Seelenverwandt

Kurzgeschichte zum Thema Seelengefährte

von  LotharAtzert

Als Shiva sein Weib Parvati des Nachts einmal nackt schlafend fand, so die Legende, geriet er durch den Anblick ihrer unerträglichen Schönheit augenblicklich in Extase.
Er nahm zwei Kürbisse, höhlte sie zu Kalebassen, schuf daraus Klang-Körper, verband sie durch einen Bambussteg und gab dem Instrument nach weiteren Verfeinerungen durch sieben Saiten, sowie Gewinde und Bünde den Namen "Rudra-Veena".
- Rudra nannten ihn die alten vedischen Schriften, wenn er als brüllendes Gewitter übers Land zog.
Jeder, der den Klang jener Veena höre, solle an der Extase teilhaben - das war die Idee, die Triebfeder oder der "Lingam": Glückseligkeit durch allesdurchdringende Vibration den Geschöpfen zugänglich zu machen.
Und so geschah es - reihenweise erlöste der Gott seine Anrufer von der Erdenschwere -  durch Hören der Zaubertöne der Rudra-Veena, von denen ein jeder einzelne zehntausend artverwandte Töne zum Schwingen brachte. Jeder Ton eine Welt, die ihrerseits.... und so weiter ...

Doch nach und nach gewöhnten sich die Ohren der Sterblichen daran und die Hörenden begannen zu denken: "Naja, die Seligkeit läuft ja nicht fort, ich will erstmal was Unseliges kosten, das Leben nutzen für dies und das ..."
Und ab da war das Leben mit Beschaffungskosten verbunden. Es kostete..... den Verstand - keiner von den Verwandten hörte mehr, wem er angehört. Und das Geschlecht wurde schlechter ... Eigentlich sagt es das Wort bereits.
Das Allerschlechteste ist dabei immer der beste Dünger ... für Lotusblüten.

Mit dem Verderbniss der Gier und des Unverstands ausgestattet fand Shiva die Menschen also bald vor. Doch es drang etwas an sein Ohr, was sogar einen zur Vergeltung bereiten Gott zu fällen in der Lage ist, wie eine vom Blitz getroffene Eiche: Ein Kind weinte bitterlich. Und weil es ein so zerbrechliches Wesen war, so allem schutzlos ausgeliefert und Shivas Herz voller Liebe entzündet war, sprach der Mächtige zu ihm: nun, ich will für dich, du armes Menschenkind, zu deiner Erlösung eine abgeschwächte Form der Verzückung bauen, auf daß auch dein Herz noch unter Verdorbenen gestillt werden kann und du Freude empfängst." - und Er nahm diesmal nur einen Kürbis, sowie Stege und Saiten, wie zuvor bei der Veena und..... baute  daraus die Sitar, wie sie heute noch in Indien gespielt wird.

Das ist die Philosophin unter den Musikinstrumenten. Die Sitar offenbart ein Geheimnis, welches die Veena bloß erahnen läßt: das Geheimnis des Mitschwingens dessen, was übereinstimmt. Wird eine bestimmte Schwingungszahl erreicht, so tönen die Resonanz- oder Oktavseiten in allen Welten und Ebenen einfach mit, ohne daß sie der manuellen Berührung bedürfen: Sobald der Grundton stimmt, schwingen die Universen. Es erkennen die Klänge aufgrund gleicher Schwingungsfrequenz, ganz wie Familienangehörige sich erkennen. Daher stammt schließlich das auf den Gehörsinn gerichtete Wort "angehören". Und wenn einer zu jubeln anfängt, jubilieren  die Gleichgestimmten alle mit....

