Veganer

Kurzgeschichte zum Thema Alltag

von  Wortsucht

Manchen Menschen sieht man ihre Weltanschauung bereits von Weitem an. Die junge Frau, das eben den Laden betrat, war genau so eine. Ihre Kleider hatte sie wohl im Handarbeitsunterricht selbst genäht. Aus Stoffen vom Restehaufen. Die Espadrilles, die sie an den Füssen trug, waren vermutlich auch selbstgemacht. Ob es deren Lebensdauer verlängert, wenn man damit durch den Schnee läuft, wagte ich zu bezweifeln.

Entspannt war sie, als sie durch den Laden wandelte. Eingehüllt in eine Duftwolke aus frisch gerauchtem Gras.

Woran man einen Veganer erkennt?

Er wird es dir bei der ersten Gelegenheit erzählen … Sie machte da keine Ausnahme.

Ich war gerade damit beschäftigt, die Fleischlieferung in den Kühler zu räumen, als sie neben mir stehen blieb.

“So viele Kadaver!”, sagte sie seufzend.

Ich schaute sie an. “Ja, natürlich sind das Kadaver. Lebende Kühe zu essen ist recht mühsam!”

Sie schien nachzudenken. Nach einer Weile sagte sie: “Finden Sie es nicht auch unfair, dass der Mensch sich über die Tiere stellt und sie deshalb isst?”

“Nun, ganz so einfach ist es ja nicht!”, entgegnete ich. “Wenn ich in Afrika einen Spaziergang mache und ich von einem Löwenrudel entdeckt werde, dann werde wohl eher ich gefressen!”

“Das Beispiel hinkt!”, entgegnete sie triumphierend, “Sie würden ja wohl auch keinen Löwen essen, wenn man ihn im Käfig halten würde!”

“Da haben sie wohl recht – aber ich vermute, das liegt mehr an unserer Kultur. Wir züchten und essen Tiere, die hier Leben. Nutztiere, die man einigermaßen gefahrlos halten und schlachten kann.”

“Genau! Finden sie es nicht unfair, dass man die wehrlosen Tiere nur zum töten und essen züchtet? Und die gefährlichen nicht? Ich finde, man sollte alle Lebewesen mit dem gleichen Respekt behandeln!”

“Ja, natürlich!” entgegnete ich. “Ich stelle die Tiere auf die gleiche Ebene wie den Menschen!”

“Nein, das tun Sie eben nicht, wenn sie Tiere essen!”, konterte sie gereizt.

“Wer sagt denn, dass ich nur Tiere esse und keine Menschen?”

Mit großen Augen starrte sie mich an.

Sie wirkte irritiert. “Tun sie nicht wirklich, oder?”

“Wer weiß … “, antwortete ich, “Fair wär’s … und leicht zu fangen sind sie auch!”

Ich legte dazu den Arm um ihre Schultern.

Wenige Augenblicke später konnte ich meine angefangene Arbeit fortsetzen. Die junge Frau bezahlte an der Kasse ein paar Äpfel und verließ den Laden wieder. Ich habe sie seither nie mehr gesehen.

Hoffentlich ist ihr nichts passiert, sie sah recht lecker aus …


Anmerkung von Wortsucht:

Eine neue Dorfladengeschichte. Und für alle, die sich jetzt Sorgen machen: Sie ist frei erfunden!

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Kommentare zu diesem Text

LottaManguetti (59)
(04.01.18)
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matwildast (37) meinte dazu am 04.01.18:
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Graeculus (69)
(04.01.18)
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 Jericho (04.01.18)

 ManMan (04.01.18)
Dem Argument, dass wir allen Lebewesen mit gleichem Respekt begegnen sollen, konnte ich noch nie etwas abgewinnen. Ich denke da an Mücken, Fliegen oder Ratten. Irgendwo hört der Spaß auf, meint da mein Fleisch fressendes Ich Und ich mag Fleisch, auch wenn ich darauf achte, dass ich nur mäßig davon esse.
fragilfluegelig (49)
(04.01.18)
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 sandfarben (05.01.18)
Wieder eine sehr gelungene Dorfladengeschichte, die man nicht allzu ernst nehmen darf. Ich habe mich jedenfalls beim Lesen köstlich amüsiert und zugegeben: manche Menschen hat man wohl auch zum Fressen gern. )
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