Morgens
Es war bereits früher Morgen als ich die Veranstaltung verließ, Dämmerlicht kroch durch die Gassen und nur die großen, trägen Kehrmaschinen, die unablässig den Unrat der letzten Nacht in sich hineinfraßen, störten ein wenig die Ruhe. Ansonsten schlief alles noch; alles lag still und friedlich, bis ich an einer Straße vorbeikam, die ein wenig dunkler schien als die anderen. Von dort hörte ich seltsame Geräusche, etwa so, wie wenn man einen nassen Lappen auf das Pflaster schlägt, ein regelmäßiger Takt, der nur durch kleine Pausen unterbrochen wurde und hinter dem sich – wenn man genau hinhorchte – ein Wimmern verbarg, das sowohl Mensch als auch Tier gewesen sein könnte. So oder so weckte es mein Interesse und ich beschloss nachzusehen, was sich dort im Verborgenen abspielte. Bald schon entdeckte ich zwei Männer, die dort mit Knüppeln auf einen Dritten, der zwischen ihnen auf dem Boden lag, einschlugen. Sie schienen dabei ein eingespieltes Team zu sein, fast so wie Waldarbeiter, die ihre großen Sägen nur gemeinsam durch das Holz zwingen können und wenn es einmal ein Kampf gewesen war, so war er längst entschieden. Der Dritte wehrte sich nicht, lag nur krumm zwischen ihnen und hatte die Hände vor den Kopf gehoben, um sein Gesicht zu schützen. Nur ab und zu drang jenes Wimmern aus seinem Körper, das mich in die dunkle Straße gelockt hatte.
Die beiden Männer schienen nicht wütend zu sein, vielmehr prügelten sie so, wie man eine lästige Aufgabe erledigt und dabei waren ihre Bewegungen so routiniert – immer wenn der eine den Knüppel hob, ließ der andere ihn hinuntersausen – , dass ich schnell begriff, dass es Polizisten sein mussten, auch wenn keiner von ihnen eine Uniform trug. „Entschuldigen Sie bitte“, sprach ich die Beiden an, die so in ihre Arbeit vertieft waren, dass sie mich zunächst nicht bemerkt hatten, „geht hier denn auch alles mit rechten Dingen zu?“
Erschrocken ließen sie von ihrem Opfer ab, so wie man erschrickt, wenn man in einer dunklen Gasse unvermittelt angesprochen wird, „Sie haben uns erschreckt“, sagte schließlich auch einer der Beiden, als sie sich zu mir umwandten, und dann zu seinem Begleiter: „Hast du etwa vergessen die Straße abzusperren?“
Ich trat noch einen Schritt näher und konnte sie nun besser erkennen. Einer, der das Kommando zu haben schien, war ein wenig kleiner und untersetzter als sein Kollege, ansonsten waren sie kaum voneinander zu unterscheiden, beide etwa um die 40, beide trugen sie einen Schnurrbart und sahen damit nicht unfreundlich aus. Wortlos musterten wir einander und auch der Geprügelte am Boden hatte sich vorsichtig ein Stück weit aufgesetzt und blickte mich hilfesuchend an.
„Bitte gehen Sie weiter“, sagte der Größere der Beiden schließlich, „wie Sie sehen, stören Sie hier eine laufende Polizeiaktion“ und wie zum Beweis ließ er seinen Knüppel noch einmal auf den Geprügelten hinuntersausen, der sich immer weiter aufgerichtet hatte. Auch der Kleinere der Beiden hatte sich wieder umgewandt und seine Arbeit wiederaufgenommen. „Bitte stören Sie nicht unsere Arbeit“, sagte er hastig zwischen zwei Schlägen und es schien eine unausgesprochene Drohung hinter diesen Worten zu lauern.
Dies alles leuchtete mir ein, doch auch wenn es mit fern lag die Arbeit der Polizisten zu behindern, – denn schließlich war die Arbeit der Polizei ja ein unablässiger Dienst am und für den Bürger – hatte der Mann am Boden, der mich an einen entfernten Bekannten erinnerte, mein Interesse geweckt. „Was hat er denn verbrochen?“, fragte ich möglichst beiläufig.
Seufzend ließ der Kleinere der Beiden erneut von dem Mann am Boden ab und wandte sich zu mir um. Man sah ihm an, dass er zögerte, doch da die Arbeit anscheinend sehr anstrengend und ihr Rhythmus ohnehin nun erneut gestört war, wandte er sich mir schließlich doch vollends zu, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und entzündete sich eine Zigarette.