Gibt es im Menschen nicht auch das, was den Oktavsaiten entspricht, daß plötzlich man absichtslos mitschwingt mit einem bis dahin Unbekannten, einer Melodie, einem Wort, einer Geste, einem Gesicht oder Stimme? Und Begeisterung - springt sie uns nicht an, wie die Flamme einer brennenden Kerze auf den Docht einer noch nicht brennenden springt?
Freilich, viel feiner sogar! - Nur ist Feines seiner Natur nach immer flüchtig, verschwindet dorthin zurück, wo es herkam.
Lebende Wesen schwingen, sobald sie leer wie Kalebassen sind. Noch feiner, als nachgeschöpfte Musikinstrumente ist das als Seele bezeichnete lebendige Schwingungswesen. Alles Instrumentale ist nur Hilfsmittel, welches nichtsdestotrotz den Menschen großes Vergnügen bereiten kann. Es lag dies ja in der Absicht beim Bau der Rudra-Veena, die keine äußeren Oktavsaiten benötigt - sie sollte unmittelbar die verborgenen inneren Saiten des Zuhörers zum Mittönen bringen. Widerspruchslos, wie Wasser: der Tiefe nach im Irdischen - und aufsteigend in Feuernähe, dadurch kreisläufig die Erde umrundend.

Dann nämlich bräuchte es keine räumliche Nähe mehr für Seelenverwandtes, nicht mal zeitige Nähe, da Zeit und Raum in der Extase aufgehoben sind. An entferntesten Orten schwingt alles Stimmende in niemals endenden Weisheitsliedern - all-ein durch den Anblick von weiblicher Schönheit.


Die Rudra-Veena gehört der Vergangenheit an. Sie wird inzwischen nicht mehr gebaut, ist der Vereinfachung der sog. Sarasvati-Veena gewichen. Sarasvati - hind. Göttin der Weisheit, sowie der Musik.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (30.01.15)
Schön erzählt. Die Sitar schwingt übrigens auf einer Oktave des Erdenjahres. Uralte Kosmologie.
Graeculus (69) meinte dazu am 30.01.15:
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 LotharAtzert antwortete darauf am 30.01.15:
Das hätte ich auch gerne erläutert.
Bis dahin noch einen musikalischen Leckerbissen, diesmal die Sarasvati Veena, gespielt von phantastischen Künstlern:
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 Regina schrieb daraufhin am 31.01.15:
Die Sitar wird auf den bekannten indischen Meditationston "Aum" eingestimmt, der auf einem etwas tieferen, als dem von uns verwendeten cis schwingt. Das hat die Hertzzahl 136,10. Mit dem Erklingen dieser Schwingung erklingt, wie die Akustik lehrt, als erster Oberton dessen Oktave auf der doppelten Schwingung (zur Orientierung: auf dem Klavier ist das dann das eingestrichene cis). Man kann also alles nach oben oder unten oktavieren, indem man die Hertzzahl verdoppelt bzw. halbiert. Das Jahr, also die ca. 365 Tage, die die Erde um die Sonne braucht, ist auch eine Schwingung, zu der man rechnerisch durch x-mal oktavieren nach unten kommt. Der Mathematiker Hans Cousto hat es berechnet, in seinem Buch "Die kosmische Oktave" ist es genau erläutert.

 LotharAtzert äußerte darauf am 31.01.15:
Danke Regina. Das wusste ich teilweise noch nicht. Nur das Wort "kosmisch" bereitet mir jedesmal ein ungutes Empfinden.
Wißt ihr eigentlich, daß der Maestro Ravi Shankar zwei hochtalentierte Töchter hat?
Die Anoushka ist ja bekannt, aber die andere, na wie heißt die???
Gucksdu:
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BabetteDalüge (67)
(31.01.15)
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 LotharAtzert ergänzte dazu am 31.01.15:
Die Hüfte, Babette, denk an die Hüfte ...
Mitschwingen meint nicht - es geschieht oder geschieht nicht. Übereinstimmung ist bereits ein (himmlisches) Enthobensein, frei von Erdenschwere.
Vielleicht klammerst du Dich an den Begriff Himmel - er kommt gleich dreiimal vor - weil er dir fehlt.
Ich würde statt Himmel deshalb von "Präsenz" sprechen, das schließt auch das ebenfalls gern verwendete Wort Bewußtsein mit ein. Präsenz ist das Gegenteil von Abwesenheit.
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