Chôrizein

Text

von  Akzidenz

Von den Scharlaten bis zu den Kunstgauklern, der Kunstminne, den Falschliebhabern und Betrügern, den Chiromanten, den Wahrsagern und Quaksalbern, den Vorspieglern, die das Theriak verbilligten und falsches Panazee auf Märkten buhlten, den Possen und den Stutzern, den Konzettisten, die die Frauen überreden, und den Künstlern, die sich zu Gottes Unrecht zu viel einbilden, auf ihnen bauen die Schatten der Künste! Denn wie sie Kunstbanausen baut, so baut sie gleich viele Kunsthalbgötter! Und auch hat man diesen Trümmer missverstanden wie die waghalsigen Ausgeburten schlimmer Philotechniker und anderlei Gebärden des Anscheins: denn alles Anscheinende hielt die Künste in ihrer Waagerechten und Balance auf jene, die sie nicht begriffen, und solange man verschleiert hat und überhaufte, was die Kunst in echt nicht war, wurden ihr Strenge und Bedeutung aus größter Misshandlung zuteil; jene Schatten sind es schließlich, die uns in ewiger Wiederkehr von Reue und Scham an die Sagengestalt des Tantalus vom Eignverzehr der Menschenhaftigkeit berichten. Denn auch hat die Kunst ihren Verbiss an menschlichen Schädeln und Kanten zu verbüßen, wie die Musik (alsgleich sich keiner wagt, zu sagen, welche Musik die gründlichste sei) und die Geschmacksfragen der vielen Anstalten um ihrer Auszeichnung willen. So bewirkte es der Mythus der Tantaliden, wie unzählige andere, viel mehr von Menschen als von Phantasien die Rede zu machen; was sie wahr machte, wie so vieles aus der Griechischen Mythologie, weil einer, der sich nicht geziemt sah, mit den Götterdingen wetteiferte. So möchte Ich ihn, den Tantalus, denn als Inbild aller der leichfälligen und betügerischen Erscheinung vom menschlichen Gebrauch der Künste hypostasieren; denn dieser Tage weidet man so vieles aus dem Steine ihrer Weisheit, und alles heißt sich Kunst und Künstler, was den Markt ihre Gerichtung lehrt.

[1] Tantalidentum, die Kehrseite der Kunst, heißt dasjenige Streben aller jener, die sich Künstler heißen und nicht sind, weil sie sich ebenso benennen, nach der Würde und Gestellung der Künste, welche alle ihre Gründe anmuten; es ist aber gleichsam solange das kenomâ, das Beschauen [des Schönen] ohne Seele (oder die Leere), bis agapê (die Liebe) es berichtigt hat. Denn die apprehensio ist, alswann wir die Noema, die Gegenstände der Seele sehen und wo das noumenon, wo also Gott beginnt, das Blut der Trümmergeister neu beseelt wird. So werden sie, wie in der Geschichte des Ham, ein Sohn Noahs, sich darüber reuen lassen: denn Ham, der er seinen Vater Noah eines Nachts auf seinem Bette kragen sah, nachdem dieser plump und trunken in seiner Weinseligkeit hineingestolpert und sich das ganze Kleid von Leibe riss, ergötzte sich so sehr über Noahs entblößten Körper, dass er es anlegte, auch seinen Brüdern dies Gaudium wollen sehen zu lassen. Als diese dann in Noahs Zimmer traten, kehrten sie sich voller Scham die Hände vors Gesicht und bedeckten ihren Vatern sogleich sänftiglich mit einem Felle, sodass dieser nicht mehr nackig lag. Ham, der er immer noch erquickt gewesen von Noahs toller nuditas, wurde so am nächsten Tage, als Noah von den anderen Söhnen erfuhr, welch Schelm Ham doch gewesen sei, bei Gott beklagt und dessen Sohne Kánaan ward verflucht. Ebenso die Ächter die Vernunft der Seele werden riechen müssen, um zu dämmern . .

