In einem anderen Land - Nachtwandlerische Hirngespinste XIII
Erzählung zum Thema Abendstimmung
von pentz
Nachtwanderung – ENDLICH WIEDER HIRNGSPINSTE!
Es hat ein weniglich aufgehört zu regnen. Sicher, Gräser und Büsche würden feucht sein, aber mit nebligen Dämpfen war nicht zu rechnen, da es schon zu abendlich-kühl geworden ist.
Wir machen eine Nachtwanderung. Es wird rasch finster und dunkel und so versuchen wir, uns möglichst nahe am Strand entlang zu bewegen. Dieser ist von mannshohen, mit Eisenpfosten befestigten Maschendrahtzäunen versperrt und unzugänglich. Die Zäune wiederum sind mit Buschhecken und dichten Sträuchern durchwachsen und verstärkt und dort, wo der Eingang ist und ein schmaler Weg führt, sind die Türen mit eisernen Schlössern verriegelt. Findet sich doch einmal ein Lücke zum Strand, einen Weg durch dichtes Gestrüpp auf mostigen, matschigen Boden eröffnend, so stößt man auf mit Schilf undurchdringlich verwachsene Uferstreifen und Ried, auf dem kein Ausruhen oder Hinsetzen möglich ist.
Der See ist nur zu ahnen, nicht zu sehen, weder Reflektionen noch Glitzern auf Wasser dringt durchs dichte Schilfrohr und der dichten Dunkelheit der Nacht, geschweige ein sanft ertönender Wellenschlag.
Einmal rutscht sie die Böschung hinab, da der matschige Boden keine feste Unterlage bietet, aber ich kann sie gerade noch abfangen, indem ich sie am Anorakärmel zu fassen kriege. Wenigstens ist sie weich gefallen, ein Glück, dass sie nicht auf die hie und da aus dem Lehm lugenden Wurzelstrünke gefallen ist, was hätte sehr schmerzhaft werden können. Sie ist nun von oben bis unten voll Dreck und feuchtem Lehm, der in dieser trockenen, lauwarmen Sommernacht schnell zu abfallenden Krustenschichten wird - weiter nicht schlimm.
„Oh, habe ich Angst vor Insekten, Maden und Larven“, und schon beginnt sie sich hektisch zu kratzen.
„Ich glaube nicht, dass im verwachsenen, feuchten Umfeld all zu viel Ungeziefer herumkrabbelt. Die Enten haben schon dafür gesorgt“, lache ich, um Gelassenheit zu verströmen.
Verzweifelt und innerlich aufstampfend sagt sie dabei: „Oh, wenn Zecken abbekommen habe und wir haben kein Licht, wenn wir zurückkommen!“
„Aber überleg doch mal. Wo gibt’s Zecken? In Seenähe?“
„Das sagst Du!“, und sie kratzt sich weiter am ganzen Körper.
Zurückzulaufen, jetzt, am Anfang des abenteuerlichen Weges, ist ausgeschlossen, zumal wir eisern den Grundsatz verfolgen: das kein Weg zurückführen darf, lieber machen wir einen kilometerweiten Umweg in der Dunkelheit.
So schlagen wir uns weiter durch auf dem Weg, der zwischen verriegelten, umzäunten Uferzugängen und großflächigen Gärten mit Herrenhäuser-Fassaden führt und mit der Zeit einem Labyrinth gleicht mehr denn einem zivilisierten Weg.
Über uns nur Schwärze, ein Himmel, der sich nicht hineinschauen lässt. Keine Sternzeichen, was bedrohlich wirkt.
Die Stirnlampe bildet einen Lichtkegel, der etwas Weihevolles hat. Wir flüstern, als befänden wir uns in einer Kirche oder Krypta, in denen Tote begraben wären, deren Angehörige keine verwandtschaftsfremden Eindringlinge, wie wir es sind, sich wünschen.
Aber das liegt im Interesse des Erfinders. Hier sind keine Anderen erwünscht, warum überhaupt zwischen den privaten Anwesen dieser schmale Weg, begrenzt von starken Zäunen führt, ist ein Rätsel. Gehören die Grundstücke überhaupt zu den Strandzugängen? Möglich wäre es, das nicht. Und wem gehören dann die abgezirkelter Bereiche zum Strand? Handelt es sich um Naturschutz-Sperrbezirke, weswegen abgesperrt und nur Schlüsselinhabern zugänglich? Wer mag sich da hin und wieder zurückziehen, um den großen See mit Blick, den Tierlauten im Ohr und der frischen Brise in der Nase zu genießen?
Mir fällt ein amerikanischer Folksong ein, indem es heißt: Dieses Land ist mein Land, dieses Land ist dein Land - aber hierzulande scheint dies wohl nicht zu gelten? Auch wird in jenem Lied in der letzten Strophe ein Schild besungen, auf dem Privateigentum steht, gleichzeitig aber gesagt, diese Aussage besitze keinerlei Bedeutung. In Amerika vielleicht, hierzulande aber?
Wir glauben gar nicht mehr daran, dass sich für uns noch ein freies zugängliches Plätzchen am See auftut, als es nach einer Ewigkeit endlich plötzlich so aussieht, als befände sich dort ein schmaler Eingang zu einem nichtabgeschlossenen Gartenbereich.
Tatsächlich, vom Weg abgehend hin zum See, öffnet sich eine rasengepolsterte Nische, die einen verwaisten Sitzplatz darstellt bestehend aus drei Stühlen sowie einem Tisch, worauf wirklich und wahrhaftig sogar ein Aschenbecher steht.
Wir lassen uns nieder, schweigen zunächst vor Verblüffung angesichts dieses Ausblicks, der sich uns bietet, als wäre er ein Blick in eine andere Welt und Dimension: Berge am anderen Ufer und die durch die Bäume dort jenseits und diesseits hier durch die Schilfböschung blinkende Lichter der gegenüberliegenden Stadt sowie des erleuchteten Bummelzugs, welcher sich geisterhaft-glitzernd und -blinkend seine Bahn bricht durch ihn abwechselnd verdunkelnde Bäume und Schilfrohre. Zwischen hohen Schilfrohren in der Ferne des jenseitigen Seeufers bewegt sich stumm ein gespenstig-schaurig-schöner Zug.
Man sieht am Himmel die Sterne kristallklar prangen. Nachts bildet sich kaum feuchter Tau mehr und das Klima verspricht mild, lau und gut verträglich zu bleiben.
Damit werden wir uns bewusst, dass wir uns niederlassen konnten um einen großen Tisch auf geschmeidige Plastik-Stühle, die gleichzeitig rustikal-verstellbare Stuhl-Liegen darstellen. Wir könnten also auch horizontal die Welt und vor allem den Himmel betrachten.
Die flirrende Sicht ist e r h e b e n d, bewegend und unbeschreiblich, wenn auch nicht ein „erhabener“ Anblick! (Was für riesige Bedeutungsunterschiede doch so minimalistische Sprachunterschiede ausmachen!)
Eine Stille ist über den See gebreitet. - Kein Schiff tuckert darüber hinweg, alles Störende scheint sich zurückgezogen zu haben. Über der Glocke des Himmels prangen in der Schwärze Sterne und kein Flugzeugschweif flirrt. Nur wir menschliche Wesen sind hier. Dass sich in der Weite ein Zug bewegt, ist nur Ausdruck von romantischer Zivilisation: sich bewegende, kaum Lärm machende Dinge sind immer faszinierend.
Wir schweigen wie ein Grab.
Es ist ein Geschenk.
Die Empfindung dessen kommt nur zustande durch die Seltenheit dieses Momentes und dieser Situation nun und des Ortes hier: Kleiner, großer Wagen, Kassiopeia, wie sie alle heißen mögen – bleibt mir gestohlen: ich werde mir meine eigenen Sternbilder kreieren, neue Sternzeichen werden entstehen durch meine Phantasie! – Kommt es mir in den Sinn. Ich freue mich, dass ich wieder Ideen habe und Vorstellungen entwickle, vielmehr wie von selbst entstehen.
„Ob wir je auch einmal den Himmel auf der Südhalbkugel mit seinen anderen Sternzeichen erblicken dürfen?“, murmele ich vor mich hin.
SIE schweigt.
Aber ich genieße es, hier sitzen zu dürfen.
ENDLICH WIEDER HIRNGESPINSTE!
Zikaden und Grillen zirpen nicht, kein Vogel trällert, singt und zwitschert und kein Rauschen der die Ufer überspülenden Wellen ist zu hören.
