In einem anderen Land - E. Hemmingway-Hommage VII

Erzählung zum Thema Allzu Menschliches

von  pentz

Stellungskrieg

Mittlerweile haben sich ihre Handlungen ausschließlich dem Zweck ihrer Absichten untergeordnet, die völlig unterschiedlich voneinander sind: Sie, wenn sie etwas tut, dann des Abends, indem sie für den Essens- und Abendmahltisch sorgt, wohingegen er die Hand im Schoß hat; er, des Morgens, fürs Ab-, Auf- und Zusammenräumen nur kann er sich sehr ereifern. Sie will sich nicht weiter fortbewegen als dort, wo sie sind; er, schneller weg sein als der Wind dorthin, wo nicht hier und der Süden ist - immer nur in diese südliche Himmelsrichtung schlägt sein innerer Kompass aus und sein Magnetfeld ist ganz in diese Richtung induziert, während sie nicht die Schwerkraft an diesem Ort überwinden kann und ihre Masse Körper fortbewegen will.
Er ist mit ihr in einem Stellungskrieg verfangen: drängt es ihn, viele Kilometer weiter in den Süden hinunter zu gelangen, bremst sie so sehr dagegen, stemmt sich so sehr wider ihn, tritt sie so sehr aufs Bremspedal, dass sie nur mehr ein paar Kilometer weitergelangen, bis sie wieder zum Stehen und Erliegen kommen, wie ein sich vollgefressenes Tier mit überhängendem bleischwerem Bauch.

