Herr Meier

Text zum Thema Tiere

von  Rollsen

Herr Meier hatte ein Problem.

Herr Meier war frischgebackener Erbe des Betriebes seines Vaters, was eingedenk des traurigen Umstandes, dass eben dieser Vater vor kurzem gestorben war, an sich kein großes Problem darstellen konnte. Zumindest war dies etwas, das jeder Außenstehender wahrgenommen und begrüßt hätte: eine gutlaufende Firma, keine Schulden, keine Absatzschwierigkeiten, keine Scherereien mit der Konkurrenz. Die geerbte Firma war solide, beschäftigte viele Angestellte und warf ganz ordentliche Gewinne ab. Herr Meiers Problem war von anderer Natur: er - Mitdreißiger mit abgebrochenem Philosophiestudium, helle aber schlecht organisiert, war leidenschaftlicher Vegetarier. Nicht nur, dass er Fleisch einfach nicht essen mochte, er verabscheute alles und jeden, der mit der Fleischproduktion im Allgemeinen zu tun hatte. Sein Problem war, dass der geerbte väterliche Betrieb ihn zu einem Fleisch- oder genauer - Geflügelproduzenten par excellence gemacht hatte, handelte es sich doch ausgerechnet um eine Putenfarm. Herrn Meier tat es nicht leid um seinen alten Herrn. Meier Junior und Meier Senior waren vor Jahren im Streit auseinander gegangen und haben sich schon lange nicht mehr gemocht oder sich etwas zu sagen gehabt. Dass diese Erbschaft eine verspätete und äußerst zynische Rache seines Vaters sein sollte, konnte er nicht glauben. Es lag wahrscheinlich nur an den fehlenden sonstigen Erben, die ihm hätten vorgezogen werden können. Herr Meier war Einzelkind, seit seine Mutter ein paar Jahre zuvor gestorben war, Halbwaise, seit neuestem sogar Vollwaise und voller moralischer Bedenken. Er grübelte und grübelte. Er überlegte, was er mit der Firma machen konnte, ohne sie zu schließen, denn er wollte auch niemanden um seinen Job bringen. Oder sollte er anders an die Sache herangehen? Wenn schon eine Putenfarm, dann aber richtig und den Tieren eine menschen- besser: putenwürdige Zeit auf diesem Planeten schenken? Herrn Meier kam das irgendwie abgeschmackt und verlogen vor.

Da er nicht weiterkam - wortwörtlich, denn er saß gerade in einer Gondel eines Riesenrades, das auf dem Bremer Freimarkt stand -, griff er zum Handy und rief kurzerhand den Tierschutzbund an.

"Hier der Tierschutzbund Bremen, wie kann ich Ihnen helfen?" schalmeite die Stimme der Frau am anderen Ende der Leitung.
"Ähm, ja. Mein Name ist Meier und ich bin Besitzer einer Putenfarm..." -
"Jaaaa...", kam es gedehnt von der Telefonistin.
"Und... - ähm, ich bin Vegetarier und - ähm - wollte wissen, ob - äh, Sie mir einen Rat geben könnten..."

Ein paar nachdenklich-stille Sekunden später sagte die Frau vom Tierschutzbund, er solle sich zum Teufel scheren, verarschen könne sie sich selber und wünschte ihm einen guten Tag noch, was Herr Meier nicht für sehr hilfreich hielt.

Daraufhin probierte er es bei der Tierschutzorganisation PETA:

"Hier Peta Deutschland, wie kann ich Ihnen helfen?"

Er hielt sich knapp: "Ich heiße Meier. Ich bin Besitzer einer Putenfarm. Ich bin Vegetarier und will das nicht. Was kann ich tun?"

Stille. Dann noch mehr Stille. Dann: explodierte die Frau am anderen Ende der Leitung förmlich und hielt Herrn Meier einen langen, gepfefferten Vortrag darüber, was er sie kreuzweise könne und überhaupt möge er doch sterben oder wünschte sich, dass ihm wenigstens der Blitz in die Schüssel führe, wünschte ihm seltsamerweise auch einen guten Tag, stilecht verbunden mit einem "Leck mich!" und legte auf.

Herr Meier fand auch dieses Telefonat nicht wirklich zielführend. Während er also verlassen mit seinen Gedanken in der Riesenradgondel saß, überlegte er weiter und sah sich dabei den gesamten Freimarkt von oben an. Als er so seinen Blick schleifen ließ, sah er plötzlich, wie ein ganzer Pulk von silbernen Luftballons in den dunklen Himmel losgelassen wurde. Die Ballons stiegen höher, verteilten sich und wehten in alle Richtungen davon, ganz so, wie man Vögel in die Freiheit entlässt. Herr Meier resignierte und entschloss sich, die Firma doch zu schließen, fragte sich, ob er deswegen ein guter oder ein schlechter Mensch wäre und als er einsam so da saß, fuhr das Riesenrad stoisch seine Runden, Ballons stiegen höher in die Lüfte und cholerische Telefonistinnen glaubten gute Gründe zu haben, sich künstlich aufzuregen.


Anmerkung von Rollsen:

Diese kurze Geschichte ist vor kurzem in einem Schreibspiel etwa innerhalb einer Stunde entstanden. Das Spiel lief so ab, dass jeder in einer Gruppe ein paar Schlagworte auf einen nummerierten Zettel schreiben musste (einen Ort, einen Gegenstand, zwei Charaktere). Dann kam alles in einen Hut und man musste diese Begriffe zufällig ziehen und daraus dann eine Geschichte konstruieren. Meine gezogenen Lose waren:

1) eine Gondel am Riesenrad
2) Luftballon
3) ein Besitzer einer Putenfarm (ist selber Vegetarier) und
4) cholerische Telefonistin

Ich glaube, das habe ich einigermaßen hingekriegt.

R.

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Kommentare zu diesem Text

Carrie-Ann (19)
(22.09.13)
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 loslosch (29.09.13)
die namen sind das salz in der suppe. erinnert mich an prof. hase alias stefan raab.  hier mein favorit.
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