Eine Woche bei 50°C

Geschichte zum Thema Reisen

von  Jedermann

Es ist ein Uhr, vor 20 Minuten gut gelandet stehe ich in der Ankunftshalle des Flughafens von Islamabad. Es ist angenehm warm, laue wohlig warme Luft umströmt mich, ca. 30 °C. Gleich werde ich abgeholt! „Eigentlich recht übersichtlich; warum ist der Fahrer noch nicht da? Bisher hat das ja immer geklappt in den Projekten!“
Eine Woche liegt vor mir. Eine Woche, in der ich mit den Counterparts die Schulung in angewandter Fernerkundung vorbereiten werde. Ich bin aufgeregt! Fachlich habe ich mich gut vorbereitet, aber wird mein Englisch ausreichen, schließlich ist in Pakistan Englisch offiziell die zweite Amtssprache neben Urdu!
Warum kommt denn niemand! Ich sitze in der Vorhalle, um mich herum palavern ältere Männer im Shalwar Kamiz. Schon ist eine Stunde vergangen, die Männer um mich herum nehmen keine Notiz von mir. Nur der immer gleiche, nervende Taxifahrer kommt vorbei und fragt, ob ich nicht ein Taxi benötige, preiswert, gut und schnell! „Thank you, I don‘t need a taxi, I’ll be picked up!“ Drei Uhr morgens, nach zwei Stunden vergeblichen Wartens stelle ich voll Erschrecken fest, dass ich nur den Namen des Gästehauses kenne, indem für mich die Übernachtungen reserviert wurden. Die Wärme ist nicht mehr angenehm, ich klebe. Der Taxifahrer kommt mal wieder vorbei. Ich frage ihn, ob er das Guesthouse Jacaranda kennt? Jetzt erwarten Sie vielleicht, dass er antwortete: „No problem Sir, of course!“ Aber so war es nicht. Er zeigte nur nach draußen und legte den Preis fest. „5000 Rupees Sir, I have five children!” I agreed, not because of his five children. Das Verständnis für den länderspezifischen Umtauschkurs braucht eh einige Zeit. Ich war müde, wollte endlich schlafen, ein Glück, dass morgen Sonntag ist und noch kein Meeting. Mein Koffer passte gerade in den Kofferraum. Ein kleiner Toyota, wie ihn mein Freund Tawfik in Westberlin fuhr, preiswert und robust, weit entfernt von bequem und schnell. Breite Betonpisten, grau im grau des Morgengrauens, wir fahren. Mir ist ängstlich, was wenn? Er ist optimistisch, wir fahren zum Guesthouse Jacaranda. Da, in front of us, Betonblöcke, ein Posten, er stoppt uns, die Waffe lässig in Bereitschaft. „Morning Sir, everything okay with you?” “Morning, yes everything is fine!” Der Posten spricht mit dem Fahrer in Urdu. Der reagiert verbindlich, vorsichtig und freundlich; so empfinde ich es. Wir fahren weiter. Vor uns erscheint ein riesiges Spruchband. Überdimensional sehe ich die drei Worte: Faith, Unity, Discipline. Ich frage den Fahrer. „Sayings of our first president Jinnah.“ Ich bin beeindruckt. Wir fahren in den neuen Tag, der Morgen dämmert. Wir sind da. Klopfen am großen Metalltor. Vier Uhr morgens, keine Antwort. Unser Klopfen wird nicht erhört. Das ist nicht Jacaranda! Wir fahren weiter. Mir wird doch etwas mulmig, was wenn? Wir fahren durch die Reißbrettstadt. Wir queren Sektor auf Sektor, stopp. We arrived. „This is Jacaranda!” We knocked on the high metal gate, nobody responded. Ungefähr gefühlte 5 Minuten später öffnet das Tor. Ein kurzer Austausch zwischen Fahrer und Pumpgun tragenden Wächter räumte alle Zweifel aus. Ich war angekommen, im Jacaranda. Natürlich zahlte ich die 5000 Rupees gerne, auch wenn der Tarif vom Flugplatz in die Stadt mit nur 1000 Rupees veranschlagt wird. Endlich schlafen!
Das Zimmer ist riesig, überall orientalische Ornamente, verwinkelt und mit Holzmöbeln ausgestattet. Soviel Platz ist ungewohnt, wenn man aus Deutschland kommt, denn Platz ist Luxus, und Luxus ist nur mit ausreichend Geld zu bekommen. Am nächsten Morgen erreiche ich einen Projektmitarbeiter über die Rezeption. Verwunderung! Da hatte jemand unkonzentriert den gemailten Flugschein angeschaut.
Ich bin da und morgen geht es los! Ganz schön warm ist es hier im Juli.
