You Roquefort

Erzählung

von  minze

Daphne und Louise sind unsere Zeltnachbarn auf dem Festival. Sie kommen wie wir hauptsächlich wegen System of a Down. Wir kommen schnell bei Bier ins Gespräch, sie haben belgisches dabei, ein paar verschiedene Flaschen für den ersten Tag und bieten uns gleich welches an. Yann ist mit ihnen auf einer Welle mit dem Bier. Sie sind richtige Elsässer, trinken nur Bier, Ausnahme: Irish Coffee. Kennt Yann auch. Ich bin erst mal etwas verhalten, weil ich bei belgischem Bier wenig Fachkenntnisse habe, aber da hier die Konzerte erst spät anfangen, entsteht ein langes Spiel zwischen uns: Sammeln von Biermarken. Sie grasen alles ab, was sie aus Frankreich, Belgien und Irland kennen und kommen dann auf die typischen deutschen Biere, aber ich ergänze doch noch langsam, werde warm. Die beiden sind Schwestern, Louise aus Bielefeld, mit einem Deutschen verheiratet, Daphne aus Strasbourg. Einmal im Jahr gehen sie zusammen auf ein Festival, um nur Zeit für sich zu haben. Wir stehen kurz vor unserem Umzug nach Offenburg. Sofort fusionieren wir. Ich vermute, sie sind höchstens zwei Jahre auseinander, Louise ist ruhig und arbeitet irgendetwas Kunstwissenschaftliches, sie hat eine bodenständige Hochzeit hinter sich, ist aber laut Daphne nicht sehr glücklich in ihrem kleinkarierten Leben. Zu wenig Bewegung. Daphne trägt nicht nur auf dem Festival ihre Metalkluft, das sehe ich später auf Facebook und als wir sie das erste Mal besuchen. Sie trägt einen Minirock aus Kronkorken, alle einzeln aufgenäht, die Kronen nach innen, und sagt mit ihrem wilden Blick, dass es sie nicht stört, dass es sie piekst, in manchen Situationen.

Ich trete mit ihr beim Luftgitarrenwettbewerb vom Pringles-Stand auf, in einer der längeren Wartephasen vor den Konzerten. Das Roch’n‘Heim ist neu, sie haben sich auf wenige Acts konzentriert, die groß sind und eine Location, die beeindruckt. Die Leute wirken etwas verloren bei diesem Versuch, trudeln herum und glotzen sich an. Daphne auf jeden Fall: verdammt heiß auf den Knien, wirft die langen, schwarzen Haare hin und her und wer will, sieht ihr Höschen. Sie brüllt und lacht abwechselnd. Sie hat grüne Augen, kleine gelbe Punkte drin, sie ist auch ohne den kurzen Rock verdammt intensiv. Ich glaube, der Metal potenziert sie. Ich wähle Nirvana, hole mir eine Afroperücke aus der Verkleidungskiste und trete die Kartons kaputt, schmeiße sie ins Publikum. Der Typ von Pringles ist ungläubig, die meisten Umhergehenden schauen weg, nur manche grölen kurz und grüßen mich mit Hörnerfingern. Egal, Yann liebt mich trotzdem. Daphne und mich verbindet dieser Auftritt.

Endlich das System Konzert. Wir sind vorne, es ist heiß, eine riesen Staubwolke wird aufgestoßen vom trampelnden und glücklich wütenden Mob. Wir sehnen uns nach immer mehr Songs, gleichzeitig sieht sich Daphne verunsichert um. Gleich nach Beginn des Konzertes ist Louise verschwunden. Sie war richtig besoffen. Wir zwingen uns drei dazu, alles für das Konzert zu geben, Daphne sagt wie zur Beruhigung, dass sie das immer so als Schwestern machen, auch wenn sie sich kurzzeitig verlieren: nach dem Konzert Wiedersehen beim Treffpunkt. Nach dem Konzert suchen wir sehr lange. Wir schauen auf dem Weg zum Camping, in den Büschen, wir schauen hinter den Bars, mehrmals im Zelt, der ausgemachte Treffpunkt wird sporadisch von Yann aufgesucht. Daphnes Nerven lassen immer wieder nach, in einem Moment lassen wir uns auf dem Boden nieder und ich umarme sie ganz fest. Sie sagt mir, dass Louise schon viel Unsinn gemacht hat, alleine, betrunken. Dass sie doch ihre große Schwester sei. Ich verliere die Fassung und erzähle meine Geschichte. Wie wir vor vielen Jahren meinen kleinen Bruder gesucht haben, wie er gesucht wurde, eine Nacht lang, bis man seinen Körper fand. Es stürzt aus mir heraus, auch wenn es wenig hilfreich ist, da birgt sie mich auf einmal in ihren Armen, wir halten uns und ihre Stimme wird ruhig. Sie tröstet mich. Sie wird wiederkommen, sagt sie. Am nächsten Tag kriecht Louise aus dem Zelt. Sie war kotzen und hat in einer Böschung geschlafen, die halbe Nacht. Es ist ihr peinlich. Daphne und ich schauen uns lange an. Abreisetag. Ab heute heißt Louise Vomito .

