Formalausbildung

Kurzgeschichte zum Thema Krieg/Krieger

von  LotharAtzert

So stand es auf dem Tagesplan: "8:00 Uhr bis 10:30 Formalausbildung."
Ich hatte keine Ahnung, was das war, da in der Kaserne in Treysa, konnte mir aber vorstellen, daß es nicht unbedingt der Burner sein würde. Krawatte, Stiefel, hellgraue Jacke, G 3 - die Kleidungspflicht plus Gewehr widersprachen dem schon aufs heftigste.
"Batterie ... still gestanden!" ging es dann los. "Die Augähn ... links! Die Augähn ... grad aus!" Das übten wir fleißig, bis - "Batterie ... rührt euch!" - einen Batterie-Stampfer noch und dannn hieß es "Feuer frei!" - salopp lässig vorgetragen, als Zeichen für die Erlaubnis zum rauchen einer Zigarette.
Das "rührt euch" brachte mir einen ersten Rüffel ein, weil ich spontan auflachte. Ich rühre mich - die Vorstellung ist mir auch vierzig Jahre danach noch eine sonderbare "Metapher", wie der Intellektuelle sagt - sie rührt mich noch immer zu Tränen. - Und Freispruch fürs Feuerelement gar - ja, ein Burner ganz eigener Art - allmählich dämmerte mir der Verdunkelungszustand, in den ich geraten war.
In Funktionsformen sollten wir Neuankömmlinge gepresst werden, egal, wo einer herkam, aus welcher Kaste, welchem sozialen Umfeld wir entstammten, wie mir der junge Mann bestätigte, der partout mit "Herr Unteroffizier" angesprochen werden wollte: "In Formen gepresst, zur Verteidigung Ihrer Mutter. Und lassen Sie sich vom Kameraden die Krawatte gerade rücken!"

Seine burschenhafte Unverblümtheit wollte ich ihm mit einem herzlichen Lacher quittieren, da brüllte er mich an, ob ich den Verstand verloren hätte. Die Russen hätten einen wie mich auf der Stelle erschossen. Er aber beließ es großzügig bei einer Sperrung des ersten Heimaturlaubs.
Eingeschüchtert antwortete ich: "Ja wenn Sie mich so direkt fragen, Herr Unteroffizier - nein, ich habe gar keinen Verstand, - aber etwas Bildung von Tante Martha genossen. Die hat immer den Hölderlin zitiert: Wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch ...
.Nein, der Herr Unteroffizier wollte weder scherzen, noch über Dichtung reden, hasste mich von Stunde an und würde nichts unversucht lassen, meinen Eigensinn in den nächsten zwei Jahren zu brechen. (18 Monate Wehrdienst plus "Nachdienzeit" wg. diverser Vergehen, wie "Unerlaubtes Entfernen von der Truppe" u.ä.)
Von da ab passte ich mich zum Schein manchmal an, sagte und tat auch mal, was er hören und sehen wollte, - machte den Horst sozusagen, robbte durch den Schlamm, wenn er's befahl, putzte die Klos und den Spind an den Wochenenden dreimal hintereinander, um ihn gnädig zu stimmen, schrieb sogar mal ein Referat über den Sinn der Grußordnung (- er nannte es eine unverschämte, noch dazu talentfreie Satire) und und und. Naja, er hatte bereits Frau und Kinder -  und ich wollte die Zeit einigermaßen aufrecht überstehen damals, vor über 4 Jahrzehnten. Das ist mir, wie der Veteran sagt, unter großen Verlusten schließlich gelungen.

Am nächsten Ausbildungsmorgen marschierten wir im Gleichschritt gen Marburg und es hieß "Batterie ... ein Lied! -  O du schöner Westerwald - und wehe, jemand singt Eukalyptusbonbon - ich warne Euch eindringlichst davor! ... Batterie ... links schwenkt ... marsch!"
So sangen wir "O du schöhöhöner Wehehesterwald ... " und einer schmettert tatsächlich in die jäh eintretende Pause hinein "Eukalyptsbo ..." während wir gedanklich schon beim "Über deine Höhen fegt der Wind ..." usw. waren, da merkte er sein Fatum und das zweite halbverschluckte "bon" verriet den verzweifelten Versuch dieser armen Seele, das Unheil noch abwenden zu wollen, wenigstens in milderen Aufprall, Doppel-D vielleicht ... 
Alles hörte zu singen und marschieren auf und lachte und johlte wild durcheinander.
Diesem armen Burschen erging es in der darauffolgenden Zeit noch deutlich schlechter, zumal er sich verbal kaum wehren konnte. Im Gegensatz zu mir wollte er, eine schlichte Natur vom Land, ja dazugehören, tappte aber in jede hinterhältig geplante Falle, die man ihm, auch von Kameradenseite, tagtäglich, um des Bauernopfers willen stellte.
Aber auch er hat schließlich überlebt. Wir waren am Ende die beiden Einzigen, die nicht automatisch Gefreiter wurden, sondern Kanoniere blieben auf Lebenszeit.

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(02.01.15)
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 LotharAtzert meinte dazu am 02.01.15:
Hallo Sätzer,
Sei froh! Aber ich glaube, daß jeder seine schmerzhaften Lektionen im Leben bekommt, die ihn reifen lassen.
Das ist auch gut so, sonst hätten wir ja hier nichts zu erzählen ...
Gruß
Lothar

 Dieter_Rotmund (02.01.15)
Gerne gelesen, wenn auch hier und da kleine Schlampigkeiten, wie z.B. der auffällige Punkt zum Satzanfang.

 LotharAtzert antwortete darauf am 02.01.15:
.
Mein Neujahrsfehler exclusiv für Dich, my dear ...

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 02.01.15:
Das ist nett, vielen Dank!

Wem widmest Du Deine anderen Fehler?

"dannn": Merkt jedes Prüfprogramm

zum rauchen: Verb hier substantiviert, oder? Falls ja, dann Majuskel, nicht wahr?

fürs: Apostroph fehlt (weiter oben komischerweise richtig gemacht)

"Ja wenn": Komma fehlt

".Nein": Immer noch da.
(Antwort korrigiert am 02.01.2015)
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