Sie schweigt, bestimmt eingeschüchtert, weil sie das Gefühl hat, hier Eindringling zu sein, aber was geht in diesem Land noch ohne Gesetzes- und Gebotsübertretungen? Wie oft verstößt man, muss man verstoßen in einem überreguliertem Land - ohne sich als doof, gedrückt und getrieben vorzukommen und zu fühlen?
Mir fällt ein Satz ein, der besagt: Hast Du heute schon etwas Verbotenes getan, ein Spruch, der sich anlehnt an das Gebot, jeden Tag etwas Gutes zu tun. Es fällt einem schwer, dies hierzulande zu befolgen, so dass sich dieses Gefühl überhaupt nicht vermeiden und man es am besten nicht wahrnehmen lässt-
Mit einem Mal wird uns klar, dass sich am anderen Ende des Sees kein geisterhaftes Ungetüm mehr, beleuchtet, langsam dahinkriecht und -schlängelt, kurzum bewegt wie eine Viper entlang des Ufers - die Stunde ist fortgeschritten.
Eine nun plötzlich auftauchende Brise Wind wird vom Dickicht verschluckt, das uns Schutz bietet mit seinen hohen Schilfrohr-Stilen, welches kaum ein Rascheln erlaubt und Kräuseln der Grashalme. Wenn eine Welle sich irgendwo dort vorne hinter dem Sträucherwall erhebt, dann kaum hörbar und kaum auf die Schilfrohr stoßen, sofort verschluckt werdend.
Vor uns breitet sich auf einer schrägen Ebene Rasen aus, der ungefältelt und platt, ganz eine Böschung ermangelnd, zuerst zu einem Sandstrand, soweit man ihn zwischen den Büschen als braune Flecken ausmachen kann, dann in die dunkle Seeoberfläche übergeht.
Die Stunde ist zu weit fortgeschritten.
Beim Heimweg verirren wir uns.
Einmal stehen wir inmitten des Hinterhofes einer modernen Villa, was wir erst bemerken, als plötzlich ein elektrisches Licht aufleuchtet.
Plötzlich quietscht eine schwere Eisentür, ich glaube Kellertür, und es kommt ein Mann, wirren Haares und mit einer Handfeuerwaffe bewehrt aus dem Haus, nämlich plötzlich aus einer Bodentreppe auftauchend und auf uns zugerannt und brüllt uns an, was wir hier suchen. - ermorden wir ihn oder er uns oder sperrt er uns ein und hält uns als Geiseln?
Nein, wir hören aus einem der Fenster der großen Villa eine hohe weibliche Stimme, oder noch grausiger, eine, die zudem recht jung klingt. Ein Mann, der seine Frau, ein Vater, der seine Tochter, ein Mädchenentführer sein Opfer schändet?
Nein, wir treffen auf ein älteres, schrulliges, irr kicherndes Frauchen, das uns fragt, ob wir Hunger haben – aber diese Geschichte ist bekannt...
Nein, wir treffen auf ein von einer flureszierenden Aura umhüllten außerirdisch anmutenden Gestalt, die vor uns steht und fragt: „Ich warte schon auf Euch!“ Das Gesicht besteht aus so etwas wie Augen, Mund und Nase, aber ohne Brauen, Zähne und Nasenöffnungen, so dass wir uns fragen, womit es die Welt wahrnimmt und die Sensoren bei diesem Wesen sind?
Nein, hastig rennen wir zurück, aus dem Garagen-Einfahrts-Bereich und meine Freundin verstaucht sich dabei die Knöchel.
Hätten wir doch keine Angst gehabt. Hätten wir uns nicht so getrieben gefühlt (von dem Gefühl, in privates Eigentum eingedrungen zu sein?) hätten wir den Abend unversehrt erleben dürfen, so aber...
Ein Kalvarienberg-Gang ist es, wie ich sie, als meine Begleiterin Jesus mit schwerem Kreuz, durch die weite Dunkelheit führe und wir uns durchkämpfen, durchsuchen und -schleppen, bis wir erlösendes Licht erblicken. Dennoch verlaufen wir uns erneut ein paar Mal.
Erschöpft zu spät nachtschlafender Stunde legen wir unsere geschundenen und verschwitzten Körper, Häupter und verstauchten und strapazierten Glieder aufs nicht trockene, nicht warme Kopfkissen. Wir können uns nur niederlegen, indem wir uns in den feuchten, kühlen Schlafsack ablegen, schlüpfen und stülpen und uns nicht „ruhen“ lassen.
