Die IQ-Waage

Kurzgeschichte zum Thema Intelligenz

von  Wortsucht

Wenn ich von einer Verkäuferin an die Kasse gerufen werde, dann kann es nur zwei Dinge bedeuten: Ärger oder Spaß. So auch gestern.

Eine Kundin ohne Sympathiebonus hatte sich an der Kasse beschwert, dass die Nudeln, die sie soeben gekauft hatte, zum vollen Preis berechnet wurde und nicht, wie auf dem Plakat am Regal, 20% günstiger. Ich ging zum Regal und stellte fest, dass ich tatsächlich ein Plakat der Vorwoche nicht entfernt hatte. Dies konnte ich an dem Text: „Gültig vom 16.10.2012 – 22.10.2012“ erkennen. Ich zeigte der Kundin das entsprechende Plakat, wies auf die Datumsbeschriftung hin und wollte eben mitteilen, dass sie den Rabatt selbstverständlich bekommen würde, als sie mich mit den Worten: „Rechtlich gesehen habe ich einen Anspruch auf den Rabatt, wenn sie das Plakat vergessen!“ angriff.



Das war genau der richtige Ansatz, um von mir etwas zu bekommen.

„Meine Liebe,“ begann ich meine Ausführungen, „wenn sie schon so genau über das Recht bescheid wissen, dann sollte ihnen auch bewusst sein, dass ein zeitlich beschränktes Angebot nur innerhalb der ausgewiesenen Zeit gilt. Wie es hier steht: 16.10.2012 – 22.10.2012!“

Ihr Kopf wurde rot, sie wollte sich aber nicht entschuldigen! „Ich weiß doch nicht immer, welches Datum gerade ist!“

„Nur so für mich, damit ich es verstehe: Sie kennen die komplette Rechtslage in der Schweiz, wissen aber nicht, welches Datum wir heute haben?“ Ihre Sprachlosigkeit betrachtete ich als Bestätigung. Und noch bevor sie wieder Worte fand, klärte ich sie auf.



„Es ist sehr gefährlich, sich in Rechtsdingen nicht an die Fristen und Daten zu halten! Schon viele Schwerverbrecher sind wegen Verjährung davon gekommen! Und hätte man sie einen Tag früher erwischt, wären sie Lebenslänglich hinter Gitter gesperrt worden!

Nun, im vorliegenden Fall geht es ja nicht um Leben und Tod, sondern um den Betrag von 20% von Fr. 1.30.“

Sie starrte mich sprachlos an. Vielleicht rechnete sie sich gerade aus, wie viel Geld sie sparen, respektive erstreiten konnte.

„Bestimmt haben sie schon vom neuesten kantonalen Bundesgesetz gehört?“ fragte ich rhetorisch. „Es regelt genau solche Fälle von Irrtum und Falschinterpretation. Dazu wird der IQ des Kunden berücksichtigt. Ich nehme an, ihr IQ ist ziemlich hoch?“ Sie nickte begeistert und erklärte, dass dieser in ihrem Fall aber noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen wurde.

„Das ist kein Problem, auf Grund des neuen Gesetzes sind die Läden verpflichtet, eine IQ-Waage bereitzuhalten. Damit wird die Intelligenz eines Menschen unverzüglich festgestellt. Der erste Test ist kostenlos.“ Ihre Verärgerung schien verflogen und in Begeisterung umzuschlagen.

Ich holte im Büro meine zufällig herumstehende Personenwaage.

Inzwischen hatte sich eine kleine Gruppe von Kunden um die Frau versammelt und ich legte ihr die Waage vor die Füße.

„Sie müssen sich nun ganz langsam auf die Waage stellen und 5 Minuten nicht bewegen.“

Die IQ-Anzeige schnellte in die Höhe und blieb bei 82 stehen.

„Nicht bewegen!“, ermahnte ich sie, „in 5 Minuten komme ich zum Ablesen zurück!“

Ich dehnte die 5 Minuten etwas aus und als ich nach einer Viertelstunde wieder bei der Dame war, zeigte die Waage immer noch 82 an.

