Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil VIII
Satire
von pentz
Der Kracher fällt um
Als es klopft, erhebt sich Michael abrupt, murmelt: „Sie entschuldigen mich einen Moment!“ und geht zur Tür, macht diese auf und verschwindet dahinter.
Nach einer Weile kommt er mit dem Kracher vor ihm hergehend herein.
Dieser lässt die Schultern hängen, hat den Blick auf den Boden geheftet.
Noch erstaunlicher jedoch ist sein Äußeres. Eine Rasierklinge musste sich unterdessen selbstständig gemacht haben, glänzt sein Gesicht doch wie ein frisch eingewichster Kinderpopo. Zusätzlich kaut er einen Kaugummi, allerdings verstohlen und quasi heimlich, selbstverständlich dann nur, wenn er nicht an der Reihe ist beim kommenden Gespräch, sein dubioses Schäfchen beizutragen.
´Ist der Kracher mittlerweile nervös geworden?`, frage ich mich. Außerdem, wieso trägt der denn jetzt diese dunkle Krawatte auf blütendweißem Hemd? Kaugummikauen, Hoch-Glanz-Politur, Krawatte – sind das Zeichen der Nervosität, ist er sich nicht mehr ganz so sicher und beginnt endlich an sich selbst zu zweifeln?
Diese klischeehafte Selbststilisierung bei männlichen Vertretern des Wirtschaftszweiges empfinde ich schlichtweg als frappierend. Von meinem Blickwinkel aus gesehen, entblößen sie nämlich Schwächen, Eitelkeiten und überbordeten Hang zu Mach-aus-Dir-einen-Typen, gleich dem beim anderen Geschlecht gewohnten Äußerem der Selbst kaschieren wollenden, gold- und silberverbrämten Klunkerstückchen am Ohr, an den Fingern oder sonstiger Stelle ihrer narzisstisch-verliebten Körper.
„Sollen Sie!“, denke ich mir. Ja, auch die Männer. Warum auch nicht die? Die Placker-, Arschkriecher- und Radfahrerei soll sich doch für alle „lohnen“, und das ist ihr Lohn dafür!
Räuspernd lege ich die Faust vor meinem Mund.
Der erfolgte Blick des Krachers mag funkelnde Irritation wiederspiegeln, kann aber auch einfach meine Interpretation wiedergeben. Jedenfalls, abgesehen von seinem Schicki-Micki-Äußerem, wer hätte also gedacht, dass sich der Kracher mit einem mal so lammfromm gibt und so stockend und zaghaft Worte über seine Lippen presst, ein derartiges bedachtes Verhalten zeigend, das einzig dadurch auf den Punkt gebracht ist: sage nur nicht das Falsche und rede nur nicht entgegen des Chefs, Michaels Mund nämlich?
„Viel-leicht ir-re ich mich auch.“ Er kaut dann dabei sichtlich und ist sehr blass.
Jetzt ist’s heraus. Das ist der Endpunkt. Das ist der äußerste Zipfel des Zugeständnisse, eines Kompromisses, der an Selbstverleugnung hinreicht.
‚Aha!`, kommt es mir zu Bewusstsein. Natürlich, das war’s, was sein Chef gerade mit ihm besprochen hat, als jener aufgestanden ist, nachdem es geklopft hat und er hinter der Bürotür verschwunden ist. Zwiegespräch mit Untergebenen. Dieser solle sich bitte zurücknehmen, nachgerade das Verhalten, so schwer’s fallen möge, um 180 Grad ändern. Warum? Er habe jetzt keine Zeit, ihm dies ausführlich darzulegen, soweit sei aber gesagt, dass hier Ursache und Wirkung in unziemlichen Verhältnis zueinander stehe, der Vorfall eine Bagatelle darstelle und möglichst schnell aus der Welt geschafft gehöre. ZUM RENOMEE UNSERES HAUSES!