Es ist die letzte Nacht unserer Reise.
Buch erhältlich über:
http://www.pentzw.homepage.t-online.de/literatur.html
Es hat ein weniglich aufgehört zu regnen. Sicher, Gräser und Büsche würden feucht sein, aber mit nebligen Dämpfen war nicht zu rechnen, da es schon zu abendlich-kühl geworden ist.
Wir machen eine Nachtwanderung. Es wird rasch finster und dunkel und so versuchen wir, uns möglichst nahe am Strand entlang zu bewegen. Dieser ist von mannshohen, mit Eisenpfosten befestigten Maschendrahtzäunen versperrt und unzugänglich. Die Zäune wiederum sind mit Buschhecken und dichten Sträuchern durchwachsen und verstärkt und dort, wo der Eingang ist und ein schmaler Weg führt, sind die Türen mit eisernen Schlössern verriegelt. Findet sich doch einmal ein Lücke zum Strand, einen Weg durch dichtes Gestrüpp auf mostigen, matschigen Boden eröffnend, so stößt man auf mit Schilf undurchdringlich verwachsene Uferstreifen und Ried, auf dem kein Ausruhen oder Hinsetzen möglich ist.
Der See ist nur zu ahnen, nicht zu sehen, weder Reflektionen noch Glitzern auf Wasser dringt durchs dichte Schilfrohr und der dichten Dunkelheit der Nacht, geschweige ein sanft ertönender Wellenschlag.
Einmal rutscht sie die Böschung hinab, da der matschige Boden keine feste Unterlage bietet, aber ich kann sie gerade noch abfangen, indem ich sie am Anorakärmel zu fassen kriege. Wenigstens ist sie weich gefallen, ein Glück, dass sie nicht auf die hie und da aus dem Lehm lugenden Wurzelstrünke gefallen ist, was hätte sehr schmerzhaft werden können. Sie ist nun von oben bis unten voll Dreck und feuchtem Lehm, der in dieser trockenen, lauwarmen Sommernacht schnell zu abfallenden Krustenschichten wird - weiter nicht schlimm.
„Oh, habe ich Angst vor Insekten, Maden und Larven“, und schon beginnt sie sich hektisch zu kratzen.
„Ich glaube nicht, dass im verwachsenen, feuchten Umfeld all zu viel Ungeziefer herumkrabbelt. Die Enten haben schon dafür gesorgt“, lache ich, um Gelassenheit zu verströmen.
Verzweifelt und innerlich aufstampfend sagt sie dabei: „Oh, wenn Zecken abbekommen habe und wir haben kein Licht, wenn wir zurückkommen!“
„Aber überleg doch mal. Wo gibt’s Zecken? In Seenähe?“
„Das sagst Du!“, und sie kratzt sich weiter am ganzen Körper.
Zurückzulaufen, jetzt, am Anfang des abenteuerlichen Weges, ist ausgeschlossen, zumal wir eisern den Grundsatz verfolgen: das kein Weg zurückführen darf, lieber machen wir einen kilometerweiten Umweg in der Dunkelheit.
So schlagen wir uns weiter durch auf dem Weg, der zwischen verriegelten, umzäunten Uferzugängen und großflächigen Gärten mit Herrenhäuser-Fassaden führt und mit der Zeit einem Labyrinth gleicht mehr denn einem zivilisierten Weg.
Über uns nur Schwärze, ein Himmel, der sich nicht hineinschauen lässt. Keine Sternzeichen, was bedrohlich wirkt.
Die Stirnlampe bildet einen Lichtkegel, der etwas Weihevolles hat. Wir flüstern, als befänden wir uns in einer Kirche oder Krypta, in denen Tote begraben wären, deren Angehörige keine verwandtschaftsfremden Eindringlinge, wie wir es sind, sich wünschen.
Aber das liegt im Interesse des Erfinders. Hier sind keine Anderen erwünscht, warum überhaupt zwischen den privaten Anwesen dieser schmale Weg, begrenzt von starken Zäunen führt, ist ein Rätsel. Gehören die Grundstücke überhaupt zu den Strandzugängen? Möglich wäre es, das nicht. Und wem gehören dann die abgezirkelter Bereiche zum Strand? Handelt es sich um Naturschutz-Sperrbezirke, weswegen abgesperrt und nur Schlüsselinhabern zugänglich? Wer mag sich da hin und wieder zurückziehen, um den großen See mit Blick, den Tierlauten im Ohr und der frischen Brise in der Nase zu genießen?
