Du bereitest mir einen Tee zu, während ich mich in der Küche umsehe. >Welchen Tee möchtest du?< >Denselben wie du, überrasch' mich!< Ich lehne mich an das Fenster und sehe dir bei deiner Auswahl zu, wie du hinab zur Tasse blickst, beobachtest, wie sich die Farbe des gekochten Wassers wandelt. Du in Schlafhose, Sweater, mit Zopf, ungeschminkt und schön. Bei unseren ersten Treffen war es mein Look, jetzt ist es deiner. >Weißtee.<
Wir sitzen auf dem kalten Boden, den wir nach und nach erwärmen. Du zeigst mir ein paar Songs, die dir gefallen, mich berühren. Keineswegs fühle ich mich in der neuen Umgebung unwohl, fühle mich stattdessen in der Mitte deines Zimmers geborgen. Wir sprechen über deine Mitbewohner, du berichtest mir über deine Sorgen, und wir philosophieren über den Tod, das Leben danach, über Freitod. Dein Kopf fällt erschöpft auf meine Schulter, es ist spät, bereits nach Mitternacht. Wir sitzen vertikal zueinander, schwer vorstellbar, aber es funktioniert. Mein Kopf lehnt auf deiner Schulter. Wir sind uns sehr nahe, ohne uns dabei zu umschlingen, ohne uns etwas zu zerren, halten wir uns gegenseitig aufrecht, gegenseitig fest. Habe mich selten so lebendig gefühlt, gleichzeitig selten so verträumt, selten so >surreal<, wie du es bezeichnet hast. Wir reden über unsere Geschwister, über die Probleme deiner Schwester, über meine Probleme mit meinem Bruder. Minutenlang halte ich einen Monolog über meine Familienverhältnisse, du hörst mir zu, ohne mich zu unterbrechen. Die Worte fließen dammlos bis zum letzten Tropfen. Wann hat sich das Verhältnis zu meinem Bruder verändert? Ich denke im Stillen nach. Das kurze Aussetzen meines Atems signalisiert dir meine Erkenntnis, blickst mich erwartungsvoll an. >Das alles hat mit diesem einen Tag zutun, mit diesem einen Abend, als meine Mutter nicht da war und mein Bruder begann, mich auf einmal zu beleidigen, ich weiß nicht mehr warum, aber er sagte, ich sei fett, ein 'Fettsack', er redete sich in Rage, und vage ist die Erinnerung daran, alles verdrängt, aber nicht der Augenblick, als ich die Zimmertür schloss, verschloss, zu Boden sank und begann zu weinen.< Ich war dreizehn und durch den Umzug verlor ich mangels sozialer Interaktionsplattformen meine damaligen Freunde, fast ein Jahr lang verbrachte ich auf meinen wenigen Quadratmetern im dunklen Zimmer, stets alleine mit mir selbst, auf dem Bett, am Schreibtisch oder auf der Fensterbank, bis zur Verzweiflung alleine mit den Gedanken. An diesem Abend eskalierte es. Das erste Mal realisierte ich das schwarze Loch, in das mich die Einsamkeit zog. Du drückst mich ein bisschen fester, streichelst meinen Rücken, zeigst mir, dass diese Nacht keine Einsame ist.
Ich rücke zurück, spreize meine Beine und ziehe dich zu mir, deine Beine über meine, eine Art gemeinsamer Schneidersitz, sodass sich unsere Nasenspitzen berühren können, aber wir weichen ihnen gekonnt aus, indem wir uns küssen. >Du hast andere Lippen. Solche Lippen habe ich noch nie geküsst.“ Dagegen habe ich solche Worte noch nie gehört. >Lass uns tanzen, ich habe Lust zu tanzen<, posaune ich, springe auf und tanze befreit durch das Zimmer. Sie folgt meinem Beispiel, tanzt, wir hüpfen mitten in der Woche nachts durch das Zimmer, lachen und bewegen uns albern zur Musik, keine Rücksicht auf Verluste! Das Lied endet, ein Langsameres beginnt, ich greife nach deiner Hand, ziehe dich zu mir und wir tanzen, als seien wir auf unserem Abschlussball, den ich nie hatte. >Ich wollte schon immer mal so mit einem Mädchen tanzen, auch wenn ich es nie gelernt habe - wie in den Filmen! Man kommt sich so nahe.<, merke, wie Wörter den Moment zerstören, halte inne. Wir bewegen uns also im Gleichschritt walzerähnlich, aber ganz sicher nicht walzerhaft, langsam durch den Raum.
>Komm, spring auf meinen Rücken, ich nehme dich Huckepack!< Du nimmst zwei Schritte Anlauf und hoppst auf meinen Rücken. >Wir machen jetzt eine WG-Roomtour, du zeigst mir alle Räume und alles, was es an Besonderheiten zu sehen gibt.< Wir beginnen unsere Reise im Flur, hüpfen über die gefährliche Schwelle in das Zimmer deiner Mitbewohnerin. Du erzählst mir ihre Geschichte, ich witzle über die leeren Bierflaschen und schließe daraus ein sehr schweres Alkoholproblem. Wir lachen. Weiter geht es Huckepack über den abenteuerlichen Flur zum Zimmer deines Mitbewohners, die Tür ist geschlossen. Hinter ihm verbirgt sich das Heim des einsamen Wolfs, dessen Ratte vermutlich gerade verspeist wird. Ängstlich ziehen wir von dannen, ein Schritt rückwärts in die Küche. Pause. Du steigst hinab. >Ich habe eine super Spielidee! Es heißt, 'Ich sehe was, was mir gehört.'. Du blickst in eine bestimmte Richtung ich errate, welcher Gegenstand dir gehört.< Du blickst zur Küchenzeile, auf dem viele Tassen stehen, die Küchenschranktür steht offen, noch mehr Geschirr. Ich lehne mich an die Küchenzeile und sehe dir in die Augen. >Verdammt, du meinst mich! Hach, wie niedlich.<, scherze ich lachend, was sie lachend verneint. Ich tippe auf die rote Kanne. Falsch. Es war der Backofen. >Pff, ich dachte, es geht hier um Gegenstände<, grinste ich. Mit dem Zeigefinger deute ich auf meinen Rücken und zack, spüre ich deine Körperwärme. >Die lebende Heizung!< Das Abenteuer endet, in deinem Zimmer angekommen, sinken wir erneut zu Boden, doch schlafen schließlich in getrennten Zimmern.