Ich atme befreit durch und aus.
„Sie wollen wirklich sagen, dass es durchaus möglich ist, dass Sie sich getäuscht haben und...“
Verzwickt, denn wir haben es leider mit einem Berufschnüffler zu tun. Hartnäckig glaubt er dem Gesetz Genüge leisten zu müssen und einen Bücherdieb, der Gerechtigkeit zuliebe, zu entlarven. Das Spiel ist noch lange nicht aus.
„und der „Mensch“ hier nur in den Bücherreihen ziellos herumgesucht hat?“
Zögerliches Ja!
Wir anderen drei schauen uns an und verdrehen die Augen nach oben.
„Aber Sie haben doch vorhin selbst gesagt, dass Sie mit diesem Kunden eine Vereinbarung getroffen haben. Nämlich, dass er im Gegenzug zu einer Information, die er sich aus einem Buch holen darf, eins kaufen muss!“
So dreht sich das Karussell weiter...
Der Kracher kann das jetzt schlecht leugnen.
„Das stimmt schon...“
Pause.
„Nichtsdestotrotz könnte es durchaus sein, dass er dieses Buch dann nicht entwendet hat.“
Atemlos setzt der Jäger dem scheu gewordenem Wild nach.
„Aber Sie haben ihn doch beobachtet, nehme ich an.“
Jetzt schreitet wieder einmal Michael ein: „Das kann er durchaus gemacht haben... Wobei er sich ja getäuscht haben mag... Irrtümlicherweise es so wahrgenommen hat, als zöge der Kunde tatsächlich ein Buch heraus und nehme tatsächlich eines unter die Arme, um damit zur Kasse zu gehen. Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen... Solch eine Täuschung...“ Man kann sich gut vorstellen, mit wie viel Räuspern und Verlegenheit diese Rede untermalt ist.
Michael will den Moderator spielen, zwischen dem verfeindeten Parteien vermitteln und aus den Zeilen gesprochen, sagt er konziliant: nicht wahr, dass will mein Untergebener gerade kundtun.
Der Kracher, während er mich hasserfüllt anstiert, beißt sich auf die Zähne, als er jetzt ein Brummeln der Zustimmung herausstößt. In seiner Haut mochte ich jetzt nicht stecken. Kracher fühlt sich nun bestimmt wie Napoleon bei Waterloo.
Er kaut erneut heftig.
Denn wisse, Buchhändler gibt niemals vor, von einer Sachlage auf dieser Welt keine Ahnung zu haben, ich spreche von Keine Ahnung, nicht von Nicht-Wissen. So allgöttlich stellt er sich auch wieder nicht dar, dass er nicht einen Fehler einräumen würde. Aber keine Ahnung zu haben, käme dem puren Armutszeugnis gleich. Er hat immer eine, die Richtung zumindest stimmt stets, untrüglich und unfehlbar. Er weiß, wovon die Welt spricht. Alles andere entspräche ja nicht den Erwartungen des Kunden.
Damit komme ich zu den drei, den Buchhändler kennzeichnende Eigenschaft: Trendsetting, Missionierung und Prophetie.
Aber bleiben wir nur bei ersterem. Alle drei gehören ja irgendwie zusammen.
Nun Trendsetting: Welches deutsche Wort entspräche dem? Mit Recht, keines.
Das-was-man-nicht-tut, darin liegt etwas Bedrohliches, Tyrannisches, ein Muss: Das-was-man-tun-muß-um-modern-zu-sein.
Kann sich dem einer entziehen?
Also Buchhändler sind Trendsetter, sagen dir, was in naher Zukunft „in“ sein wird, pardon, „beliebt“ sein wird, und das, was „out“ sein wird, halt „altmodisch“ und das wird keiner sein wollen. Aus des Buchhändlers Stimme dringt dir die des Obermufti der Gesellschaft entgegen, dem du dich nicht verweigern kannst, denn willst du nicht jung und jugendlich gelten?