Mir fällt ein amerikanischer Folksong ein, indem es heißt: Dieses Land ist mein Land, dieses Land ist dein Land - aber hierzulande scheint dies wohl nicht zu gelten? Auch wird in jenem Lied in der letzten Strophe ein Schild besungen, auf dem Privateigentum steht, gleichzeitig aber gesagt, diese Aussage besitze keinerlei Bedeutung. In Amerika vielleicht, hierzulande aber?
Wir glauben gar nicht mehr daran, dass sich für uns noch ein freies zugängliches Plätzchen am See auftut, als es nach einer Ewigkeit endlich plötzlich so aussieht, als befände sich dort ein schmaler Eingang zu einem nichtabgeschlossenen Gartenbereich.
Tatsächlich, vom Weg abgehend hin zum See, öffnet sich eine rasengepolsterte Nische, die einen verwaisten Sitzplatz darstellt bestehend aus drei Stühlen sowie einem Tisch, worauf wirklich und wahrhaftig sogar ein Aschenbecher steht.
Wir lassen uns nieder, schweigen zunächst vor Verblüffung angesichts dieses Ausblicks, der sich uns bietet, als wäre er ein Blick in eine andere Welt und Dimension: Berge am anderen Ufer und die durch die Bäume dort jenseits und diesseits hier durch die Schilfböschung blinkende Lichter der gegenüberliegenden Stadt sowie des erleuchteten Bummelzugs, welcher sich geisterhaft-glitzernd und -blinkend seine Bahn bricht durch ihn abwechselnd verdunkelnde Bäume und Schilfrohre. Zwischen hohen Schilfrohren in der Ferne des jenseitigen Seeufers bewegt sich stumm ein gespenstig-schaurig-schöner Zug.
Man sieht am Himmel die Sterne kristallklar prangen. Nachts bildet sich kaum feuchter Tau mehr und das Klima verspricht mild, lau und gut verträglich zu bleiben.
Damit werden wir uns bewusst, dass wir uns niederlassen konnten um einen großen Tisch auf geschmeidige Plastik-Stühle, die gleichzeitig rustikal-verstellbare Stuhl-Liegen darstellen. Wir könnten also auch horizontal die Welt und vor allem den Himmel betrachten.
Die flirrende Sicht ist e r h e b e n d, bewegend und unbeschreiblich, wenn auch nicht ein „erhabener“ Anblick! (Was für riesige Bedeutungsunterschiede doch so minimalistische Sprachunterschiede ausmachen!)
Eine Stille ist über den See gebreitet. - Kein Schiff tuckert darüber hinweg, alles Störende scheint sich zurückgezogen zu haben. Über der Glocke des Himmels prangen in der Schwärze Sterne und kein Flugzeugschweif flirrt. Nur wir menschliche Wesen sind hier. Dass sich in der Weite ein Zug bewegt, ist nur Ausdruck von romantischer Zivilisation: sich bewegende, kaum Lärm machende Dinge sind immer faszinierend.
Wir schweigen wie ein Grab.
Es ist ein Geschenk.
Die Empfindung dessen kommt nur zustande durch die Seltenheit dieses Momentes und dieser Situation nun und des Ortes hier: Kleiner, großer Wagen, Kassiopeia, wie sie alle heißen mögen – bleibt mir gestohlen: ich werde mir meine eigenen Sternbilder kreieren, neue Sternzeichen werden entstehen durch meine Phantasie! – Kommt es mir in den Sinn. Ich freue mich, dass ich wieder Ideen habe und Vorstellungen entwickle, vielmehr wie von selbst entstehen.
„Ob wir je auch einmal den Himmel auf der Südhalbkugel mit seinen anderen Sternzeichen erblicken dürfen?“, murmele ich vor mich hin.
SIE schweigt.
Aber ich genieße es, hier sitzen zu dürfen.
ENDLICH WIEDER HIRNGESPINSTE!
Zikaden und Grillen zirpen nicht, kein Vogel trällert, singt und zwitschert und kein Rauschen der die Ufer überspülenden Wellen ist zu hören.
Sie schweigt, bestimmt eingeschüchtert, weil sie das Gefühl hat, hier Eindringling zu sein, aber was geht in diesem Land noch ohne Gesetzes- und Gebotsübertretungen? Wie oft verstößt man, muss man verstoßen in einem überreguliertem Land - ohne sich als doof, gedrückt und getrieben vorzukommen und zu fühlen?
