Dichterjahr

Naturgedicht zum Thema Jahreszeiten

von  3uchst.Sonderz.

Wenn die weißen Wolkenfransen
mit den hohen Lüften zieh‘n,
Blütenblätter Reigen tanzen
rings im Kreis der Allergien.

Wenn die Tage feine Späne
von den langen Nächten feilen,
wie im Kinderlied die Schwäne
mit der Sonne nordwärts eilen.

Wenn die Herzen mutig schlagen
und die Träume neu erwachen,
Wünsche sich ins Werden wagen,
neue Dichter Verse machen.


Wenn die schweren Wolkenhaufen
sich auf dumpfe Donner stützen,
Wellen durch die Felder laufen,
Stengel tragen bunte Mützen.

Wenn die Tage träge rinnen
und die Nächte heller scheinen,
sich nach außen kehrt das Innen,
War und Werde sich vereinen.

Wenn in lauen Dämmerungen
leise Herzensechos klingen,
zu den Liedern – schon gesungen -
Dichter neue Lieder singen.


Wenn die bunten Blätter fallen,
Kleckse in die Wälder tupfen,
Eicheln auf den Boden prallen
und in leere Felder hupfen.

Wenn die Nächte länger träumen
und die Tage kürzer werden,
Äpfel hängen an den Bäumen,
Reiter fallen von den Pferden.

Wenn voll Wehmut sind die Herzen
und die Luft ist voller Keime,
Seelen atmen Sehnsuchtsschmerzen,
müde Dichter suchen Reime.


Wenn in kahl zerzausten Ästen
nur Erinnerungen hängen,
aus den letzten Farbenresten
schmutzig Braun und Grau sich mengen.

Wenn nach kalten klaren Tagen
strahlend schwarze Nächte schaudern,
klamme Finger Wolle tragen,
Schritte vor dem Draußen zaudern.

Wenn die Herzen voll mit Leere
zwischen Schlaf und Wachen schwanken,
grübelnd drehend um das Wäre
spinnen Dichter sich Gedanken.


Wenn sich neu ein Kreis um Kreise
legt im Kommen und Vergehen,
neue Worte, alte Weise,
alte Bilder, neues Sehen.

Wenn im Rhythmus Tage schwingen,
sich um Hell und Dunkel ranken,
Verse machen, Lieder singen,
Reime suchen, Nachtgedanken.

Während Herzen wählen müssen
zwischen War und Sein und Werde,
wachsen Bäume aus den Nüssen,
wandeln Dichter auf der Erde.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (26.03.20)
Anfangs wollte ich gleich wieder wegklicken. Ein ewig langes Gedicht, bestimmt mit viel unnützen Wörtern, weil wieder jemand verlassen wurde ...blah, dachte ich. Gut, dass ich dennoch wagte, die ersten Zeilen zur Untermauerung meiner Gedanken anzulesen. Aber dann haste mich gekriegt. Deine Verse machen Freude. Von wegen Liebesschmerz und co! Ha, da geht was, wusste ich bald.
Und in der Tat, deine Sprache gefällt mir.
Wenn man wie du sprachbegabt zu schreiben vermag, macht man gern den Fehler, das auch ausschweifend zu zeigen. Etwas mehr Kürze würde ich mir daher wünschen. Eine Idee - eine Zeile
Trotzdem, schön!

Lotta

Kommentar geändert am 26.03.2020 um 08:28 Uhr

 3uchst.Sonderz. meinte dazu am 26.03.20:
Hallo Lotta,

Vielen Dank für den freundlichen Empfang bei KV.
Ich werde mich wohl noch etwas an die Gepflogenheiten gewöhnen und anpassen müssen. Vielleicht wäre ein Mehrteiler zum Aufklappen übersichtlicher.

Als Rechtfertigung kann ich nur anführen, dass es ja eher 4*3 Strophen für die Jahreszeiten + 1*3 Strophen für die Zusammenfassung sind.
Das erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte:
Zuerst kam der Herbst auf der Terrasse mit Wildem Wein und etwas personalisierter in der ersten Strophe
und dir auf die Nase tupfen
.
Jahre [sic!] später kam ich auf die Idee das auszubauen und das hat dann tatsächlich noch einmal fast ein Jahr gedauert.

Und ansonsten kann ich dich beruhigen: Meistens schaff ich nicht mehr als 10 Zeilen. Es sei denn, ich lass mich zu 5*12 hinreißen

Noch mal vielen Dank für dein Durchhaltevermögen und deine positive Rückmeldung
Norbert

 AvaLiam (26.03.20)
Hey

Schön! Klar.