Als es klopft, erhebt sich Michael abrupt, murmelt: „Sie entschuldigen mich einen Moment!“ und geht zur Tür, macht diese auf und verschwindet dahinter.
Nach einer Weile kommt er mit dem Kracher vor ihm hergehend herein.
Dieser lässt die Schultern hängen, hat den Blick auf den Boden geheftet.
Noch erstaunlicher jedoch ist sein Äußeres. Eine Rasierklinge musste sich unterdessen selbstständig gemacht haben, glänzt sein Gesicht doch wie ein frisch eingewichster Kinderpopo. Zusätzlich kaut er einen Kaugummi, allerdings verstohlen und quasi heimlich, selbstverständlich dann nur, wenn er nicht an der Reihe ist beim kommenden Gespräch, sein dubioses Schäfchen beizutragen.
´Ist der Kracher mittlerweile nervös geworden?`, frage ich mich. Außerdem, wieso trägt der denn jetzt diese dunkle Krawatte auf blütendweißem Hemd? Kaugummikauen, Hoch-Glanz-Politur, Krawatte – sind das Zeichen der Nervosität, ist er sich nicht mehr ganz so sicher und beginnt endlich an sich selbst zu zweifeln?
Diese klischeehafte Selbststilisierung bei männlichen Vertretern des Wirtschaftszweiges empfinde ich schlichtweg als frappierend. Von meinem Blickwinkel aus gesehen, entblößen sie nämlich Schwächen, Eitelkeiten und überbordeten Hang zu Mach-aus-Dir-einen-Typen, gleich dem beim anderen Geschlecht gewohnten Äußerem der Selbst kaschieren wollenden, gold- und silberverbrämten Klunkerstückchen am Ohr, an den Fingern oder sonstiger Stelle ihrer narzisstisch-verliebten Körper.
„Sollen Sie!“, denke ich mir. Ja, auch die Männer. Warum auch nicht die? Die Placker-, Arschkriecher- und Radfahrerei soll sich doch für alle „lohnen“, und das ist ihr Lohn dafür!
Räuspernd lege ich die Faust vor meinem Mund.
Der erfolgte Blick des Krachers mag funkelnde Irritation wiederspiegeln, kann aber auch einfach meine Interpretation wiedergeben. Jedenfalls, abgesehen von seinem Schicki-Micki-Äußerem, wer hätte also gedacht, dass sich der Kracher mit einem mal so lammfromm gibt und so stockend und zaghaft Worte über seine Lippen presst, ein derartiges bedachtes Verhalten zeigend, das einzig dadurch auf den Punkt gebracht ist: sage nur nicht das Falsche und rede nur nicht entgegen des Chefs, Michaels Mund nämlich?
„Viel-leicht ir-re ich mich auch.“ Er kaut dann dabei sichtlich und ist sehr blass.
Jetzt ist’s heraus. Das ist der Endpunkt. Das ist der äußerste Zipfel des Zugeständnisse, eines Kompromisses, der an Selbstverleugnung hinreicht.
‚Aha!`, kommt es mir zu Bewusstsein. Natürlich, das war’s, was sein Chef gerade mit ihm besprochen hat, als jener aufgestanden ist, nachdem es geklopft hat und er hinter der Bürotür verschwunden ist. Zwiegespräch mit Untergebenen. Dieser solle sich bitte zurücknehmen, nachgerade das Verhalten, so schwer’s fallen möge, um 180 Grad ändern. Warum? Er habe jetzt keine Zeit, ihm dies ausführlich darzulegen, soweit sei aber gesagt, dass hier Ursache und Wirkung in unziemlichen Verhältnis zueinander stehe, der Vorfall eine Bagatelle darstelle und möglichst schnell aus der Welt geschafft gehöre. ZUM RENOMEE UNSERES HAUSES!
Ich atme befreit durch und aus.