Ich schaute sie fragend an. „Sie haben sich bewegt?!“ Sie nickte verlegen. „Die 5 Minuten kamen mir wie eine Ewigkeit vor!“

„Nun, dann müssen wir eben noch einmal beginnen. Dieses mal ist es aber nicht kostenlos! Wollen sie es für Fr. 2.00 nochmal versuchen?“ Sie nickte und holte das Geld aus der Börse.  Nach weiteren 10 Minuten stellte ich fest, dass die Waage immer noch auf 82 stand. Ich erlöste sie mit den Worten: „Ihr IQ beträgt 20% von 82. Ich gratuliere, sie sind somit die Intelligenteste in ihrer Familie und bekommen deshalb ein Packet Nudeln von mir umsonst!“

Sie schien emotional etwas hin und her gerissen, bedankte sich für meine Geduld und verließ den Laden. Triumphierend  drehte sie sich noch einmal zu mir um, winkte mit den Nudeln und rief mir zu: „Sehen sie, die Gerechtigkeit siegt immer!“ Ich winkte zurück.

Ich hab ja gleich gesagt: Wenn ich an die Kasse gerufen werde, bedeutet es Ärger oder Spaß. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß …


Anmerkung von Wortsucht:

Eine neue Dorfladengeschichte

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Kommentare zu diesem Text

Nimbus (37)
(27.10.12)
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 Wortsucht meinte dazu am 27.10.12:
Hallo Nimbus,
danke für deinen Kommentar! Hast du dir schon überlegt, dass die Geschichte erfunden sein könnte?

Willst du die Realität wissen?
Eine Kundin ohne Sympathiebonus hatte sich an der Kasse beschwert, dass die Nudeln, die sie soeben gekauft hatte, zum vollen Preis berechnet wurde und nicht, wie auf dem Plakat am Regal, 20% günstiger. Ich ging zum Regal und stellte fest, dass ich tatsächlich ein Plakat der Vorwoche nicht entfernt hatte. Dies konnte ich an dem Text: „Gültig vom 16.10.2012 – 22.10.2012“ erkennen. Ich zeigte der Kundin das entsprechende Plakat, wies auf die Datumsbeschriftung hin und wollte eben mitteilen, dass sie den Rabatt selbstverständlich bekommen würde, als sie mich mit den Worten: „Rechtlich gesehen habe ich einen Anspruch auf den Rabatt, wenn sie das Plakat vergessen!“ angriff.
„Ich weiß doch nicht immer, welches Datum gerade ist!“


Dieser Textabschnitt ist wahr. Abgesehen vom Datum.
In Wirklichkeit hat sie die Nudeln umsonst erhalten, obwohl ihr nur den Betrag von 20% zugestanden hätte. Ich habe mich für den Fehler entschuldigt, obwohl sie sehr unfreundlich auftrat. Und es handelte sich um einen modernen Supermarkt.

Alles Andere ist Erfindung und gehört zu den boshaften Geschichten aus dem Dorfladen. Keine Sorge!
Und nimm das Leben nicht so ernst ...
Liebe Grüsse
Urs
Nimbus (37) antwortete darauf am 27.10.12:
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gaby.merci (61)
(27.10.12)
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 Dieter_Rotmund (28.10.12)
Nun, ich muss sagen, so schlecht die Kundin in dieser Geschichte auch wegkommt, mein Herz schlägt dennoch für sie. Es ist, wenn wir ehrlich sind, Alltag: In allen Läden, auch in den, in denen "nur" Lebensmittel verlauft werden, muss man darauf achten, dass man nicht beschissen wird, sei es aus Berechnung oder einfach nur aus Schlampigkeit.
Fazit: Erste Hälftel der Geschichte gerne gelesen.
Scrag (24)
(19.11.12)
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 Dieter Wal (29.11.12)
Kundenverarschung jetzt auch bei KV! Hoffentlich führt euer Laden das Antiidiotikum: Antideppressivum Forte + (Bitte beachte das doppelte P!) Kostenlose Probepackungen verteilen!
(Kommentar korrigiert am 29.11.2012)
KoKa (44) schrieb daraufhin am 29.11.12:
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KoKa (44)
(29.11.12)
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