Montagmorgen, ich werde abgeholt und wir fahren zum Geological Survey. Diese Symmetrie, so ungewohnt für mich; wollten die Manhattan kopieren, aber für die Wolkenkratzer hat es nicht mehr gereicht? Wir fahren, breite Betonpisten, ein vermülltes Flussbett, chaotisch parkende Autos vor dem Eingang eines Krankenhauses. Wir sind da. Freundlicher Empfang! Das Haus ist flach, die langen Gänge sind mit verstaubten teilweise offenen Vitrinen geschmückt, in denen Gesteine Pakistans ausgestellt sind. An vielen fehlen die Beschriftungen. In den Ecken und Winkeln des Gebäudes sitzen Männer in Gruppen und reden. Wie ich später erfahre, sind das die Angestellten des einfachen Dienstes; Kraftfahrer und weiteres Personal.
Nach dem Mittag wird die gesamte Gruppe im neuen Geographical Research Laboratory (GIS Lab) zusammenkommen; Projektleitung, Counterparts und Consultants. Das GIS Lab sieht ordentlich aus, ist fast fertig renoviert, ja hier können wir nachher starten. Dann fällt der Strom aus und damit natürlich die Airconditioner. Die Temperatur steigt schnell, fast schlagartig. Jede Bewegung wird zur Tortur. Der Schweiß fließt in Strömen, das hat Auswirkungen auf mein Hemd. Ich kann mich im GIS Lab nicht auf einen der plastikbezogenen Stühle setzen. Jetzt geht gar nichts mehr, Gedanken scheinen zu zerfließen. Wann wird der Strom wieder verfügbar sein? Die lapidare Auskunft der Ortskundigen lautet: in 2 bis 3 Stunden. Wir ziehen um, in ein Privatquartier, wo ein Notstromaggregat zumindest einen Ventilator antreibt. Das so gut vorbereitete Meeting verkürzt sich um mindestens 2 Stunden. Na, morgen ist ja auch noch ein Tag. Doch, die Stromausfälle haben System. Der Strom wird abgeschaltet, mindestens jede 2 bis 3 Stunden. So geht das die ganze Woche.
Die Kollegen sind sehr freundlich, sehr bemüht um meine Person, das Fachliche interessiert sie nicht so sehr. Aber es gibt ja noch den spätnachmittäglichen Ausflug zum geodätischen Messpunkt zur Höhenveränderung in diesem tektonisch sehr aktiven Gebiet. Wie fahren in die Margalla Hills. Mediterrane Landschaft ohne Meer am Rande Islamabads, wir fahren Serpentinen mit rasender Geschwindigkeit. Der Fahrer, ein Counterpart, hat seinen Sohn mitgenommen. Der kleine Prinz sitzt vorne auf dem Bereich zwischen den Vordersitzen ohne Sicherung. Der Papa zeigt stolz wie gut und schnell er fahren kann. Ein unvorhergesehenes Hindernis mit scharfer Bremsung würde den Kleinen an die Frontscheibe schmettern. Ich halte den Kleinen fest, in der Hoffnung, dass wir ohne Zwischenfall unser Ziel erreichen werden. Man sagt ja im Allgemeinen, dass Pakistan für Europäer wegen der Terror- und Entführungsgefahr kein sicheres Land sei. Ich weiß mit Bestimmtheit – nicht nur durch diese Begebenheit – Autofahren birgt das höchste, allerhöchste Risiko in solchen Ländern. Ehe man entführt oder weggebombt wird, ist man schon mehrmals durch Autounfall ums Leben gekommen.
Der Rezeptionist im Jacaranda erzählt mir, dass er bald in die USA ausreisen wird. Seine Frau ist schon dort. Er wartet auf sein Visum, geht pünktlich fünfmal am Tag beten und wartet. Im Übrigen, ich habe ihn während meiner späteren Aufenthalte in Islamabad immer wiedergetroffen. Da stand er an der Rezeption und erzählte, dass er bald in die USA ausreisen würde …, zwischendurch ging er beten. Es geht überhaupt recht religiös zu in Islamabad und auch anderswo in Pakistan. Unsere Kollegen gingen immer pünktlich beten – Gruppenzwang – und am Freitag besonders lange. Umso erstaunlicher ist es, Dokumente aus den 50ern oder 60ern zu betrachten. Im Modelldorf Saidpur am Fuße der Margalla Hills zeigt eine Ausstellung die ersten Tage der Reißbrettstadt. Junge pakistanische Frauen in schicken enganliegenden Kostümen, Handtaschen tragend, stehen selbstbewusst diskutierend beisammen. Heute sind Frauen ohne Kopftuch eine Seltenheit, sogar in Islamabad.
