Ismael Kadare - der Tod eines besten Dichters oder warum der Nobelpreis ein politisches Instrument ist - Essay

Text zum Thema Abendstimmung

von  pentz

oder warum der Nobelpreis ein politisches Instrument ist

Das wichtigste Wort eines Dichters ist sein letztes. Wissen wir von Ismael Kadare noch nicht. Darauf verlassen können wir uns auch nicht. Schon sein Sterbeort wird in dieser Zeitung mit Zuhause, von jener mit im Krankenhaus  (sagte der Verlag) angegeben. Auch seine politische Gesinnung wird verschieden interpretiert – das ist genauso schwierig, wie festzustellen, wann jemand definitiv „tot“ oder „gestorben“ ist, in seiner Wohnung, in der ihm vielleicht niemand die Hand gehalten hat oder erst dann, wenn ein Pathologe es feststellen kann. Dass er keinen Nobelpreis bekommen hat, sagen die einen, lege an seiner Islamablehnung (wobei sein Vorname der des ersten Sohnes derselben Religion ist), die anderen an seiner Unterstützung des Sozialismus albanischer Prägung. (Dabei waren die Albaner übrigens nicht im Warschauer Pakt und haben nicht an der gewaltsamen Unterdrückung anderer Genossenstaaten mitgeholfen. Insofern ist der Autor moralisch ohne Makel. Aber da sieht man es mal wieder: auch der Nobelpreis ist ein politisches Instrument). Ein Jammer so etwas, weil wenn ich Nobelpreisträger lese wie etwa die australische Autorin Alice Munro, dann langweile ich mich zu Tode, da fast nur Milieubeschreibungen von Intellektuellen erkennbar sind. Ist vielleicht vorurteilsbehaftet, weil über das beliebteste Buch von dieser Preisträgerin bin ich eh nicht hinausgekommen und will oder/und schaffe es auch nicht. Franz Kafka wurde auch nicht nominiert (war auch so ein politischer Hermaphrodit), aber Kadare war für mich schon längst tot, weil ich nicht gehört hatte, er hätte die schwedische Ehrung von Nobel erhalten, weil er sie hätte erhalten müssen. 
Ach ja, die Politik!
Achte nicht auf die weltlichen Ehrungen, sage ich mir!
Was waren wohl die letzten Worte Kadares?
Falemedere! (danke!)
Na gave karin pidhi eshte jeté. (heißt irgend etwas mit Leben).
Mir (auch russisch: ja, Frieden) oder jo? (auch ungarisch: nein), aber auf albanisch gut oder schlecht?
Ich sage: Titi ti mir (guten Tag) und pirdhu (ade)!

Zur Empfehlung: „Die Verbannte“ von Ismael Kadare


Jüngst eine albanische Krankenschwester, die in einem deutschen Krankenhaus arbeitet, getroffen, jüngere Generation, 30 und sie erzählte, was sie über Ismael Kadare wusste.
Sie schildert die Situation in Albanien unter dem kommunistischen Diktator Enver Hoxhas nach 1945 so, dass es eine Elite von 10 Prozent der Bevölkerung gab, die sich alles erlauben konnte, ungehindert ins Ausland reiste und den Rest der Bevölkerung erbarmungslos darben ließ. Männer, die intellektuell aussahen, wie bei den Steinzeitkommunisten des Pol Pot, da waren es brillentragende Menschen, wurden „neutralisiert“.
Da stellt sich die Frage, warum dies nicht auch das Schicksal Ismael Kadares war? War er schlicht ein Befürworter dieses Regimes oder zu gut oder zu intelligent, um einfach eliminiert zu werden?
Das Buch „Der große Winter“ schildert die Zeit, als sich Albanien von dem kommunistischen Block losgesagt hatte, die Reise eines hohen Diplomaten nach Moskau, die Rückreise, die Stimmung unter der Bevölkerung zu dieser Zeit. Wenn man bedenkt, was es bedeutete, weder vom Ostblock noch von den kapitalistischen Staaten des Westens abhängig sein zu können/zu wollen, dann kommt das einem Märtyrium gleich.
Idealisiere ich Ismael Kadare?

