stoßwellenmetamorphose | die verschleierung von gedichten

Gedicht zum Thema Aktuelles

von  W-M

in meinem nächsten leben werde ich virologe
oder eisenwarenhändler
seit langem schwebt mir ein portfolio für eisenwarenhändler vor
[ein portfolio für virologen?
nein!]
an welchem schöpfungstag [oder war es in der nacht?]
erschuf gott die viren

wir ziehen weiter
unseren gedichteherden hinterher
auf der suche nach neuen weidegründen
[ich kenne keine andere
keine bessere!
lebensform als die lyrik]
grasgebete auf den lippen

an die welt will ich mich verschwenden
sie aus ihren kleidern schälen
bis sie nackt vor mir steht
an ihrem geschlecht will ich mich laben
mich daran reiben dass es anschwillt vor lust
in die dunklen tiefen will ich vordringen
bis zum stein

will ich vergehen zwischen ölbäumen vor der ernte

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Kommentare zu diesem Text


 juttavon (14.06.20)
Du hattest mal ein Gedicht hier zum Portfolio eines Eisenwarenhändlers; gehört das dazu?

Auf jeden Fall gehören die Viren zum Leben dazu, haben auch für die Evolution den einen und anderen Sinn. Fraglich ist für mich, in welchem Verhältnis wir Menschen zu den Viren (und überhaupt zu den Tieren...) stehen.

Doch die Reflexionen der S1 über den momentanen Corona-Befall (auch unseres Denk- und Gefühllebens...) hinter sich lassend, zieht das Lyrische Ich / Wir "weiter", sowohl auf dem Weg weiter als auch qualitativ erweitert .
"grasgebete auf den lippen", ein wunderbares Bild, was an ursprüngliche Motive der Lyrik erinnert: Gebet und Natur!

Die Sinnlichkeit bis pralle Erotik der S3 ist ein kraftvolles Gegengewicht zu den (nüchtern-kühlen - siehe Bild "eisenwarenhändler"...) Gedanken der S1. In die Tiefe gehen "bis zum stein" - Stein der Weisen? Urgrund? - ein weiteres Potential von Lyrik.

"will ich vergehen zwischen ölbäumen vor der ernte" - hier assoziiere ich Hingabe / Aufgabe, außerdem Heimat von Lyrik / lyra: Griechenland mit seiner einzigartigen Oliven-Kultur, und schließlich wieder die Fülle der Schöpfung: "vor der ernte", wenn die Bäume noch voller Früchte sind. Die Abschlusszeile als Essenz des Gedichts, mit einem gekonnten kleinen Verfremdungseffekt durch das Bild des Olivenhains.

Eine spannende Antwort auf Corona-Zeiten und für mich eher eine Entschleierung von Lyrik durch "stoßwellenmetamorphose".

HG Jutta

 W-M meinte dazu am 31.07.20:
Wieder einmal mein bester Dank! Du bist einfach unschlagbar in Deinen Kommentaren, was Dir so alles auffällt ... ja. das portfolio der eisenwarenhändler war vorher, der ausdruck hat mir gut gefallen, dass ich ihn hier recyclet habe, passend, hoffe ich ... den ausdruck portfolio in eigenen gedichten habe ich vor ein paar jahren von Katharina Schultens: Gorgos Portfolio, Gedichte, Berlin (kookbooks), 2014 entliehen und seitdem ein paar mal ausprobiert.
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