In Hungary you are never hungry

Erzählung

von  minze

Bernie und René sind österreichische Punks, auf jeden Fall Bernie, bei dessen Namen ich immer Bärchen mitdenke, weil er einen Bauch hat und so weiche Locken, also, die die am Iro vom rasierten Kopf noch da sind. Und Grübchen und sehr weiche Augen. Er ist der Ältere von beiden, René eher der kantige Typ, eigentlich passt Punk bei ihm weniger, er hat einfach nur ein Lippenpiercing und sonst sieht er aus wie ein Typ, der klettert. Vielleicht hatte er ne Baseballkappe auf beim ersten Aufeinandertreffen. Irgendwie verläuft die Woche auf dem Sziget Festival gleich magisch, weil René, der heißere Typ, sofort an mir klebt. Ich habe voll Bock auf ihn, nur finde ich es leicht beunruhigend, dass er wie jemand wirkt, der sich ohne Probleme was einschmeißen würde. Er hat so was Enervierendes an sich. Eigentlich machen wir gleich alles bis aufs Knutschen, wir tanzen eng, er zieht mich an seiner Hand hinter sich her und wir lehnen aneinander bei den Konzertpausen, Rücken an Rücken. So als würden wir uns beim Wiedersehen dann knutschen. Was mich jetzt abhält ist, dass Bernie, mit dem ich auch zusammen rumlaufen würde – also, dass er ein Auge auf Linda geworfen hat. Linda aber springt nicht auf ihn an, dafür ist er eben zu kuschelig. Und ich kann nicht abschätzen, welche Dynamik es für unsere Vierergruppe hätte, wenn ich mit René voll dabei wäre, allein das hätte eine sich sehr beschleunigende Dynamik, vermute ich. Das Vorsichtige, noch, lässt mich abwarten. Was würde es für Bernie und Linda bedeuten. Wie verhielten sie sich füreinander, wenn wir dann ganz schön wild würden? Ernie hat einen Batikpulli und viele Ohrringe, einen Nasenring. René schnappt mich fest und hat mich so im Blick, dass ich mich noch später drin finde, wenn ich mit Linda alleine vorm Zelt sitze.

Wie wir auf Punks kommen, weiß ich nicht genau – aber zumindest landen wir beieinander beim Ärzte Konzert und sie grölen die alten Sachen voll mit und wollen eigentlich nur die alten Sachen hören und ich bin nicht so fit dabei wie Linda, Bernie und René. Später wollen wir zum japanischen Figurentheater und die Jungs grinsen nur Sicher und kommen mit.

Ich checke zum ersten Mal, dass Ingolstadt in Österreich liegt und nicht in Deutschland. René sagt, es sei aber nicht so weit weg von mir. Dass Salzburg nicht in Deutschland liegt, habe ich bei unserem Roadtrip nach Budapest gemerkt. Und ein Gefühl für Autobahnkilometer bekommen, auch wenn ich dauernd beschwichtigend zu Linda meinte, dass wir ganz bald bei der nächsten Station sind. Sie fragte oft, vielleicht war sie schneller müde vom Fahren, mir reichte schon das Fahren als Abenteuer. Dachte, 1000 km schaffen wir in acht Stunden.

Gegen Abend wollen die Jungs weiter zu einem Elektrokonzert und ich glaube, dass Linda etwas erleichtert ist. Vielleicht hätte René zu ihr gepasst. Sie haben beide so durchdringende braune Augen. Aber sie ist größer als er. Sie mag auch Elektro, nur gehen wir ins Partyzelt, ich bin einverstanden. Wir sind ein bisschen am Ablachen, Energie rauslassen, aufnehmen. Ich brauche Linda nur eine Weile anzuschauen, dann kann auch ich aufgehen in dem Bammbamm. Die Lichtershow ist geil. Dann steht Yann vor mir und grinst und grinst. Ich frage ihn erst do you speak english?, er grinst weiter, dann tu es français?, weil ich schon eine Vermutung habe. Wir tauschen ein paar Worte aus. Es ist schon so spät, dass es schnell geht mit uns und ich puff in einer Wolke bin. In der Nacht liegen wir im Gras und reden ein bisschen, küssen uns.

Linda war gleich mit einem Andern einig geworden. Wir konnten uns verständigen, wer das Zelt belegt. Am kommenden Morgen hole ich Pidebrot beim Dönerwagen und sie macht Kaffee. Ich erzähle ihr ein bisschen weniger als sie mir, sie scheint gleich alles gemacht zu haben, dass das so noch gekommen ist, nach Bernie und René, hammer, oder? Irgendwie ist hier so viel Potential. Überall muss man nur hingreifen. Sie schmeißt sich weg, wie ich es auch formuliere. Görgey, unser ungarischer Nachbar schaut rüber, hebt sein Glas Milch an. Görgey, der uns Österreich geographisch als big sperm bezeichnet hat, wie er die Nachbarländer Ungarns aufzählte. Also ich fühle mich selbst so überheblich, als high potential. Wir haben uns beide mit den zwei Jungs aus der Nacht verabredet, als wir uns am frühen Morgen noch zu viert ein bisschen geniert besprochen haben. Linda und Yanns Kumpel waren bei deren Zelt. Bevor wir nachts auseinandergingen, sagte mir Yann, dass das sein Freund ist mit Linda.