Titel: Dichterjahr

15 Strophen... ok - ich hab nix gegen lange Gedichte, solang sie sich gut lesen und mich rhythmisch zum Tänzeln einladen, wie dieses.

12 hätte ich aber in Bezug auf den Titel cooler gefunden. Nochmal so als Easter Egg.

Vielleicht kann ich mich beim dritten Lesen und Tanzen ja damit arrangieren, dass für den armen Dichter mit seinen paar Kröten und dem täglichen Überleben das Jahr doch länger zu sein scheint,

oder - jetzt hab ichs - das Jahr einfach soviel Stoff bietet...Bilder, Emotionen, Geschehnisse...dass die Worte einfach 15 Monate brauchen, um sich in einer Jahresbilanz finden zu können.

Du weißt ja - die 5. Jahreszeit ist an die Jecken vergeben.

So verbleibe ich freundlich grüßend mit einem Arrangement aus 4 Jahreszeiten und einem Dichtungsquartal - Ava.

 3uchst.Sonderz. antwortete darauf am 26.03.20:
Hallo Ava,

vielen Dank für deine netten Bemerkungen.
Etwas tiefergehend möchte ich dich - ohne Rangfolge - auf meine Antwort zu Lottas Kommentar verweisen.
So jeck, dass ich an die 5. Jahreszeit glaube, bin ich nicht. Da komme ich aus der falschen Gegend Aber bring mich nicht auf dumme Ideen.
Da hab ich wohl nicht so richtig deutlich gemacht, dass der letzte Teil die Gesamtheit der Jahreszeiten zusammenfassen soll.
Einen Tag später und wacher komm ich jetzt drauf, dass die drei Strophen pro Jahreszeit als Monate interpretiert werden können. In meiner Begeisterung hab ich da gar nicht drangedacht.
Da war's eher:
1. Strophe allgemeine Quartalskonotation
2. und 3. Strophen jeweils thematisch korrespondierend
13., 14., 15. analog in der Gesamtsicht


Auch dir natürlich noch mal vielen Dank und alles Gute für alle Quartale und das ganze Jahr
Norbert

Antwort geändert am 27.03.2020 um 13:43 Uhr

 eiskimo (26.03.20)
Ein toller Reigen, sehr gekonnt geschrieben, sehr inspirierend!
vG
Eiskimo

 3uchst.Sonderz. schrieb daraufhin am 26.03.20:
Hallo Eiskimo,

so viel Lob. Ich bin ja ganz geplättet. Da hat sich das Jahr dann doch gelohnt

Vielen Dank
Norbert

 AchterZwerg (26.03.20)
Wenn der Mond am Himmel thront
und sich ein Gedicht nicht "lohnt",
heißt es häkeln oder stricken
und

nein, nein!

nicht nach dem Himmel blicken.

:)

 3uchst.Sonderz. äußerte darauf am 26.03.20:
Hallo AchterZwerg,



Wenn in hellen Mondesnächten
Epigonen kritisieren,
aber keine Gründe brächten,
Dichter trotzdem reüssieren.
;-)

Schöne Grüße
Norbert

 sandfarben (27.03.20)
Ehrlich gesagt, ich bin kein großer Fan überlanger Gedichte, doch deine Verse haben mich "gefangen gehalten". Es war auch beim Lesen kein Holpern, es passte einfach und deine Lyriksprache finde ich wirklich sehr schön. Ich hoffe, wir können hier mehr davon lesen... wenns kürzer geht, auch gut!
Herzlichst,
c.

 3uchst.Sonderz. ergänzte dazu am 27.03.20:
Hallo c. (oder sandfarben)

auch dir vielen Dank für das Lob und für den Hinweis, darauf zu achten, wie viel ich im Laufe eines Jahres so anhäufe. 5*12 Zeilen sind aber ein absoluter Ausnahmefall.
Normal hab ich nur bei Anmerkungen und Erklärungen bestätigterweise übermäßige Längen. Bei Gedichten ist mein Motto eher: Wenn mir unklar ist, ob meine Intention richtig rüberkommt, kürzen! Also sei unbesorgt, die anderen, die ich in petto habe, sind kürzer Ich muss nur immer die richtige Jahreszeit abwarten, jetzt also erstmal  Frühling.

Nochmal vielen Dank
Norbert
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram