Verschwörungstheoretiker

Kurzgeschichte zum Thema Allzu Menschliches

von  Wortsucht

Manchmal weiss ich echt nicht, ob die Menschen immer dümmer werden, oder ob ich zu hohe Ansprüche habe. Überall wird gelogen und betrogen. Aber wenigstens kann man an dummen Menschen leicht Geld verdienen.
Der Typ, der heute in den Dorfladen kam, ist mir sofort aufgefallen. Er schlich fast in den Laden und blieb dann im Eingangsbereich stehen. Von dort aus beobachtete er den ganzen Laden. Er schien etwas zu suchen. Ich reagierte nicht darauf.

Nach einer Weile setzte er sich dann doch in Bewegung – aber nur, um drei Meter weiter wieder stehen zu bleiben und den Laden zu inspizieren. Nun stand er aber so nah bei mir, dass es mir zu blöd wurde. «Suchen sie etwas? », fragte ich.
«Kameras», flüsterte er. «Wie bitte? » fragte ich nach.
«Ich will sichergehen, dass ich nicht von Kameras erfasst werde! »
«Und warum? Wollen sie den Laden ausrauben? », fragte ich, nicht wirklich eingeschüchtert.
«Huch, wie kommen sie denn auf so etwas? Das würde ich nie tun! », antwortete er überrascht, «Ich will bloss nicht, dass irgendjemand mitbekommt, dass ich hier bin! Es geht niemanden etwas an, wo ich bin! »
Ich runzelte die Stirn. «Und wer sollte sich dafür interessieren, wo sie sind und was sie tun? »
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. «Wie naiv sind sie denn? », fragte er mich, «Haben sie noch nicht bemerkt, dass uns die Regierung auf Schritt und Tritt verfolgt?

Oha. Ich naiv? Genau …

Ich holte tief Luft. «Natürlich weiss ich, dass ich von der Regierung auf Schritt und Tritt verfolgt werde! Ich habe das so bestellt! Das steht im Kleingedruckten auf der Steuererklärung. Wenn man aus Sicherheitsgründen vom Staat beobachtet und überwacht werden will, so kann man das mit seiner Unterschrift bestätigen! Dadurch wird man ständig beschützt, es stehen einem rund um die Uhr Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte zur Verfügung! Aber das funktioniert nur, wenn die auch wirklich wissen, wo man gerade ist! Also ich bestelle diesen Service jedes Jahr! Sie etwa nicht? »

Da fiel mir wieder ein, was ich an dummen Menschen so schätze: Sie brauchen viel länger, um zu schnallen, wenn man sie verarscht.

Der Mann fand endlich Worte. «Sehen Sie? Genau so wird man manipuliert! Ich habe das Kleingedruckte noch nie gelesen! Aber wenn ich das gewusst hätte, hätte ich meine Steuererklärung niemals unterschrieben! »

«Hmm, da waren Sie aber unvorsichtig!», sagte ich zu ihm. «Aber wissen sie was? Es gibt eine Möglichkeit, trotz des unfreiwilligen Einverständnisses, sich der Überwachung zu entziehen! Man kann sich unsichtbar machen, indem man einen TÜV-geprüften Aluhut aufsetzt! Diese sind nicht so einfach zu bekommen, aber wie es der Zufall so will, verkaufen wir hier im Laden solche Aluhüte! »

«Echt? » , fragte er. «Und wie funktionieren diese Hüte? Mit Strom? »
«Nein, machen Sie sich keine Sorgen, die Hüte sind nur zum abschirmen da! Ich hole ihnen gleich mal einen. Grösse 58 sollte passen… »
Ich ging in den Keller und nahm aus der Kiste mit Alutellern einen heraus, beschriftete ihn mit einer Preisetikette. 79.90. Und darüber ein Aktionsetikett. 49.90. Mit der Faust bog ich den Teller zurecht und ging damit zu meinem Kunden. 

Der Aluhut passte perfekt.
Der Mann ging an die Kasse, bezahlte und verliess den Laden. Die Kassiererin rollte mit den Augen. «Echt jetzt? », fragte sie mich. Ich grinste. Sie kannte meine Methoden …
Wenige Minuten stand der Mann wieder bei mir.
Er wolle testen, ob der Hut auch wirklich funktioniere, erklärte er. Ich bestätigte ihm, dass ihn keine Kamera erfasst habe, als er den Laden betreten habe.
Und das war übrigens nicht gelogen! Wir haben gar keine Kameras im Dorfladen …


Anmerkung von Wortsucht:

Eine neue Dorfladengeschichte, die sich so natürlich nie zugetragen hat!

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Kommentare zu diesem Text

Stelzie (55)
(12.08.20)
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Aha (53)
(12.08.20)
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 Dreamer (13.08.20)
Ein nicht geringer Prozentsatz unserer Mitmenschen würde den Aluhut schon kaufen, weil er 30 Öcken billiger ist...

...aber ich hab nichts gesagt :-D

Gruß Dreamer

 Dieter Wal (13.08.20)
Wir sind nicht dumm, sondern einfach Besorgte Bürger.

 AvaLiam (15.08.20)
Ich habe eine Freundin, die - durch ziemlich traumatisierende Einflüsse - selbst Angst vor Telefonen und Kameras hat, das Gefühl, beobachtet zu werden etc....insofern find ich es nicht wirklich ganz so zum schmunzeln...es gibt einige Menschen, die wirklich Angst haben - und ob diese nun begründet ist oder nicht, erlaubt es keinen anderen Menschen, sich darüber lustig zu machen.
Ja - ich hatte in meiner Obhut einen etwas geistig nicht "norm"gerecht entwickelten Jugendlichen, der Angst vor einem Wollfaden hatte (und nein, man hat ihm diese Einschränkung nicht SOO eindeutig angemerkt) und es gibt noch zahlreiche andere, fast phänomenale Ängste... denk ich allein an die Angst, von einer Ente beobachtet zu werden...

Im Gegensatz dazu mag ich natürlich auch, über die ein oder andere Kuriosität zu schmunzeln. Daher gefällt mir an sich der Geschichtenansatz ganz gut. Man darf auch mal jemanden auf die Schippe nehmen. Na klar.
Aber so ein wenig drüber finde ich schon, dass (auch wenn es nur eine fiktive Geschichte ist) hier noch jemand über den Tisch gezogen wird.

Das Blöde ist, dass ich die Geschichte trotzdem gern gelesen habe.

Verdammt - jetzt schreib ich mich um Kopf und Kragen und stelle fest, ich bin im totalen Zwiespalt.

Kennst du das? Du findest etwas moralisch zweifelhaft und/oder verwerflich und dennoch ist da so etwas wie Gefallen daran? :D

Naja - trotzdem ich mich nun total verhaspelt habe, lass ich das einfach mal so stehen.

Liebe Grüße - Ava

 Wortsucht meinte dazu am 15.08.20:
Hallo Ava,
es ging in diesem Text absolut nicht gegen Menschen, die wirklich Ängste haben oder gar eine Behinderung haben, darüber mache ich mich niemals lustig! Es geht mir um die Verschwörungstheoretiker, die sich selbst als so "wertvoll" und wichtig anschauen, dass, wer auch immer, ein Interesse haben könnte, sie zu beobachten.
Ich freue mich, dass dir die Geschichte dennoch gefallen hat... ein bisschen...

Liebe Grüsse
Wortsucht
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