Sekundenschlaf (II)

Erzählung

von  Kontrastspiegelung

Ja, ich sah das Auto von hinten. Ja, ich hätte am Unfallort reinplatzen können, wo du in den Helikopter getragen wurdest. Ja, ich hätte bei euch sein können. Bei deinem Vater und dir. Hätte so vieles tun können. Doch wollte ich mir nicht eingestehen, das Auto an Ort und Stelle von hinten gesehen zu haben. Habe die Hoffnung gehabt, dass du längst wie üblich vor mir auf der Arbeit bist. Und sonderbarer Weise, sah ich in den 1-3Sekunden den frischen Crash. Glas auf der Straße und das mit ca. 30-50m Abstand und Gebüsch vor mir. Irgendwie sah ich zu viel auf einmal, woran ich mich nicht komplet erinnern kann, um diese Wahrheitsgetreu wiedergeben zu können. Es ist, als würde ich von einer Illusion heimgesucht und im nächsten Augenblick lupenreine Bilder in mir verdrängen.

Auf dem Parkplatz angekommen, rief ich dich an, auch mit dem Gedanken, dass du nicht ans Handy gehst, da du ja längst am arbeiten hättest sein müssen. Doch ging die Mailbox an und ich geriet in die Versuchung  100meter entfernt in die von Polizei, Feuerwehr und Ärzteteam umsperrten  Unfallstelle hereinzuplatzen. Ich war schon auf dem Weg zu dir und wendete doch, mit der Hoffnung deinen Roller am Parkplatz zu entdecken. Erfolglos. Dachte dann daran, dass du von deinem Vater gefahren wurdest und schon drinnen bist. Ich weiss ja, dass dein Vater ein Jahrzehnte geschulter Fahrer ist. Und dennoch, tauchte mir das Bild vom Auto wieder auf. An der Pforte angekommen, zerrte mein Gefühl mich zurück. Ich wollte… und ging durch die Pforte ins Lager rein.

Begrüßte meinen stellvertretenden Chef und fragte mit einer eisernen ungewohnten Stimme auf der Arbeit ob du da warst. Bevor mein stellvertr. Chef mir was sagen wollte, erkannte ich an der Körpersprache und einem Blick, wie er seine silbernen Armbanduhr aus der Tasche zog, das du nicht da warst und mein Chef verstand, das du vor dem Parkplatz im Unfall verwickelt wurdest. Ich drehte mich um und wollte zurück. Zurück zu dir, zu euch! Und konnte das nicht. Weil ich davon abgehalten wurde. Mit den Worten, dass ihr in sicheren Händen seid. Widerwillig konnte ich nichts dagegen sagen. Meine Hände waren gebunden. Das war mir auch bewusst. Das einzige was ich unternehmen konnte war, von einer Mitarbeiterin des Monats zu einer alles tuende Freundin zu werden, um herauszufinden, wo ihr hingebracht wurdet. Was ihr hattet. Auch wenn ich vor der Zentrale des Krankenhauses aus lügen musste, was ich doch am beschissensten kann. Ich log, dass sich die Balken bogen. Gab mich als deine Verlobte aus und bekam trotz den Mühen keine Antworten, was dich betraf. Nur, dass du in guten Händen aufbewahrt wärst und dein Vater beide Beine gebrochen hätte. Was mich schockte, weil ich euch kannte, eure Denkweisen, eure Probleme, einfach fast alles. Ich sah durch eure Augen in die Welt danach.

Nach der Arbeit, fuhr ich dann Schnurstracks mit deiner Mutter zu euch. Auf der Intensivstation von deinem Vater, lag ich gedanklich neben ihm und sprach sarkastisch mit ihm im monotonen piependen Hintergrund. Bei dir angekommen, war ich froh und beruhigt dich auf den ersten Blick fast unversehrt zu sehen. Auch wenn ich am Abend davor meinte, etwas Distanz haben zu wollen. So mussten die Worte:“ Hey aber die Art von Distanz, habe ich nun wieder auch nicht gemeint“ raus.

Nach ein paar anstrengenden Tagen kam die kleine Entspannung. Mein Körper war immer noch wach um schlafen zu können und die Gedanken voll und ermüdet. Ich sah Bilder, wo meine Hände am Steuer waren und Sekundenunfälle bauten. Egal auf welche Weise. Zum ersten Mal ist mir bewusst, welche Konsequenzen ein Unfall hat, das obwohl ich diesmal nicht am Steuer war.


Anmerkung von Kontrastspiegelung:

^^

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