In Deutschland wächst das Geld auf den Bäumen

Erzählung zum Thema Andere Welten

von  sandfarben

Die Sonne brennt auf die schlecht gekleideten Kinder. Schuhe trugen sie keine, nicht im Sommer. Da spart man das Geld und kauft Kirschsaft, den man 1:10 verdünnen kann.  Oder für ein paar Schuhe für den Winter. Meistens werden die Schuhe untereinander ausgetauscht, je nachdem, wer sie gerade benötigt. Nicht jedes Kind hat ein eigenes Paar. Und Kinder werden geboren in diesem gottesfürchtigen Land, jährlich eines, schnell, bevor der Pfarrer vorbeischaut. 

Der Kaufmannsladen steht am Wegesrand. Auf der Bank sitzt der Bauernbub und bietet seine Waren dar.  Die Disteln werden als Bürsten verkauft und Haselnussblüten als Würstchen.  Die aus Sand geformten Brote liegen der Reihe nach auf einem Brett. Die Nachbarskinder kaufen und zahlen per Handschlag. Ein Schlag sind 10 Lire, zwei Schläge 20 und so weiter. Größere Summen kennen sie nicht.

Ein paar deutsche Touristen streifen durch das Dorf. Sie fragen, was sie da machen. Sie antworten nicht. Die Sprache klingt fremd und edel.
Sie kichern und drehen sich schnell weg.
„Guck nur diese dreckigen Wesen“, sagt der Mann und dann schmunzeln sie.
Plötzlich greift er in seine Hosentasche und holt eine Handvoll 10 Lire Münzen heraus, wirft sie in die Luft und sagt: „So Kinder, dann fangt mal schön“.
Die Kinder kriechen auf der Erde herum und stecken die Münzen ein.

Die Deutschen gehen weiter.  Den Kopf Richtung Himmel. Der da oben wird ihre Gutmütigkeit belohnen.


Anmerkung von sandfarben:

Südtirol 1962

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Kommentare zu diesem Text

ChrisJ. (44)
(22.06.13)
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 sandfarben meinte dazu am 23.06.13:
Danke Koka, ich stimme deinem Kommentar zu.
lg. C.

 EkkehartMittelberg (22.06.13)
Deine Erzählung stimmt mich nachdenklich, Christa.
Unlängst lernte ich einen reichen Hotelier aus Südtirol kennen. Er zeigte mir Bilder von seinem Hotel und ich staunte über die luxuriöse Ausstattung. Darauf angesprochen erzählte er mir, wie es in seinem Dorf bis 1960 ausgesehen hatte und erwähnte u.a., dass das Brot für ein halbes Jahr zu Hause gebacken wurde. Auf diesem Hintergrund kann ich mich in die von dir geschilderte Realität gut hineinversetzen. Mich würde interessieren, ob es vergleichbar bescheiden lebende Kinder in Südtirol in Gebieten mit wenig Tourismus heute noch gibt.
LG
Ekki

 sandfarben antwortete darauf am 23.06.13:
Die 60er Jahre waren geprägt von Kargheit.
Durch den Tourismus ist das Land ziemlich reich geworden, und, um deine Frage zu beantworten: nein, niemand hier ist mehr so arm, zum Glück.
Ich schrieb die Geschichte auf, damit wir aufmerksamer werden, wenn wir als Tourist unterwegs sind. Hilfsbereitschaft sieht anders aus. Den Menschen muss man immer die Würde lassen, selbst wenn es Kinder sind.
Danke fürs Vorbeischauen und für das Interesse.
lg. Christa

 Dieter_Rotmund (24.06.13)
Sizilien 1965?

 sandfarben schrieb daraufhin am 24.06.13:
ich weiß nicht, ob die Lage in Sizilien im Jahre 1965 genau so war. Wie kommst du darauf?

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 24.06.13:
Nun, es passt einfach alles: Der große sozio-ökonomische Unterschied zwischen der Landbevölkerung auf Sizilien und den ersten deutschen Pauschalurlaubtouristen dort und natürlich war das zu Prä-Eurowährungszeiten.
Sardinenfischer (48)
(24.06.13)
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 sandfarben ergänzte dazu am 24.06.13:
... früher reichte die Fahrt über den Brenner. Wir leben jetzt mindestens genau so gut, wie die Touristen, die das Land besuchen und wir neigen schon dazu, genauso zu werden. Das Herabblicken auf die Armut, die vermeintliche Großzügigkeit, wenn wir ein paar Cent spenden, das Sich-Erhaben-Fühlen...
Danke für die Zustimmung und fürs Lesen.
lg. Christa
majaw (46)
(01.07.13)
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 sandfarben meinte dazu am 02.07.13:
Danke für diese Geschichte, es beweist, dass sich die Welt nach über 50 Jahren noch immer nicht geändert hat.
Dein Schamgefühl darüber sagt, dass du Protagonistin einer Szene warst, die du gar nicht miterleben wolltest und du wahrscheinlich im Vorfeld gar nicht wusstest, was dich erwartet.
c.
majaw (46) meinte dazu am 02.07.13:
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 sandfarben meinte dazu am 05.07.13:
Ich habe sowieso einen Horror vor all-inclusive! Allein schon die Buffetschlacht: Teller bis zum Rand mit Speisen aufgetürmt. Das meiste davon wird nicht gegessen, sondern landet im Abfalleimer.
Ich habe das 1 Mal erlebt und sowas mache ich nie wieder.
Danke fürs Lesen und deinen Kommentar.
lg. Christa
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