„Dieser Mann dort“, sagte er und wies dabei auf den Geprügelten, „hat die Frechheit besessen fortwährend Widerstand zu leisten. Wir prügeln ihn jetzt schon eine gute halbe Stunde und bislang hat er noch nicht die geringste Einsicht gezeigt. Sehen Sie“, sagte er und wies dabei mit der Hand in eine unbestimmte Richtung, so als gäbe es dort etwas zu sehen, „wir sind ja nicht einmal mehr im Dienst, es war eine lange Nacht und es ist bestimmt schon der Fünfte, den wir heute prügeln. Mir macht dies wenig, ich nehme es sportlich und bin überdies noch Junggeselle, aber mein Kollege hier hat Frau und Kinder, die sich bestimmt bereits sorgen und fragen, wo denn der Mann, wo denn ihr Vater so lange bleibt.“
Der andere Polizist aber hatte das Gespräch zunächst mit wachsendem Unmut verfolgt, schließlich musste er, da die Unterstützung seines Kollegen ausfiel, nun die doppelte Arbeit verrichten, doch nun schienen ihn die Worte zu besänftigen, die Betonung der Arbeitsmoral, die Erwähnung von Frau und Kindern zauberten ein Lächeln auf sein Gesicht und fast schien es so, als ob auch die Schläge ein wenig sanfter trafen, schließlich ließ er ganz von dem Geprügelten ab und nahm eine bequemere Haltung ein. Für einen Moment kehrte die Stille in die kleine Gasse zurück, nur die großen trägen Kehrmaschinen waren noch immer zu hören. Inzwischen war es helllichter Tag. Der Mann am Boden lag regungslos, nicht mal mehr das Gesicht versuchte er zu schützen.
„Ich will mich ja nicht einmischen“, sagte ich schließlich, „aber ich stehe schon eine ganze Weile dabei und habe bislang nichts von seinem Widerstand bemerkt.“
„Das ist auch nicht verwunderlich“, antwortete der Größere der Beiden nicht ohne Stolz, „schließlich sind Sie ja auch nicht wie wir ausgebildet Widerstand zu erkennen, so denken die einfachen Bürger“, sagte er halb zu mir und halb zu seinem Kollegen, um dann zu erklären:
„nur weil sich jemand nicht wehrt, bedeutet das noch lange nicht, dass er keinen Widerstand leistet. Solchen Widerstand erkennt zugegebenermaßen auch der Laie, aber glauben Sie mir: der geistige Widerstand ist viel ärger als der physische. Nicht dass ich damit die Steinewerfer und Randalierer in Schutz nehmen möchte, aber der geistige, der subversive Widerstand ist für unseren Staat die weitaus größere Gefahr. Er vermag es den Staat von innen heraus zu zersetzen und selbst die rechtschaffenen Bürger gegen die Polizei einzunehmen.“
Auch dies leuchtete mir ein, doch gerade auch, weil ich mich schon immer für die Polizeiarbeit interessiert hatte, konnte ich eine letzte Frage nicht unterdrücken. „Wie aber erkennen Sie geistigen Widerstand?“, fragte ich die Polizisten.
„Da müssen Sie Verständnis für das Dienstgeheimnis haben“, antwortete der Kleinere der Beiden und schnippte seine Zigarette in einen Hauseingang, was auch dem Größeren ein Zeichen war, dass die Pause nun bald enden würde, „Sie müssen verstehen, dass dies Interna sind, die in den Händen der falschen Kräfte einen gewaltigen Schaden für unsere Polizeiarbeit bedeuten würden. Der Staatsfeind hat ja schließlich seine Ohren überall und selbst in dieser abgelegenen Gasse bliebe wohl nichts ungehört, das wir Ihnen anvertrauen. Ich sage nur so viel, dass es geheime und dabei doch eindeutige Anzeichen gibt, durch die sich der geistige Widerstand für den Wissenden durchaus auch in der Physis bemerkbar macht. Dem einfachen Bürger mögen diese wohl unsichtbar bleiben, doch uns sind sie eine wesentliche Grundlage und Stütze unserer Polizeiarbeit. Dieser Mann dort beispielsweise“, sagte er und trat dabei dem Regungslosen in das jetzt schutzlose Gesicht, „hätte wohl auf die meisten Menschen unbescholten, wenn nicht gar – ich lehne dieses Wort eigentlich ab – ’unschuldig’ gewirkt. Ähnlich wie Sie ging er durch diese Gasse und doch gab es kleine Besonderheiten des Ganges, der Gestik, der Mimik, schließlich der Stimmfarbe, die ihn für uns beide – ganz unabhängig voneinander – eindeutig als geistigen Widerständler kennzeichnen. Ein nur mittelmäßig ausgebildeter Polizist würde diese vielleicht übersehen, aber wir – und ich sage dies nicht ohne Stolz – haben ihn sofort erkannt. Jetzt aber müssen Sie uns entschuldigen, denn die Arbeit hier ist noch lange nicht getan. Dieser Widerstand ist bei Weitem noch nicht gebrochen.“
Mit diesen Worten wandte er sich ab, hob den Knüppel und wartete – so wie man dies von größeren Orchestern kennt – bis sein Kollege bereit war, um das Prügeln fortzusetzen.
„Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben“, sagte ich noch, doch da waren die Beiden schon wieder viel zu vertieft in ihre Arbeit. Am Gassenausgang lauschte ich – so wie jemand, der ein Geheimnis kennt – noch einmal auf den Takt der Schläge. Nur das leise Wimmern war inzwischen verschwunden und auch die großen trägen Kehrmaschinen in ihre Hallen zurückgekehrt. Als ich auf die Hauptstraße abbog, lag diese so rein vor mir, dass sich der neue Morgen schillernd in ihr spiegelte.