Vierter Neunter des Monats - Delle – Camping-Platz, noch immer da, heute schon den dritten Tag. Sie überlegen, ob sie  noch einen weiteren Tag hierblieben oder via Schweiz zum Bodensee fahren  sollen.
Ihr Tenor: Bleiben wir doch noch einen Tag da!
Sein Tenor: Aua, meine Waden schmerzen so. Das war sein Argument, das besagte, dass er heute nicht mehr Fahrradfahren könne und die Zeit nutzen und im Auto unterwegs sein sollten.
Sie: Das ist doch hier nicht automatisch mit Fahrradfahren verbunden.
Er: Was denn sonst? Mit Laufen etwa?
Sie: Laufen, schwimmen, gehen oder gar nichts tun.
Er: Faulenzen heißt das.
Pause
Sie: In die Stadt fahren wollen, schwimmen gehen oder grillen wir halt?
Er: Womit wir den Tag herumgebracht haben.
Sie beugt sich tief über die Landkarte, um den Weg nach und durch die Schweiz auszukundschaften.
Er: Was spricht für den Bodensee?
Sie: Um heute noch an den Bodensee zu kommen, vertun wir einen Tag.
Er: Das spricht dagegen?
Sie: Genau! Allerdings, wenn wir morgen fahren, haben wir das gleiche Problem. - Also, hier zu bleiben bedeutet Ruhe (ein Flugzeug fliegt gerade über sie hinweg) und Erholung (aua, schreit er auf vor Wadenschmerzen).
Er: Aber du hast doch Kreuzschmerzen?
Sie: Ich? Nein!
Er: Dann ist ja alles Okay!
Sie: Ja, möchtest Du am Bodensee noch mal übernachten, am Campingplatz?
Er überlegt: Jedenfalls besser als in einem Hotel!
Sie: Das machen wir es dann halt. Heute bleiben wir hier. Morgen fahren wir durch die Schweiz zum Bodensee, übernachten dort und hauen ab, bevor es Wochenende wird.
Er: Aber ich habe heute Nacht wirklich schlecht geschlafen.
Sie: Hast zu wenig Wein getrunken.
Er: Ha, ha, ha.
Sie: Aber vorher, den Tag zuvor, hast Du doch sehr gut geschlafen.
Er: Ja, ja.
Sie: Na also!
Er: Aber dass ich heute Nacht schlecht geschlafen habe, deutet darauf hin, dass ich diesen Platz schon wieder über habe bzw. mich die Ruhe des Platzes, die Monotonie der Landschaft und so weiter nicht mehr gut tut. Meine Seele verlangt nach Abwechslung und Bewegung.
Sie: ... gefahren werden, bisschen durch die Gegend gefahren werden und bisschen umschauen.
Er: Meinst Du das jetzt ironisch?
Sie: Kannst Du Dir jetzt aussuchen.
Er sagt gar nichts dazu.
Pause.
Sie schnauft vernehmlich. Er schaut auf, da er erwartet, dass sie jetzt etwas sagt. Sie beugt sich sogleich wieder über ihre Karte.
Pause. Schweigen beiderseits.
Sie gähnt laut und vernehmlich, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten. Offenbar fühlt sie sich hier schon wohl und ihre Seele hat sich auf diesen Platz eingestellt.
Er: Was bedeutet Dir dieser Platz?
Sie: Ruhe, keine Nachbarn, kein Kindergeschrei, einen Tisch, sogar Lampe zum Lesen abends. Zelt kann trocknen, Matratzen können ausgelegt werden und das allerschönste: Igel-Besuch am Abend, was will man mehr?
Er: Hm (mehr zustimmend als ablehnend. Das Argument mit dem Igel hat am meisten gezogen.) Er ist sprachlos.
Sie: Bevor wir unsere letzten Kröten zusammenkratzen müssen, um zu bezahlen...
Er: Da geht aber der Schuss nach hinten los!
Sie: ...könnten wir dieses Geld für die Heimfahrt verwenden.
Sie steht auf, kommt zu ihm her und umarmt ihn, massiert dann seinen Hals und geschundenen Nacken und flötet: Du brauchst doch auch ein bisschen Erholung. Dir gefällt es doch auch hier.
Er: Du könntest doch einstweilen die Matratzen zum Trocknen herauslegen – was übrigens weder für das eine, noch das andere spricht. Das muss so oder so getan werden.
Plötzlich kommt aus der nahen Ferne ein gleichmäßiges Geratter.
Sie: Jetzt kommt gleich wieder der da mit seinem Rasenmäher.
Sie lauscht intensiver.
Sie: In der Tat, wie gestern stundenlang, so auch heute ist zu erwarten, dass der Vormittag mit Gedröhne und Gerattere erfüllt sein wird.
Sie vertieft sich erst einmal in das Tippen ihres Handys, um eine ihrer Freundinnen eine Botschaft zu schreiben.
Er blättert in seinem Französisch-Wörterbuch, bis ihm kommt, dass er doch die Bettwäsche aus dem Zelt zum Trocknen herauslegen könnte. Die Sonne scheint schon heiß herab an manchen Stellen des Zeltplatzes. Als er dies getan hat, sagt er, sie sollen doch auch die Überplane des Zeltes auslegen, weil die am feuchtesten von allen Teilen sei.
Erschrocken aufblickend, sagt sie: Wirklich, jetzt doch losfahren?!
Er ihr Gesicht zwischen seine Hände begütigend streichelnd: Ja, du musst verstehen, ich habe halt so schlecht geschlafen und außerdem, was kann ich heute schon tun mit meinen Wadenkrämpfen?
Sie schaut ratlos auf die Karte: Aber wohin sollen wir uns wenden?
Er weiß im ersten Moment keine Antwort.
Sie: Und dann das andauernde Zeltab- und -aufbauen. Schau, das müssen wir später heute nicht machen, wenn wir hierbleiben.
Er: Ich weiß.
Sie: Aber lass mich erst einmal meine Nachricht zuende schreiben.
Sie beugt sich wieder übers Handy.
Unterdessen ist er auf die raffinierte Idee gekommen, das herumstehende Geschirr in die Spülschüssel wegzuräumen und zu platzieren, was sie plötzlich bemerkt und mit der Bemerkung quittiert: Du willst mir bloß den Aufbruch vermiesen, nicht wahr?
Er lacht ertappt dazu.
Nach zehn Minuten kommt sie überraschend mit der Frage: Was machen wir jetzt? Haben wir uns entschieden? Obwohl für ihn die Entscheidung doch schon vorhin gefällt worden ist, zu fahren. Er muss darüber lachen, lenkt ab, indem er sich ein paar Minuten zum Schreiben erbittet.
Er: Moment, gleich.
Er ergreift den Stift und notiert sich dies hier.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (11.09.13)
P.S.: "Meine Seele verlang nach Abwechslung"

 pentz meinte dazu am 11.09.13:
hallo danke dieter rotmund, kleinvieh macht auch mist, grüße an baden
wp
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