie bestimmt nicht weiter empfehlen.“ Meine Versuche, die Nochkundin zu beruhigen scheitern an ihrem Nervenkostüm. Ohne dieses Kostüm, welches sie mit in den Urlaub nehmen wollte, drei Wochen Toskana, hat ihr Leben keinen Sinn mehr. Ich bin schon nahe dran, ihr ein gutes Bestattungsunternehmen in ihrer Umgebung zu empfehlen, da klatscht sie den Hörer auf. Natürlich nicht, ohne mich vorher noch als unfähig und blöd zu titulieren. Ich atme tief durch, drücke auf Pause und gehe eine rauchen. Dort treffe ich viele Leidensgenossen und wir tauschen Erfahrungen aus. Wir lästern ab und kommen letztendlich zu der Erkenntnis, dass dieser Job zwar die Nerven und Stimmbänder strapaziert, trotz allem doch so schlimm nicht ist. Wir fungieren als Sachbearbeiter, arbeiten nebenbei noch als Seelsorger, als emotionaler Sandsack für frustrierte, gelangweilte Ehefrauen und muntern alte Damen und Herren auf. Jawoll, ich bin stolz darauf, im Callcenter zu arbeiten.