Alexis, ihr Mann, ist Daphne ähnlich. Nicht in Allem. Wir sprechen oft über die Verseuchung von Front National im Elsass, gleichzeitig ist er, je länger der Abend, desto schlechter auf Ausländer zu sprechen. Seit gespaltenes Verhältnis zu den Deutschen spüre ich schon bald. Er spricht das Elsässische, aber ich sollte nicht auf Deutsch antworten, denn er empfindet ein tiefes Missverhältnis in der deutsch-elsässischen Geschichte, welches ich ungern erörtern will, und das schon aus seinem hadernden Blick dringt, wenn ich auf Ca geht’s? deutsch antworte. Wenn die beiden losziehen, scheint es archaisch zuzugehen. Er trägt Tierfell und Teufelshörner, auch auf Facebook gesehen, in live traue ich mich nicht. Er hat etwas Aggressives, erst jetzt verstehe ich, dass Daphne der sanfte Part ist, zumindest in dieser Kombination. Relativ früh besteht Alexis darauf, dass wir zu einem Flammkuchenabend kommen. Er ist stolz darauf, einen richtigen Ofen zu haben und wir erfahren, dass das hier so üblich ist. Es dauert lange, ihn anzuheizen und er behandelt ihn mit viel Liebe. Ich stehe mit ihm draußen vor der Garage herum und er erzählt von dem Haus, wieviel Glück sie damit hatten, der Kompromiss war kein Garten, aber ein Fachwerkhaus mit Charme. So eingebettet in diese ursprünglichen Dinge, die ihn ausmachen, sehe ich ihn anders, verstehe ein bisschen etwas von ihm. Er angelt, manchmal mit seinem Neffen, stundenlang im Regen, in der Ruhe. Er fällt selbst unter seinen Freunden aus der Reihe mit seinem Schottenrock und wenn ich Daphne und ihn sehe, rein visuell, scheint es offensichtlich, dass sie sich gefunden haben.
Yann tut der Anschluss gut, mit Daphne neckt er sich immer wieder, sie erinnert ihn weniger an seine beste Freundin als an seine Cousine, aber die Freundschaft der beiden könnte ein Mix aus bester Freundin und Cousine werden. Daphnes Spitzname für Yann ist Palourde, ich weiß noch nicht, ob sie damit wirklich nur ihre Lieblingsmuschel meint oder sie ihn auch damit foppt, dass er so ein Leichtgewicht ist. Er nimmt es lächelnd hin. Ich bekomme von dem Abend nicht alles mit, weil ich früher schlafen gehe. Yann ist am nächsten Morgen schweigsam, die andern vielleicht auch. Wir trinken noch einen Kaffee in den Tassen vom Flohmarkt. Er sagt mir im Auto, dass Alexis die Bar umgeworfen hat, damit sei der Abend beendet gewesen. Daphne sei daraufhin mit Juliette verschwunden. Deswegen wirkte das Paar so verloren am Morgen, nicht nur der Kater.

