Das Reh hatte die Falle um etwa 23.43 ausgelöst, was ungewöhnlich war, da Rehe eigentlich zu dieser Zeit zu schlafen pflegen. Das Reh war ein junges Reh - etwa zwei Jahre alt -, die Falle war eine gewöhnliche, handelsübliche Falle der Firma "Claw" und sah aus wie ein Metallgebiss, das sich nur mit einiger Kraftanstrengung aufspannen ließ. Dann sah es aus wie ein Dornenkranz, in dessen Mitte ein kreisrunder Auslöser und darauf ein Köder platziert waren. Die Falle war mit einer Kette von etwa eineinhalb Meter Länge befestigt, die dem Tier genügend Raum gibt, um seine Kräfte zu verschwenden, eine Flucht jedoch unmöglich macht.
Ahnungslos war das Reh dem fremden Duft gefolgt und durch den stockdunklen Wald gestrichen. Uralte Instinkte und die aufgestellten Nackenhaare hatten es durch die Dunkelheit geleitet, vor Hindernissen gewarnt und behütet und es zu der kleinen Lichtung geführt, auf der Falle und Köder ausgelegt waren.
Spielerisch war es zwischen den alten Stämmen hindurch nach vorne geglitten und das Metall im Zentrum des Duftes hatte im Mondlicht wie ein Irrlicht geglitzert; tief hatte es die Lichtung durch die freien Nüstern gesogen und nirgendwo Gefahr oder Feind gerochen.
So war es ohne große Umwege direkt auf den Köder zugegangen. Ganz langsam hatte es seine Nüstern in den Duft getaucht, mit der weichen Schnauze den Köder gestupst, auch um ihn mit dieser - empfindlichsten - Stelle seines Körpers zu ertasten und kennenzulernen. So hatte es den Mechanismus ausgelöst und die Nacht hatte zugebissen.
Erbarmungslos schloss sich das Metall um die stupsende Schnauze und die scharfen Metallzähne glitten fast ohne Widerstand durch Fell, Haut und Fleisch, bis hinein in den knackenden Schädelknochen. Der Schock gab dem Reh für einige Momente gewaltige Kräfte, das erste Gefühl war nicht der Schmerz, sondern die Gefangenschaft, panisch riss es an der Kette und das Metall tiefer in den Kiefer, in das Bewusstsein hinein, dann erst explodierte der Schmerz und schlug das Reh so wie tot auf den Boden.
Dass das Reh überhaupt erwachte war ungewöhnlich, doch die scharfen Zacken hatten die Nüstern so auseinander gerissen, dass es atmen konnte. Mit einem kleinen Pfeifen zog es die Luft durch ein Loch, an dem das Blut vorbei in den Waldboden sickerte. Noch immer war es gefangen und es war schwächer und hoffnungsloser geworden, als es sich vorsichtig aufrichtete.
Mehr zur Probe als zur Befreiung zerrte es an der Kette und ließ mit dem ersten Schmerz sofort wieder ab, dann stand es regungslos in der Nacht und lauschte auf das dumpfe Pochen mit dem das Herz langsam das Blut aus dem Körper pumpte; oben am Himmel leuchteten schwarze Sterne, nur die Beine zitterten gelegentlich und irgendwann, irgendwann traf es eine Entscheidung.
Es duckte sich und spannte die Hinterläufe, alle Kraft verdichtet in einem letzten freien Atemzug, dann setzte es zum Sprung an, stieß sich ab, schnellte in die Luft, schneller als es jemals gesprungen war und das Universum erstarrte für einen einzigen Moment, dann wurde es zurückgerissen und mit einem hässlichen Knacken schloss sich die Falle vollständig. Ein letzter Schwall Leben ergoss sich in die Nacht; die Beine zuckten noch, als das Hirn lange tot war.
Am nächsten Morgen warf ein Mann das Reh in einen Sack, den er kopfschüttelnd auf die Ladefläche seines Wagens stellte.