Bekanntschaft aus dem Internet

Kurzgeschichte zum Thema Internet

von  SKARA666

„Hey, wer bist Du?“ Genauso fing alles an, das war vor zwei Wochen. Ihre Frage bezog sich auf ein kleines Gedicht das ich schrieb, und das ihr sehr zu gefallen schien. Wir schrieben uns ab und zu eine Mail, eine SMS und telefonierten, oft stundenlang. Vor vier Tagen dann fragte ich sie, es hat mich Überwindung gekostet, doch ich musste es versuchen, ich wollte diese Frau sehen, die so wundervoll schrieb und deren Stimme so liebevoll am Hörer klang. „Ich fahre morgen durch deine Heimatstadt, da werde ich Zeit finden, auch für ein paar Tage, damit wir uns vielleicht einmal sehen und näher kennen lernen. Was hältst du davon?“ Es vergingen einige Minuten bevor sie antwortete. Ihre Antwort hat mich überrascht und auch vor Glück lächeln lassen. Doch damit nahm das Drama seinen Lauf, denn es wurden die absoluten Tage der Kurzweiligkeit meines Lebens. Nach den ersten paar Minuten tatsächlicher Begegnung am Bahnhof lies sie mich wissen, das sie sofort nach Hause müsse, sie hätte den PC laufen. Also führte sie mich zu ihrem Heim, bat mich die Schuhe auszuziehen und mich zu setzen. Sie setzte sich nicht zu mir, wie ich es erwartet hatte, sondern begab sich gleich an ihren PC, dort verbrachte sie auch die nächsten Stunden des noch verbleibenden Tages. Sie ging nicht mit mir, sondern mit ihren Smartphone ins Bett und bot mir die Couch an. Es war für mich vollkommen in Ordnung, nur hätte ich mir dennoch mehr Zeit mit ihr gemeinsam gewünscht. Der Tag darauf begann wie der erste Tag bei ihr geendet hat. Wenn sie einmal mit mir sprach, dann ging es nur um das, was andere Leute gerade im Netz schrieben oder gepostet hatten. Sie lachte mit und über Menschen die sie nie gesehen hatte, sie vergaß manchmal sogar, das ich überhaupt da bin. Manchmal verließ ich ihre Wohnung, ging allein durch die kleine Stadt und sah mir das Leben an, das die Stadt bewegte. Ich glaube, sie hat gar nicht bemerkt, das ich für einige Stunden fort war. Am Abend des dritten Tages stellte ich sie zur Rede. „Was machst Du den ganzen Tag?“ Fragte ich sie und staunte über ihr genervtes Getue. „Na was wohl, siehst du doch, ich arbeite den ganzen Tag am PC, ich bediene die Gruppe, irgendeiner muss das ja tun!“ Ich verstand gar nicht was sie meint, sie wurde  wütend, sie war gereizt, nahezu hysterisch. Sie erklärte mir kurz, das ihr die Leute auf den Sack gehen. Doch warum ließ sie ihre Unzufriedenheit über das blöde Social Network an mir aus? Sie kann doch einfach alles ausmachen, zurück in die Realität kommen. „Hör mal“, sagte sie, „ ich hab gerade den Kopf voll, ich würde ja gerne abschalten, habe extra schon andere Leute zum Administrator ernannt, doch die bekommen das nicht hin! Dabei ist es gar nicht schwer, einfach nur mal reinschauen, die Regeln durchsetzen.“ Natürlich bekommen sie das nicht genauso hin wie du, dachte ich mir, denn diese Leute leben ihr Leben in der Realität. Ich verstand sie immer noch nicht und dachte bei mir, ob ich einfach mal den Stecker vom PC raus zieh, ihr das Handy abnehme und sie frage, ob sie nicht vielleicht Lust hätte den Tag ohne Leute aus dem Netz  zu verbringen, die sie eh nicht kennt? Ich versuchte es, da sie mir eh wieder nicht zuhörte. Ich zog den Stecker heraus. „Hey, drüben im Club ist gerade eine kleine Party, wollen wir nicht einmal nachsehen was sie zu bieten haben?“ Mit ihrem Handy in meiner Hand habe ich ihr zugewunken. Sie sprang auf, sah mich fragend und kopfschüttelnd an, war am pusten, ihre Augen wurden größer. Wir kennen uns erst seit kurzem, habe sie für eine tolle Frau gehalten, doch so langsam dämmerte es mir. Sie ist süchtig, sie lebt in einer Welt, die sie nicht mehr hergeben mag, sie scheint Angst zu haben etwas zu verlieren das nie real war, nur ein Bild auf einem Desktop. Doch es ist für sie so echt wie das Tageslicht. Sie sah mich an wie eine fauchende Kobra die kurz davor war, nach vorn zu schnellen und zu zubeißen. Es wurde Zeit das ich gehe, denn helfen kann ich ihr nicht. Eine Freundschaft, die hätte real werden können zerfiel und verlor sich in Milliarden kleiner Quadrate.  Alles was blieb war ein Abendgruß. Ich trat aus der Wohnung hinaus und schloss die Tür hinter mir, hörte noch wie sie mich fluchte. Doch verfluchte sie eigentlich nicht mich,auch nicht die Situation in der wir gerade beide steckten, sondern die Zeit, die sie für die Realität geopfert hatte und nicht für ihr virtuelles Dasein nutzen konnte. Das Haus verlassen stand ich nun im Halbdunkel der mondbeschienen Straße und atmete die klare Luft, die der Regen zuvor zurück gelassen hatte. Ich machte mich auf zu einem langen Spaziergang, kam an einer Kneipe vorbei und genoss die Gesellschaft. Heute morgen als ich wieder bei mir zu Hause ankam, setzte ich mich vor meinen PC, schaltete ihn ein um die E-Mails zu prüfen. Zu meinem erstaunen fand ich auch Mails von der schönen Frau. Sie schrieb mir zu der zeit, als ich in ihrer Wohnung auf der Couch saß, darauf hoffte, sie würde ihre Zeit mit mir teilen.....

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Isaban (17.06.17)
Hallo SKARA666,

eine äußerst interesante Geschichte, eine von der Sorte, bei der man nie wirklich ganz genau weiß, ob sie eine Satire ist oder ganz einfach schmerzhaft realitätsnah. Schade, dass so viele vor lauter virtuellem Leben das richtige Leben so ganz und gar vergessen.

Libe Grüße

Sabine

PS.: Man könnte vielleicht noch ein paar Kommata unterbringen in diesem Text. Vielleicht magst du ja nochmal drüberschauen.

 SKARA666 meinte dazu am 18.06.17:
Danke! Schön, das es dir gefällt.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram