Triptychon...

Erzählung zum Thema Familie

von  Alias

Illustration zum Text
drei Generationen
(von Alias)
Ein altes Foto, es zeigt meine Großmutter, meinen Vater, meine Tante - und mich. Drei Generationen auf einem Bild. Meine Großmutter ist zu diesem Zeitpunkt, ich muss nachrechnen... vielleicht fünfzig Jahre alt, dennoch immer noch hübsch - solche Gesichtszüge sind unzerstörbar - aber sie sieht alt aus. Mein Vater ist um die dreißig, meine Tante circa dreiundzwanzig - und ich vielleicht zehn.
Dieses Foto kommt mir vor wie Triptychon, ausfaltbar mit verschiedenen Personen, es schildert... ja was? Was denken diese Personen? Einiges kann ich mir zusammereimen aus Erzählungen, anderes aus Andeutungen. Als Kind schnappt man viel auf, viel mehr als die Erwachsenen denken...

Meine Großmutter...
Der Großbauer ist gestorben. Lange Zeit habe ich bei ihm als Tagelöhnerin gearbeitet. Eines Tages machte er mir ein sehr unanständiges Angebot. Seine Frau, die damals gelähmt im Bett lag, war sehr traurig darüber, ihrem Mann zur Last zu fallen. Ihr einziges Kind war ein Mädchen. Da habe ich es besser mit meinen vier Kindern. Alle sind wohlgeraten, vor allem der Älteste. Er hat früh die Stelle seines Vaters eingenommen und die Familie ernährt - bis die katholische Schlampe, die Zugereiste ein Kind von ihm kriegte und er sie heiraten musste. Kurz darauf zog er fort von hier, aber er unterstützte mich weiterhin aus der Ferne. Es ist nicht leicht als Kriegerwitwe mit einer Minimalrente über die Runden zu kommen. Ich wohne nun mit meiner ältesten Tochter Gilda zusammen, arbeite aber immer noch als Tagelöhnerin. Das Angebot des Großbauern habe ich nicht angenommen, ich konnte nicht seine Geliebte sein, ich wollte meinem Mann treu bleiben, auch wenn er lange schon tot ist und seine Gebeine im fernen Russland liegen.

Meine Tante Lisa, die jüngste Schwester meines Vaters...
Ich liebe meinen ältesten Bruder. Er hat es mir ermöglicht, eine richtige Ausbildung zu machen - und das im Jahre 1956. Ich kann mich selber ernähren, ich habe ein eigenes Auto. Er hat so viele Opfer dafür gebracht, und dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Meinen zweitältesten Bruder Henry liebe ich weniger. Er ist so laut, und er hat diesen rothaarigen Trampel aus dem Nachbardorf geheiratet. In Trampels Haus riecht es bäuerlich nach Fäkalien - ich hasse Dörfer und ihren Geruch, und ich wollte immer schon fort von hier! Die ländliche Enge ist nichts für mich. Meine ältere Schwester Gilda ist ein richtiges Hausmütterchen, nur Putzen und Kochen... Sie lebt jetzt mit meiner Mutter unter einem Dach. Das könnte ich nicht, ich habe mehr vor. Aber dafür musste ich auch Opfer bringen. Ein Kind mit zwanzig? Zwangsläufig heiraten? Nein, ich hab es wegmachen lassen, es geschah in Jugoslawien, ich hatte das Gefühl, nicht nur das Kind wird mir grausam und schmerzhaft entrissen, sondern auch mein Herz. Doch mit der Zeit vergisst man es. Fast aber nur. Denn es war das einzige Kind, das ich wohl haben sollte...

Mein Vater...
Meine kleine Tochter fragte mich einmal, wen ich wohl lieber hätte, Tante Lisa oder Tante Gilda. Ich gestand ihr, dass ich Tante Gilda ein bisschen lieber hätte. Vor vielen Jahren musste ich auf beide Schwestern aufpassen, aber Lisa war immer schon zickiger als alle anderen Mädels, und auch viel intelligenter. Jetzt im Ruhrgebiet bin ich Subunternehmer bei einer Baufirma. Das Eisenbiegen ist ein Knochenjob, aber man verdient damit gutes Geld. Mein Rücken dankt es mir nicht, ich habe immer Kreuzschmerzen. Das Abitur lag damals für mich in erreichbarer Nähe, aber dann musste ich mich auf die mittlere Reife beschränken und danach eine Lehre machen. Die Familie ging vor, ich musste sie unterstützen. Meine Frau ist dick geworden und eifersüchtig dazu, dennoch liebe ich sie immer noch. Obwohl ich manchmal die Gunst der Stunde nutze und ein bisschen auswärtig Ausschau halte. Das kann mir keiner verübeln. Lecker die Wurst, so schmeckt keine in der Stadt. Liegt wohl am Fettgehalt. Morgen werde ich die Frau Pepper anrufen, die hat ein Auge auf mich geworfen...

Das Kind...
Ach, ich möchte so gerne hierbleiben! Aber die Ferien gehen so schnell vorbei. Ich liebe den Wald, obwohl es da Stechfliegen gibt, die mich gemeinerweise stechen, und in den Himbeeren, die ich mit der Oma sammle, sind Maden. Ich schreie und lasse sie fallen mitsamt den gesammelten Himbeeren. Meine Oma ist nicht erfreut darüber, sie hasst Verschwendung. Trotzdem ist es hier viel schöner als in der Stadt. Hier bin ich klüger als die anderen, ohne dass ich viel dazu tun muss, hier kann ich in den Wald gehen mit der Oma, hier kann ich die Katzen vor ihr beschützen. Meine Oma ist ja lieb, aber manchmal tritt sie aus Versehen auf ein Kätzchen. Es gibt ja soviele Katzen hier... und ich möchte sie alle versorgen. Doch das geht nicht, in zwei Wochen muss ich wieder in die Großstadt. Zu meiner Mutter. Und die hasst mich. Ich kann ihr nichts rechtmachen. Ist mir egal, ich hasse sie ja auch...

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (26.11.13)
Ingrid, ich blättere auch sehr gern in Familienalben und denke über die Gedanken der Personen nach, von denen ich nur bruchstückhaft etwas weiß.
Ich habe dein Triptychon gern gelesen, weil du die Personen so beschrieben hast, dasss sie authentisch erscheinen.
Liebe Grüße
Ekki

 Alias meinte dazu am 27.11.13:
danke schön, lieber ekkehart! das leben auf dem land ist nicht so idyllisch, wie man es sich vorgaukelt. auch dort gibt es tragödien. wie überall...
lieben gruß an dich!
Gringo (60)
(01.01.14)
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 Alias antwortete darauf am 02.01.14:
schon im 19.jahrhundert lockerten sich die familienbande, wegen auswanderung in die städte oder gar nach amerika... lange zeit wurden diese bande verklärt, und noch heute packt mich der pure neid, wenn ich etwas über intakte familien lese. andererseits könnte ich nicht mehr in diesem verband leben.
diese familie war schon vor 50 jahren hin- und hergerissen zwischen individualität und dem zusammenhalt. so gesehen erklären sich die abstände zwischen den mitglieder, egal ob auf dem bild - keiner guckt sich an - oder von ihren Gedanken her. sie konnten nicht miteinander reden.
mist, ich komme ins quatschen.
gruß an dich, liebste gringosine!
(Antwort korrigiert am 02.01.2014)
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