Daphne bringt mir zum Einzug in unser Haus Mirabellenmarmelade und Maronenmus. An diesem Tag zeigt sie mir Bilder von ihrem selbstgenähten Hochzeitskleid, mit Muscheln aus der Bretagne. Von Anfang an wünscht sie mir, dass ich auch mal Yann heirate. Sie will mit uns den Garten umgraben, hat einen Blick dafür, was man alles tun muss und welches Potential unser Reihenendhaus hat. Bei dem Festival hatte sie uns angeboten, übergangsweise bei ihr zu wohnen, ich nahm das erst nicht ernst, aber bekomme immer mehr mit, wie viel sie zu geben hat. Sie arbeitet als mobile Krankenschwester und wirkt sehr genau, vor allem in Haushaltsdingen. Ihr neustes Kronkorkenkleid ist in einer Brasserie ausgestellt, an einem Nachmittag gehen wir daran vorbei und sie strahlt, nimmt meine Hand. Langsam lernen wir ihre Freunde kennen, Yann bekommt dadurch Drogenkontakte und ich tauche kurz in dieses Milieu. Die Männer sind mit Bier und Headbangen beschäftigt, die Mädels knutschen viel untereinander und haben alle mehr oder weniger psychotische Geschichten zu erzählen. Wenn Daphne zu uns kommt, für die Gartenarbeit, zum Grillen, dann ist sie so aufgeräumt. Erzählt von ihrem Vater, der Berufssoldat war und ihren Plänen zur Weiterbildung. Wir tauschen Rezepte aus, sie will auch alles selbst machen und fragt, wie ich Laugengebäck und Sirup herstelle. Bei unserer Einweihungsparty, die vier Monate nach Einzug stattfindet, sind unsere Freunde von ihr und ihren zwei besten Freundinnen beeindruckt. Ich bin mal hingerissen, mal angeekelt. Morgens um 6 hängen viele unserer Freunde herum, nur Daphne und Juliette sind noch aufgedreht, Irish Coffee, und malen mit Eddings Penisse auf die ausgelaugten Körper. Ich bekomme es im Halbschlaf mit und muss kichern.

Irgendwann sagt sie, dass sie etwas Hartes im Bauch hat. Sie fasst es noch so liebevoll an und nennt es mon alien. Während sie gegen den Darmkrebs kämpft und sich von dem Gedanken an ein zukünftiges Kind verabschiedet, planen Alexis und Daphne ihr Nomadenleben auf Weltreise. An meinem Geburtstag feiern wir zu fünft, es kommt noch eine Freundin aus Freiburg, mehr Freunde gibt es aktuell nicht. Ich weine irgendwann nur noch, wie wir auf unserem kleinen Balkon mit der Nebelmaschine tanzen, die Daphne mir geschenkt hat. Es kommt mir so wahrscheinlich vor, dass sie an Krebs stirbt. Sie hält mein Gesicht fest und wie leicht könnte ich wie Juliette mit ihr knutschen, aber ich presse einfach nur meinen Körper gegen ihren und lasse ein paar unserer Lieder laufen. Ihr System kapituliert und regeneriert, verzweigt, verliert sich. Sie starten bald mit Juliette einen Dreier, Daphne fühlt sich sinnlicher, kann sich eher gehen lassen, wenn sie fühlt, wie Alexis ihre gesunde Freundin begehrt. Ich bin sehr still, als sie versucht, mir das zu erklären. Sie ist mitten in der Chemo. Yann kauft ihr Schlagzeug für 40 € ab, irgendwann ist ihr Haus leer, zum Verkauf, der Krebs erst einmal auch bekämpft. Kurz bevor sie einen Van kaufen und aus der Weltreise eine Europareise machen, wegen ihrer Krankheit, bricht unser Kontakt ab. Als Yann ihr Schlagzeug abholte, war Daphne untröstlich. Yann sagt, er hätte sie so noch nicht gesehen. Sie fragte ihn also, ob er bleiben kann. Sie vertraute sich ihm an. Daphne hatte bemerkt, dass Alexis und Juliette mehr Kontakt miteinander haben, als sie wusste. Vor allem in den Tagen, in denen sie bei ihrer Schwester in Bielefeld war. Yann versucht, ihr ein paar vernünftige Dinge zu sagen – Ähnliches hätte ich auch gesagt. Ein Dreier ist gefährlich. Am Abend schreibt Daphne eine SMS, dass Alexis verlange, sie solle sich zwischen einer Freundschaft zu uns und ihrer Ehe entscheiden. Sie sei ihrem Mann gegenüber immer loyal.

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Kommentare zu diesem Text

PowR.TocH. (58)
(04.06.20)
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 minze meinte dazu am 04.06.20:
Was für ein tolles Feedback. Ich danke dir, cool, dass du den Aufbau stimmig findest.

 XtheEVILg (05.06.20)
Ah, da ist der Irish Coffee. Schöne Kurzgeschichte. Das Ende knallt, es hallt nach und man grübelt noch ein wenig, weil plötzlich der Tod dort stand und mit der Sense gewedelt hat. Gut. Für mich hat der Text aber auch ein paar Längen, ich würde ihn komprimiert besser finden, z.B. ohne die Luftgitarren-Episode. Der Pringles-Luftgitarrenwettbewerb ist etwas, das ich in solch einem Text nicht erwarten würde, eher in einer Polemik über die überkommerzialisierte Festivalkultur der Zehnerjahre (jetzt Zwanziger) oder so. Andererseits unterstreicht dieser Quatsch die Ernsthaftigkeit einer Krebserkrankung, aber das geht ein wenig verloren, wenn dazwischen Auslassungen über den Elsass kommen. Aber mir gefällt, wie sich der Verlust der Jugend aus dem Text heraus liest, und wie nah er schließlich auch am Verlust des Lebens ist, und welche Kleinigkeiten das Leben ausmachen und wie belanglos es ist.