„Sie wollen wirklich sagen, dass es durchaus möglich ist, dass Sie sich getäuscht haben und...“
Verzwickt, denn wir haben es leider mit einem Berufschnüffler zu tun. Hartnäckig glaubt er dem Gesetz Genüge leisten zu müssen und einen Bücherdieb, der Gerechtigkeit zuliebe, zu entlarven. Das Spiel ist noch lange nicht aus.
„und der „Mensch“ hier nur in den Bücherreihen ziellos herumgesucht hat?“
Zögerliches Ja!
Wir anderen drei schauen uns an und verdrehen die Augen nach oben.
„Aber Sie haben doch vorhin selbst gesagt, dass Sie mit diesem Kunden eine Vereinbarung getroffen haben. Nämlich, dass er im Gegenzug zu einer Information, die er sich aus einem Buch holen darf, eins kaufen muss!“
So dreht sich das Karussell weiter...
Der Kracher kann das jetzt schlecht leugnen.
„Das stimmt schon...“
Pause.
„Nichtsdestotrotz könnte es durchaus sein, dass er dieses Buch dann nicht entwendet hat.“
Atemlos setzt der Jäger dem scheu gewordenem Wild nach.
„Aber Sie haben ihn doch beobachtet, nehme ich an.“
Jetzt schreitet wieder einmal Michael ein: „Das kann er durchaus gemacht haben... Wobei er sich ja getäuscht haben mag... Irrtümlicherweise es so wahrgenommen hat, als zöge der Kunde tatsächlich ein Buch heraus und nehme tatsächlich eines unter die Arme, um damit zur Kasse zu gehen. Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen... Solch eine Täuschung...“ Man kann sich gut vorstellen, mit wie viel Räuspern und Verlegenheit diese Rede untermalt ist.
Michael will den Moderator spielen, zwischen dem verfeindeten Parteien vermitteln und aus den Zeilen gesprochen, sagt er konziliant: nicht wahr, dass will mein Untergebener gerade kundtun.
Der Kracher, während er mich hasserfüllt anstiert, beißt sich auf die Zähne, als er jetzt ein Brummeln der Zustimmung herausstößt. In seiner Haut mochte ich jetzt nicht stecken. Kracher fühlt sich nun bestimmt wie Napoleon bei Waterloo.
Er kaut erneut heftig.
Denn wisse, Buchhändler gibt niemals vor, von einer Sachlage auf dieser Welt keine Ahnung zu haben, ich spreche von Keine Ahnung, nicht von Nicht-Wissen. So allgöttlich stellt er sich auch wieder nicht dar, dass er nicht einen Fehler einräumen würde. Aber keine Ahnung zu haben, käme dem puren Armutszeugnis gleich. Er hat immer eine, die Richtung zumindest stimmt stets, untrüglich und unfehlbar. Er weiß, wovon die Welt spricht. Alles andere entspräche ja nicht den Erwartungen des Kunden.
Damit komme ich zu den drei, den Buchhändler kennzeichnende Eigenschaft: Trendsetting, Missionierung und Prophetie.
Aber bleiben wir nur bei ersterem. Alle drei gehören ja irgendwie zusammen.
Nun Trendsetting: Welches deutsche Wort entspräche dem? Mit Recht, keines.
Das-was-man-nicht-tut, darin liegt etwas Bedrohliches, Tyrannisches, ein Muss: Das-was-man-tun-muß-um-modern-zu-sein.
Kann sich dem einer entziehen?
Also Buchhändler sind Trendsetter, sagen dir, was in naher Zukunft „in“ sein wird, pardon, „beliebt“ sein wird, und das, was „out“ sein wird, halt „altmodisch“ und das wird keiner sein wollen. Aus des Buchhändlers Stimme dringt dir die des Obermufti der Gesellschaft entgegen, dem du dich nicht verweigern kannst, denn willst du nicht jung und jugendlich gelten?