Wir gehen zu der Indie-Band, die auf der Hauptbühne spielt; vor der Anlage stehen wir und haben uns ein Arany Aszok rausgelassen. Gibt gar kein Radler hier. Wir sind ziemlich cool, schauen die Leute an, die dazukommen; die zwei kommen aber nicht und ich drehe mich um, immer wieder. Es wird zu dem einen Moment, der kritisch ist für Linda und mich. Sie herrscht mich nicht direkt an, aber ihr Blick ist unendlich genervt, sie kann’s so wenig verstecken, wie ich das kann. Ich soll nicht mich umdrehen dauernd, gell. Sie sagt, nicht so oft. Ich mache es noch einmal und bin dann tieftraurig, verabschiede mich von gestern. Wir reden das ganze Konzert nicht miteinander und sind gepisst. Und ich weiß nicht, ob es jetzt gut oder schlecht ist, dass eine von uns es gemacht hat und die andere nicht die letzte Nacht.

Und dann kommt René wieder, mit Bernie. Wir haben das Konzert gebraucht, um die Sache zwischen uns abzuschließen. Linda könnte es doof finden, dass wir zurückfallen auf die beiden, aber sie ist voll herzlich, sie nimmt auch Bernies Hand und der scheint am allerglücklichsten. René taxiert mich weiter zärtlich wild und sagt an, dass wir heute doch den ganzen Tag miteinander verbringen. Er erzählt, was ihr Programm ist und wir schieben noch eins unserer Konzerte rein, schlagen den Cocktailstand mit den Sandeimer-Cocktails vor. René erzählt mir von seinem Co-Parenting-Projekt. Vielleicht ist es das, was mich dann stutzig macht. Mit seiner besten Freundin eine Familie gründen, immer für das Kind da sein, gar nicht von einem Trennungs- und Liebesschmerzthema je tangiert zu werden. Eh schon ein super Team immer gewesen zu sein, nebenher so viel Freiheiten zu haben. Da schaut er mich an, als könnten wir gleich miteinander schlafen. Ich habe noch gar keinen Abstand und Reife, dieses Thema anzugehen –bin aber neugierig, was er noch so erzählt. Auf einmal kommt er auf spirituelle Themen. Ich glaube, er ist auch Öko. Ich hab ne riesen Terrasse bei mir in Innsbruck, ganz viel Sonne, das würd dir gefallen.
Ich will wissen, wie er küsst mit dem Piercing. Ich will eigentlich vor allem wieder eng tanzen. Aber ich merke, dass ich mich gestern vielleicht in Yann verliebt habe. Gib mir auf jeden Fall deine Handynummer sag ich zu ihm.

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Kommentare zu diesem Text


 W-M (19.03.21)
Klasse Geschichte! Gefällt mir sehr, da ist was los, die Musik, die Personen, die Beziehungen unter ihnen. Davon könnte ich unendlich viel lesen, ich will mehr!

 minze meinte dazu am 19.03.21:
(: danke, freu mich über deinen überschwänglichen Kommentar. in der Linie könnt ich tatsächlich noch weitererzählen. vielleicht häng ich tatsächlich noch was dran. oder erzähl an anderer Stelle weiter.

schön, wenn man was rausfühlt aus den Beziehungen der Personen - war mir nicht so sicher.

Antwort geändert am 19.03.2021 um 20:23 Uhr

 W-M antwortete darauf am 19.03.21:
mir gefällt, dass es so drauf los geht, unvermittel, ganz dicht dran an den personen und geschehnissen, ohne viel schnickschnack, stringent, unverblümt. ob, was dranhängen geht, weiß ich nicht, aber so was ähnliches oder mit dem personal was anderes. ich mag es auch gern schräg. aber keine erwartungshaltung oder einen zwang, das bremst nur.

 minze schrieb daraufhin am 20.03.21:
das unvermittelte machte mir auch mega Spaß beim schreiben. wollte den Drive des unmittelbaren Erlebens, ohne so in die Tiefe zu treiben.
für ein weiter oder anders schreiben braucht es den Fokus auf dieses Erleben, in dem Fall war es das Empfinden der Figur René, die alles anders ergeben hat.

 nautilus äußerte darauf am 29.03.21:
Liest sich flüssig wie ein Romanausschnitt. Sehr szenisch und eingängig beschrieben.

LG nautilus

 minze ergänzte dazu am 29.03.21:
danke dir. ich denke, es passt in manche andere szenen rein, die ich an anderen stellen mal beschrieben habe - freut mich, wenn es an eine art romanauschnitt erinnern könnte, könnte ja fast anspornen, hey (:
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