 minze antwortete darauf am 06.06.20:
Danke für deine Rückmeldung und das Empfehlen. Für mich sind der Luftgitarrenwettbewerb und die Elsass Sachen wichtig,um Beziehung und Persönlichkeit der Personen zu beleben, eine gemeinsame Ebene und Flow gerade im sich der "Peinlichkeit" liefern und diese Einbettung ins Elsass spielt auch eine Rolle für die Einbettung und Sesshaftigkeit des Frz Paares auch dann im Gegenspiel zu den Ausbruchsmomenten / Weltreiseplan..gerade das Ineineinandergleiten wilder Lebenslust und dramatischer Momente fühlen sich für mich real und glaubhaft an. und das nicht mal unbedingt in der Phase der Jugend. Daran habe ich weniger gedacht (verheiratetes Paar,das ein Haus gekauft hat etc) - naja aber es ist gut,ein anderes Feedback zu lesen,vll ist es auch albern,mich so zu erklären,aber nur,als Abriss dass deine Punkte für mich aus diesem Gründen kein Anreiz sind,den Text anders zu konstruieren.LG

 Dieter_Rotmund (06.06.20)
Bitte denke daran, dass viele Leser nicht mit diesem Festivalmilieu vertraut sind. Blackheart hat hier auf kV eine Zeitlang eine kV-Kolumne zu diesem Thema gemacht (siehe Kolumnenarchiv). Er war sich nicht zu schade, auch mal was zu erklären. Du könntest wenigstens die Band-Namen kursiv setzen, damit es nicht ganz so kryptisch wirkt.
Die Nebengeschichte mit dem verlorenen Bruder wirkt aufgesetzt und übertrieben. Ich würde sie ganz weglassen oder überarbeiten.
Insgesamt ist das Erzähltempo zu überhastet, auch wenn Du ein paar nette Bremsvorgänge eingebaut hast.
P.S.:
€ -> Euro, das ist besserer Stil und der Text ist ja kein Kassenbon.

 minze schrieb daraufhin am 07.06.20:
In einer Erzählung will ich, dass die Dinge aus sich heraus belebt werden. Ich schreibe keinen Bericht, kein Manual, keinen mit Fußnoten belegten Essay oder was es vielleicht noch so gibt - wenn ich von einem Festival schreibe, von Metal als Begriff und davon, dass die Protagoginistin sich freut System of a Down zu sehen, kann der Leser aus diesen Infos easy knüpfen, dass System eine Band ist und wenn er ganz gewieft ist, vermutet er, dass Metal die Musikrichtung ist.
Weiterhin haben die Nebengeschichten die Funktion, die Beziehung und die Persönlichkeiten der Figuren zu beleben. Die Paralelle, das triggern der Suche wegen einer eigenen Lebengeschichte, schafft eine plötzlich tiefe Verbindung und innige Nähe zwischen den zwei Frauen. Die Schwesterbeziehung ist geprägt von einer Verbindung, die sich braucht und nährt gerade und wegen der unterschiedlichen Lebensentwürfe und der räumlichen Distanz der Schwestern (Nebengeschichte der "bodenständigen" Heirat vs Wildes Festivalmetalpaar und Lebensmittelpunkt Bielefeld vs Strasbourg).
LG

Antwort geändert am 07.06.2020 um 08:10 Uhr

 minze äußerte darauf am 07.06.20:
Ich will noch einen kleinen Beitrag zu deiner Weiterbildung leisten, schaus dir an:
https://www.youtube.com/watch?v=WhybRDfHcAw

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 07.06.20:
Würdest Du dir wirklich einen Zacken aus der Krone brechen, wenn Du die Bandnamen kursiv setzen würdest?

P.S.:
Eine weitere von zigtausend Bands zu kennen ist keine Weiterbildung. Nichts dagegen, dass dir diese gefällt, bzw. deren Musik, ich habe auch so meine Lieblinge, aber das macht den Text nicht besser!

 minze meinte dazu am 07.06.20:
Ich setze in anderer Funktion Worte kursiv, das fällt dir auf, wenn du meinen Text nochmal dahingehend liest. Und ich finde es nicht notwendig, wie schon gesagt, die Band zu kennzeichnen.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 07.06.20:
Sag' doch einfach ja...
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