Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil VII

Text

von  pentz

Nun wird eine Art Spiel beschrieben.
Während wir auf den Kracher warten, räkeln wir uns zunächst untätig und gelangweilt in unseren Sesseln, haben wir uns ja nicht die Bohne etwas zu sagen.
Plötzlich richtet der Polizist seinen Oberkörper auf. Ich denke, oh Herrje, hoffentlich packt der jetzt nicht seine Spielkarten aus, um die Zeit totzuschlagen. Und stößt wie aus der Pistole geschossen die Bitte aus: „Reichen Sie mir doch bitte mal Ihr Buch her!“ Ihn hat wohl eine Ahnung ereilt, woraufhin er sich endlich heißspornig auf eine heißersehnte heiße Spur stürzen kann...
Aber ich stelle mich doof, logo, so doof wie möglich.
„Welches Buch?“.
„Natürlich das, was sie ….“. Etwas steht in der Luft. Auch der Polizist merkt’s. Er unterbricht sich nicht umsonst. Er überlegt. Er grübelt und sagt schließlich: „...mitgebracht haben wollen.“ Nicht schlecht, was? Solch eine Reaktionsschnelligkeit...
„Sie meinen dasjenige von zu Hause?“
„Genau!“
Inzwischen längst wieder in meinem Sack verstaut, versuche ich es darin zu finden, während ich überlege, was hinter seiner Frage stecken mag? Je länger ich brauche zum Finden - das ist die Raffinesse - desto mehr Zeit bleibt mir, in Erfahrung zu bringen, was mein Gegenspieler wohl denkt und beabsichtigt und umso schneller kann ich kontern.
Zuerst habe ich blindlings gesucht, nichts entdeckt, während ich in des Polizeimanns Gesicht versuche zu lesen, aber statt etwas Erkennbares, Verwertbares und Nützliches, strikt irgend etwas herauszulesen, stoße ich bald auf einen genervten Blick. Ich erschrecke, schaue hilfesuchend zu Michael und erkenne den gleichen Blick. Leicht paniklich schaue ich direkt in die Tasche hinein.
Katz und Maus – Kartenspielen – Pokern – denken sie das Gleiche?
Ich reiche ihm endlich hin, wonach ich gesucht.
„Aha!“, murmelt er, während er den Corpus in seinen Händen dreht, als wäre es ein Aeropteryx oder so etwas Vorsintflutliches, jedenfalls etwas sehr, sehr Fremdes. Gut, kann auch sein, dass er nicht allzu oft ein Buch sieht, außer natürlich die dicken Strafbücher.
Er murrt: „Habe ich es mir doch gedacht!“
Ich reagiere sofort: „Und, Herr Polizist! Was haben sie sich gedacht?“
Er starrt mit finsteren Augenbrauchen auf das dicke Ding in seinen Händen.
Ich bin betroffen. Was wohl war am meiner Frage falsch?
„Ich meine, was denken Sie jetzt, Herr Polizist?“, schnell, um meine Formulierung abzumildern.
Die Miene desselben hellt sich wieder auf. Ich bin erleichtert.
Er hebt das Buch, dreht es um sich selbst, schaut vielsagend zu mir und dann eindringlicher zu Michael: „Sehen Sie, Herr Michael. Fällt ihnen nichts auf?“
Er fixiert sogar noch einen Deut vielsagender dasselbige. Darin muss einfach die Wahrheit stecken. Das haben ja so Bücher an sich. Aber in einem Internet-Buch? Nicht wirklich!
„Ich protestiere!“, mische ich mich wieder ein. „Das ist eine Unterstellung, eine Fangfrage, wenn man schon vorformuliert: Fällt ihnen nichts auf...“
Michael, das erste Mal, dass er Courage zeigt, nickt zustimmend, so dass der Gesetzesmensch erneut düpiert auf sein Pläsierchen in seinen Händen starrt und Miene macht, nachzudenken.
Wie viel Zeit mag vergangen sein, bis er jetzt lächelt und schlau sagt: „Na gut, dann anders gefragt. Ich frage Sie jetzt, Herr Michael, der Sie Fachmann sind.“ Zum Ende der Satzmelodie hebt er den Kopf theatralisch und dramaturgisch exakt in Richtung des Gefragten.
„Vor allem deswegen fragen Sie ihn wohl?“, trete ich ratlos dazwischen.
Er hat bestimmt die Ironie herausgehört, lässt sich aber nicht irritieren und wiederholt sachlich: „Deswegen frage ich Sie, Sie als Buchhändler nämlich, ja richtig. Sie sehen hier also ein Buch vor sich. Ich lege es auf den Tisch, Sie können es auch gerne anfassen, aber es ist nicht nötig.“