Mir fällt ein Satz ein, der besagt: Hast Du heute schon etwas Verbotenes getan, ein Spruch, der sich anlehnt an das Gebot, jeden Tag etwas Gutes zu tun. Es fällt einem schwer, dies hierzulande zu befolgen, so dass sich dieses Gefühl überhaupt nicht vermeiden und man es am besten nicht wahrnehmen lässt-
Mit einem Mal wird uns klar, dass sich am anderen Ende des Sees kein geisterhaftes Ungetüm mehr, beleuchtet, langsam dahinkriecht und -schlängelt, kurzum bewegt wie eine Viper entlang des Ufers - die Stunde ist fortgeschritten.
Eine nun plötzlich auftauchende Brise Wind wird vom Dickicht verschluckt, das uns Schutz bietet mit seinen hohen Schilfrohr-Stilen, welches kaum ein Rascheln erlaubt und Kräuseln der Grashalme. Wenn eine Welle sich irgendwo dort vorne hinter dem Sträucherwall erhebt, dann kaum hörbar und kaum auf die Schilfrohr stoßen, sofort verschluckt werdend.
Vor uns breitet sich auf einer schrägen Ebene Rasen aus, der ungefältelt und platt, ganz eine Böschung ermangelnd, zuerst zu einem Sandstrand, soweit man ihn zwischen den Büschen als braune Flecken ausmachen kann, dann in die dunkle Seeoberfläche übergeht.
Die Stunde ist zu weit fortgeschritten.
Beim Heimweg verirren wir uns.
Einmal stehen wir inmitten des Hinterhofes einer modernen Villa, was wir erst bemerken, als plötzlich ein elektrisches Licht aufleuchtet.
Plötzlich quietscht eine schwere Eisentür, ich glaube Kellertür, und es kommt ein Mann, wirren Haares und mit einer Handfeuerwaffe bewehrt aus dem Haus, nämlich plötzlich aus einer Bodentreppe auftauchend und auf uns zugerannt und brüllt uns an, was wir hier suchen. - ermorden wir ihn oder er uns oder sperrt er uns ein und hält uns als Geiseln?
Nein, wir hören aus einem der Fenster der großen Villa eine hohe weibliche Stimme, oder noch grausiger, eine, die zudem recht jung klingt. Ein Mann, der seine Frau, ein Vater, der seine Tochter, ein Mädchenentführer sein Opfer schändet?
Nein, wir treffen auf ein älteres, schrulliges, irr kicherndes Frauchen, das uns fragt, ob wir Hunger haben – aber diese Geschichte ist bekannt...
Nein, wir treffen auf ein von einer flureszierenden Aura umhüllten außerirdisch anmutenden Gestalt, die vor uns steht und fragt: „Ich warte schon auf Euch!“ Das Gesicht besteht aus so etwas wie Augen, Mund und Nase, aber ohne Brauen, Zähne und Nasenöffnungen, so dass wir uns fragen, womit es die Welt wahrnimmt und die Sensoren bei diesem Wesen sind?
Nein, hastig rennen wir zurück, aus dem Garagen-Einfahrts-Bereich und meine Freundin verstaucht sich dabei die Knöchel.
Hätten wir doch keine Angst gehabt. Hätten wir uns nicht so getrieben gefühlt (von dem Gefühl, in privates Eigentum eingedrungen zu sein?) hätten wir den Abend unversehrt erleben dürfen, so aber...
Ein Kalvarienberg-Gang ist es, wie ich sie, als meine Begleiterin Jesus mit schwerem Kreuz, durch die weite Dunkelheit führe und wir uns durchkämpfen, durchsuchen und -schleppen, bis wir erlösendes Licht erblicken. Dennoch verlaufen wir uns erneut ein paar Mal.
Erschöpft zu spät nachtschlafender Stunde legen wir unsere geschundenen und verschwitzten Körper, Häupter und verstauchten und strapazierten Glieder aufs nicht trockene, nicht warme Kopfkissen. Wir können uns nur niederlegen, indem wir uns in den feuchten, kühlen Schlafsack ablegen, schlüpfen und stülpen und uns nicht „ruhen“ lassen.
Es ist die letzte Nacht unserer Reise.
Buch erhältlich über:
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