Nahe meiner Unterkunft befindet sich ein christliches Viertel, genannt das French Quarter. Während dieser Name in anderen Teilen der Welt sofort mit mondänen Stadtvierteln assoziiert ist, handelt es sich in Islambad um ein Elendsquartier, wo in der Tat Christen wohnen, Pakistanis, Familien die zu Zeiten der britischen Kolonialmacht zum Christentum konvertierten. Ich habe mich nicht getraut das Viertel zu betreten. Die Bewohner stellen die unterste Schicht, sind Schuhputzer, Gelegenheitsarbeiter, Reiniger der Kanalisation. Selber Schuld! Wie kann man auch zum Christentum konvertieren. Das christliche Elendsviertel ist aber bei weitem noch nicht so schlimm wie das der afghanischen Flüchtlinge. Die Leben genau gegenüber dem riesigen Metroeinkaufsmarkt in Erdhütten auf einer schier endlos erscheinenden flachen Senke. In der Monsunzeit waten sie in ihren Erdlöchern durch Abfall und Suspension.
Pakistan gehört ja bekanntlich zu den Atommächten. Aber bereits der Aufenthalt einer Woche in der Hauptstadt, die ein um einiges höheres Lebensniveau besitzt, z. B. im Vergleich zur Nachbarstadt Rawalpindi, ließ mich zweifeln, ob die Atombombe überhaupt im Falle ihres Einsatzes funktionieren würde. Nach und nach brennen in meinem Raum die Glühbirnen durch. Ein Ersatz wird zunehmend schwierig, und wenn doch eine Glühbirne aufgetrieben ist, brennt sie doch gleich durch. In den letzten Tagen meines Aufenthalts habe ich Licht von genau einer Glühbirne, die sich standhaft weigert durchzubrennen, mein Glück. Doppeltes Glück, so muss ich mich auch nicht über abgefallene Kacheln, tropfende Wasserhähne und dergleichen ärgern, denn ich sehe das abends einfach nicht mehr.
Aber nicht alles ist Pfusch in Pakistan. Die Truck Art ist beeindruckend. Als ich das erste Mal so einen dekorierten LKW sehe, zieht es mich sofort hin, muss ich herangehen.
Die Landschaft im Norden von Islamabad ist atemberaubend, das lerne ich in meinen späteren Aufenthalten und die Menschen sind freundlich, auch gastfreundlich.
Am Samstag meiner ersten Woche in Pakistan bleibt etwas Zeit für einen kleinen Ausflug. Wir fahren Richtung Westen zur Golra Sharif Railway Station. Ein Ausflug wie in die Vergangenheit der britischen Kolonialzeit. Riesige Banyan Bäume spenden Schatten auf dem Bahnsteig. Der Zug fährt ein, original 19. Jahrhundert, alles in Schuss, sehr gepflegt.
Als sich die Führer der Unabhängigkeitsbewegung gegen die Briten zum ersten gemeinsamen Kongress trafen, stellten sie sehr schnell fest, dass ein gemeinsames Land nicht zu realisieren war, denn die Helden der einen Ethnie waren die Todfeinde der anderen Ethnien. Die Schritte zur Trennung zwischen Muslimen und den Sikhs und Hindus waren vorgezeichnet. Die Trennung und Gründung voneinander unabhängiger Staaten verlief dann auch blutig genug. Millionen Menschen, Muslime und Hindus und Sikhs schwappten in die eine sowie die andere Richtung.
Das Motto des Begründers der Republik Pakistan, die drei Worte, die mir bei meiner Ankunft im Gedächtnis haften blieben, hatten eine andere Reihenfolge und anderen Sinn. Jinnah sprach von Unity, Faith and Discipline. Wobei der Glaube auch ein Stück Glauben an die eigene Kraft zum Aufbau eines neuen Staates beinhaltet und nicht im rein religiösen Sinn gemeint war. Im Zuge der Islamisierung in den 80ern wurde Jinnahs Motto von den damaligen Machthabern neu geordnet und der Glaube im Sinne des Islam trat an erste Stelle.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (14.01.21)
Hervorragend. Ich habe selten solch einen fesselnden Reisebericht gelesen.
LG
Ekki

 Jedermann meinte dazu am 14.01.21:
Das freut mich, dass Du den Bericht gerne gelesen hast!

 Peter antwortete darauf am 27.01.22 um 00:47:
Danke schön. Macht schon etwas Kopfkino!
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