Gabriele

Kurzgeschichte zum Thema Nähe

von  Ephemere

Sonnenlicht fällt durch die Krone der Birke und malt Muster auf den alten Naturstein. Er verwittert langsam, als wolle er sich in Würde zurückziehen. In eine feine Moosschicht gehüllt wird er im Lauf der Jahre wieder eins mit dem Blattwerk, den Gräsern, der Erde. Eine kleine Spinne krabbelt durch den Korridor von Licht auf seiner Oberfläche. Eben überquert sie eine dunkle Vertiefung, die sich vom warmen Rotbraun abhebt. Es ist ein Netz aus Scharten, zu einem Satz gemeißelt: „Ich würde nur das gehen lassen, was denn nicht bleiben kann.“ Das sind Deine Worte. Sie bleiben und so Vieles darüber hinaus. Doch ist mehr gegangen, als Du hast lassen wollen. Dieser warme Frühlingstag aber atmet Deine Luft, hier „am schönen und ruhigen Ort“, wie Du einst über Hölderlins Gedenkstein schriebst. In der Nachbarschaft von Efeu, Laub und Wildblumen ist – halbbeschattet – Deine Heimat. Ich pflanze Vergissmeinnicht, Stiefmütterchen und eine kleine Wildrose. Über jeden Regenwurm, den ich dabei aus der Erde hebe, freue ich mich an Deiner statt und gebe ihm sicheres Geleit.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (10.04.14)
Ein Friedhof ist irgendwie ein Ort für die und das, was am Leben ist.

 Ephemere meinte dazu am 10.04.14:
Nun, den Toten ist er mit Sicherheit egal. Und wenn die Lebenden ihnen Rechnung tragen wollen, sollten sie das nach ihren lebendigen Maßstäben tun.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 11.04.14:
Haben wir andere?

 Ephemere schrieb daraufhin am 11.04.14:
Ich meinte Konventionen der standardisierten Pietät und das Ausrichten an religiösen Dogmen, statt einem individuellen Eingehen auf das, was den jeweils Überlebenden am besten tut.

 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 11.04.14:
Grundsätzlich stimme ich dir da zu (gerade was die religiösen Dogmen betrifft). Auf der anderen Seite bieten Konventionen und ungeschriebene Regeln den Lebenden auch ein eventuell hilfreiche Stütze. Gerade wenn ein geliebter Mensch erst vor kurzer Zeit gestorben ist. Sie bieten ein Ritual an und die Wirkung von Ritualen sollte man nicht unterschätzen.

Jedoch sollte sich mit der Zeit jeder im Bezug darauf sich seine eigenen Rituale entwickeln, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Form den Inhalt übernimmt und so kann kein Verarbeiten stattfinden.
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