Jetzt reicht’s mir aber doch.
„Ich protestiere erneut, was soll das heißen: Das ist nicht nötig? Wieder solch eine Suggestiv-Frage.“
„Okay, anders formuliert. Nochmals...“
Der Mann hat vielleicht Chuzpe...
„Schauen Sie sich ganz unbefangen dieses Buch an, das da vor ihnen auf den Tisch liegt, und dies möglichst bewusst, mit den Augen eines Buchhändlers, eines Verkäufers, wenn ich das noch hinzubemerken darf.“
Diese umständliche Formulierung, ich traue meinen Ohren nicht. Ich spüre Resignation in mir aufkommen: ich geb’s bald auf.
Und nun, lieber Leser, dürft Ihr raten: wie reagiert der Angesprochene? Er schmunzelt. Haben Sie es gewusst? Gratulation! – Pardon, ich verliere die Nerven, ich merk’s.
Der Gefragte will mich nicht hineinreiten, am liebsten überhaupt nicht tun, wie ihm geheißen, so zögert er mit seiner Bemerkung grenzwertig lang. Aber er muss etwas sagen.
Lange darf er nicht zögern, will er sich nicht den Vorwurf der Parteilichkeit, der Befangenheit vorwerfen lassen. Wenn der „Neutrale“ hier wüsste, in welch enger Beziehungsbande wir beide verschweißt sind, Michael und ich.
„Es sieht... ähm.“ Er rückt sich die Krawatte zurecht. „Sehr neu aus!“
Der Polizist ergänzt triumphierend: „Wie frisch aus dem Buchladen! Nicht wahr?“
Ich sehe einen Kartenspieler seine Spielblätter auf den Tisch hauen, der einen Stich gemacht hat und jubiliert: das ist der spielentscheidende Stich.
Einer will nur nicht mitziehen.
„Nun... Ich weiß nicht...“ Mensch Michael, du Spielverderber.
Gewagt von Michael, der damit rückgängig zu machen versucht, was er vorher mit seiner Aussage bejaht hat: dass dies ein Verdachtsmoment darstelle. Dass er dabei sein Gesicht etwas verkneift, grenzt nahezu an Beamtenbeleidigung. Will sagen, früher mal, heute, in der Demokratie, ist’s möglich. Aber allzu oft darf sich Michael solch eine Schwächung der staatlichen Autorität nicht erlauben.
Jetzt steht alles auf Messers Schneide. - Ich muss den Spuk endlich vertreiben. – Ich muss Michael beistehen.
„Herr Kom-mi-ssar!“, sage ich deshalb gedehnt.
Dieser schmunzelt nicht einmal, wohl weil er die dahinterliegende Absicht durchschaut. Nur keine Provokation auffangen. Vielleicht handelt es sich bei dem doch nicht bloß um einen normaler Diebstahl-Streifenpolizist?
„Glauben Sie wohl nicht, das ich meine Sachen pfleglich behandle?“
Er schaut auf meine Hose. Ein Fleck springt mir unversehens ins Auge. Nun, ich bin Hobbymaler wie dieser Kerl Hobbykommissar, beide ecken wir natürlich in der zivilisierten Welt an.
So muss ich mich wiederholen und darauf bestehen, was ich hören will: „Trauen Sie mir das nicht zu?“ Was hätte er jetzt anders sagen können, als mich zu beleidigen?
So winkt er ab. „Ja, ja, natürlich!“
Das klingt leider immer sehr, sehr bedrohlich aus dem Munde einer Autoritätsperson, besonders einer in Uniform und Pistole im Halfter. Es riecht nicht nach Munitionsschmauch zugegeben, aber doch nach Bürschen-wenn-ich-dich-einmal-allein-unter-die-Finger-kriege,-dann-aber-Gnade-dir-Gott. Eine sehr unangenehme Vorstellung, muss ich sagen.
Seine Augen weiden sich, als hätte er einen nervöser Tick, wobei er den Kopf senkt. Wie beim ewigen Lächler vorhin.
Das färbt ja ab, denke ich. Die Nervosität springt über. Die Synapsen stehen bei allen offenbar unter elektrisch hochexplosiver Aufladung. Wie kommen wir da wieder herunter?
Michael, jetzt zufrieden mit dem Ausgang des Spiel, verändert seinen Gesichtsausdruck hin zu einem Pokerface und starrt in die Ferne, um möglicherweise irgendeiner Inspiration dort habhaft zu werden. Hoffentlich die, wie wir diesen Schnüffler wieder loswerden!
Ich atme auf. In dieser Runde bin ich aus dem Schneider.

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