Mir fällt der Fall des ungarischen Regisseurs István Szabó ein, der „Mephisto“ nach Klaus Mann in den 80iger Jahren gedreht hat. Ein beeindruckender Roman und ein ebenso beeindruckender Film. Welch Verlust wäre es, wenn dieser Film nicht zustande gekommen wäre! Aber diesem Filmemacher hat man nach dem Fall der Mauer insbesondere von Jugendlichen den Vorwurf des Opportunismus gemacht. Hätte er sich aber nicht „angepasst“, hätte es keinen solch fantastischen Film gegeben.
Wobei eigenartigerweise seine Problematik sich in der gleichen Weise in dem Inhalt des Romans bzw. Films widerspiegelt, nämlich in der Gestalt Gustav Gründgens, ein deutscher Schauspieler, der das Vorbild für den Mephisto gibt.
Mephisto als der Teufel. Satan ist G. Gründgens genauso wie István Szabó, beide müssen sich an die Mächtigen opportunistisch anbiedern, um beruflich erfolgreich sein und um hohe Kunst machen zu können. Nur dieses chamäleonartige Verhalten an die gegenwärtige Gesellschaft, sympolisiert durch die Herrschenden, ermöglicht ihnen, künstlerisch kreativ sein zu können und dabei von einem größeren Publikum wahrgenommen zu werden.
Eine Schlüsselszene des Films spielt in Paris, wo Gustav Gründgens sich mit seiner Frau Katrin Mann und ihrem Bruder Klaus Mann trifft. Es ist der Zeitpunkt der Machtergreifung der Nazis und er entscheidet sich für die Rückkehr nach Deutschland, weil er sich fragt, was kann er für eine Existenz führen in einem fremdsprachigen Ausland, als Schauspieler mit muttersprachlichem Deutsch? Ihn packt die Existenzangst.
Wie ergeht es den anderen?
Katia Mann kommt gut über die Runden, ich glaube, weil sie ihrem berühmten Vater dienstbar sein kann. Klaus Mann, ein linksradikaler, homosexueller und drogenabhängiger Schriftsteller wird in den Selbstmord getrieben, weil er den Isolationsdruck des Exils wohl nicht aushält.

István Szabó hat möglicherweise auch seinen Entscheidungsmoment gehabt, wie viele, wie Istvan Kadare, wie zum Beispiel auch der türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk, der zunächst als Preisträger gehandelt worden war, die Auszeichnung auch erhielt, wohl weil er sich kurz vor der Entscheidung positioniert hat, in dem er den Mord und die Vertreibung der Armenier durch die Türken als Genozid bezeichnet hat.
Damit man nicht falsch versteht, jeder Schriftsteller und im weitesten Sinne Künstler wird seinen Paulus-Saulus-Erlebnis mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden sehen: Pamuk soll auch von einem nationalistischen Rechtsradikalen wegen seines Statements mit dem Tode bedroht worden sein. Und das ist bestimmt kein leicht zu ertragender Druck.

Viele, ja fast alle von den westlichen Autoren müssen keine solche „Einschränkungen“ wie sie zum Beispiel der russische Autor Ossip  Mandelstam erlitt, erleiden, der Stalins Bart mit einer Kakerlake beschrieb und dafür in die Verbannung deportiert wurde: „Am 2. Mai 1938 erneut verhaftet, wurde er zu fünf Jahren Lager wegen konterrevolutionärer Aktivitäten verurteilt und in ein Arbeitslager gebracht. Am 27. Dezember 1938 starb er halb verhungert, herzkrank und von Halluzinationen gequält in der Krankenbaracke eines Übergangslagers und wurde in einem Massengrab beerdigt.“ Wikipedia
Autoren können sich auch nicht in so leicht ins innere Exil zurückziehen wie vergleichsweise Musiker oder Maler, weil Texte eher auf ihren politisch-gesellschaftlichen Bezug abklopfbar sind.
Auch gibt es noch die persönlich Ebene, in der auch Aufrichtigkeit wichtig ist. Wo mehr, wenn eine Autorin für die Freiheit der Frau einstehen vorgibt, diese jedoch im Privaten ignoriert?
Wenn ich zum Beispiel lese, dass die kanadische Autorin Alice Munro die Vergewaltigung ihrer Töchter durch deren Stiefvater duldete, dann frage ich mich, ob das fast oder für sie den gleichen Stellenwert wie die Anpassung eines Ismael Kadare an den albanischen Kommunismus bedeutete? Inwiefern ist die persönliche Befindlichkeit äquivalent mit der gesellschaftlichen?

Zu Kafka fällt mir ein, er hat womöglich auch deswegen zu Lebzeiten keine Aufmerksamkeit erhalten, weil alle seine Romane ohne „Happy End“ ausgehen. Wer will schon im völligen kafkaesken Labyrinth allein gelassen werden? Ein bisschen Optimismus erwartet die Welt schon, wenn man von ihr gelobt werden will.

Das Problem der Anpassung eines Schriftstellers (nicht des bildenden Künstlers oder Musikers) ist im besagten Mephisto-Roman am Ende auf den Punkt gebracht worden und gilt auf alle Fälle für jeden Regisseur, Mimen und Arrangeur: „Was wollen die Leute eigentlich von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler!“
Das Selbe gilt auch für den Schriftsteller, will er nicht unerkannt  in seinem Kämmerchen vor sich hinleben und versauern.
Erfährt er jedoch übermäßige Aufmerksamkeit, muss er sich fragen, halt, was stimmt eventuell mit meiner Literatur nicht? Inwieweit krieche ich dem Publikum in den Arsch?



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