[2] Die Phronesis ist ähnlich etwas wie die Wanderung der Seele, und zwar die Ausstrahlung der Gedankdinge, bis sie die perseitas boni, den geistigen Eigennutz und damit die Methexis, die Teilhabe der Dinge, im Gegensatze ihrer bloßen Anwesenheit eingehen. Und zwar (,weil) etwas wie die letzte das docta ignorantia, das Beschauen ohne Begreifen ist, wie Gott beschauen ohne Entzücken, diese mir in Anreihung an aphasia [Die Unmöglichkeit, es zu besprechen], Ignorabimus [die Unmöglichkeit, es zu wissen], Apeiron [Die Unendlichkeit, etwas zu glauben], und das non liquet [es ist nicht klar] als dasselbe zu erklären am besten gefällt. Als denjenigen Gottesstoff, der die Seele behaucht, ist weiters der ichor, das ätherische Blut der Götter zu nennen, das sie unsterblich macht und niemals hungrig, als in derselben die Schwere des Menschenfleisches auf der Erde unterm Himmel, ihren Gegenlauf verursacht, die Seele zu erstreben dieswährend dem schweren Fleisch zu erliegen, das gesättigt werden will. Es gilt das Ähnliche sogar für die Teleonomie der Barythmie, will meinen, der Melancholia, als dass sie, während sie raget in die Düsternis der schwarzen Schönheit, dasjenige daimonion sie verhaftet und zugleich verderbt, was unsere Körperlichkeit ist; und Heraklit sagt über das Gesetz der Erde, damit etwas harmonisiere, ein Teil gegen das andere strebte wie der Aither auf die Erde, alsweil uns andernfalls nur noch das Nichts umschlingt und keine Eigenschaften hat. So schwer die Eigenschaft demnach zu benennen, ob irgendetwas dieses oder jenes sei. So erblüht und frönet und erquicket die Melancholie eben dringend (aus) ihrer Fähigkeit, nicht zu versterben. Denn solange sie auf Erden wandelt, regt sich ihr Tod nach dem Geheimnis weiter, welches eben das jenige, das sie auf Erden nur begehrt, und nicht nachher und nicht vorher, sondern im Äone ihres angestammten Geistes und aller jener Artefakte ist, und die nur sie uns deshalb vorbringen kann.

[3] Hinter Gott ist die Eigenschaft (Reinigkeit) der Dinge unbekannt; in der Seele liegen sie geplant. Und Gott fordert es, ihre Schärfe bei sich selbst zu erkennen, wie in einem Spiegel wir das Abbild unseres Leibes erkennen, ohne dahinterzutreten - oder dieses S i c h t e n für wahrer halten als wir uns selbst fürwahr(er) halten. Denn innen sind sie aller finster und loh, verlaufen und zotig: deshalb sind die Dinge, die die Seele rechtschaffen, die philosophia perennes, die Künste und die Scholien aus dem Innern, das Reiben der Seele mit den Farben der Erde. Und würde denn das Himmelsgewölb, dieweil Erebos und Nyx und die Oneiren es verfinstern, uns nicht die Rückseite des Sonnentempels ansehenlassen wie seine Brust sie uns am Tage bloßlegt, so muss auch Nächtliches und Sonnenhaftes noch in unseren Sinnen strahlen und verbergen, um zu erkennen, was wir ansehen, und so muss die Seelenkraft  sich gleichsam spiegeln und entbergen mit dem, dessen sie innesitzt, sonst wäre der Spiegel zu durchgreifen wie das Wasser des Narkissos.

[4] Es gibt weitere Höhen, die den Tantalus, der nämlich den Raub seines Vorbildes begeht, als den Scharlatan, indem er die schönen Künste und die Götter zu einer Lächerlichkeit in Kraft von Eigensucht und Ansehen diffamiert, deklariert, weil er sie (zu oft) falsch begriffen und deshalb halbschlächtig behandelt hat; so er seinem Streben, wie Tantalus, die Ambrosia und Kräfte der Götter, die er beneidete, zu rauben suchte, in des Thanatos bodenloser Tiefe sein Begehr zur Strafe der Götter zu erblicken hatte, ohne es jemals können erreicht zu haben; wie uns der Ausblick über die Gebirge schöntut, ohne auf jedem Flecken ineins zu stehen, so erlitt Tantalus die Qualen seiner Begierden, weil er keine dieser hat umgreifen noch verspeisen können; als so wenig das Wasser, das seinen Niederblick belächelt, zu schlürfen, so auch nicht des Paradieses Apfel, wie er über seinem Haupte regte, aber Fels und Donner über ihn zu schlachten  drohten, aber es niemals taten. Gleich einem anakreontischen Pfau, wir ihm uns nähern, ihn verjagen. Doch ergeht es den Himmeln anderwärts mit allen Fürchten und Geschöpfen herrlich, denn sie  leben in den Gärten allegorischer Luft, den sybaritischen Speisen können sie frönen, weil sie niemals übersättigen und alles haben, wenn sie es wollen, und im feuchten Moose liegen sie, im Almanache der Philomathie, neben ihnen die  kastalischen Musen sich im Teiche benetzen und ihre Liebhaber den locus amoenus zu betreten bei der Hand nehmen, und zwar mit jedem Schritte, den wir ihn durchschweben, so, wie als ob es immer noch der erste. Diesem Reichtum ist die Seele vermögend, denn sie ist rechtschaffen der Erde Blut und Schwere ihres Himmels Dinge. So schön sind Logos und die Seele! So schön ist der Geist und gar nicht anders! als dass er  Heilmittel vonnöten hätte!

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