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Nihiler

Novelle zum Thema Zerstörung

von  Terminator

1-1



"Cliff? Was ist das für ein Name?" grinste der Schwede mich an. "Jeder andere Name wäre zu indiskret", sprach ich wie immer leise, deutlich, emotionslos. "Ist die Musik zu laut? Warum willst du schon gehen?" Ich antwortete nicht, ich ging, denn sie kam, diese süße Blondine Mitte 20. Ich schlug Haken wie ein Hase, so keiner hinterher. All diese Gassen waren mir neu, und ich bemerkte nicht, wie ein Messerstecher an mich heranschlich und meine Geldbörse forderte. Ich gab sie ihm, denn da war nur Geld. Er bedankte sich. Ich fühlte mich gut - endlich sagt jemand Danke. Ich war seit Jahren ehrenamtlich unterwegs, Menschen zu helfen, und hörte nie Danke. Mit meinem Universitätsabschluss war keine richtige Arbeit mehr zu finden, denn ich hatte nicht das Glück, noch im 20. Jahrhundert geboren zu werden. Nun war die Hölle los: Peak Oil, einfach Peak Alles. Es hatte sein Gutes: alle benutzten jetzt öffentliche Verkehrsmittel, Benzin konnte sich keiner leisten. Die Welt wurde älter und grauer, etwas ernster, etwas diskreter, genau nach meinem Geschmack. Ich kam vor Mitternacht heim und ging ins Bett.

Ich bin in einem Supermarkt, als plötzlich Panik ausbricht. Die Menschen werden gefangen und in Plastiktüten verpackt, vorher noch gerupft und etwas gegrillt. Alles sekundenschnell und mit höchster Professionalität. Als ich eine Plastiktüte ansehe, in der nun eine halbtote Frau eingepackt ist, da schreit ein Häuptling aus einer anderen Plastiktüte: "Das alles sind meine Frauen!!" Die anderen Plastiktüten erbeben in Furcht vor seiner Stimme. Nur wird er nichts mehr ausrichten können, er wird wie alle Eingepackten in ein Labor wandern... Ich wachte auf.

Meine Wohnung, genauer mein Zimmer auf einem Dachboden war nicht sehr geräumig, nur ich war so allein, dass ich haushaltstechnisch weniger als eine halbe Person war. Elf Quadratmeter, das war übergenug. Ich hatte noch meine Bücher aus der Studienzeit. Das war alles, nein, ich hatte noch Konserven, mit Eintopf und Fleisch zum Beispiel - ich bin ein sehr konservativer Mensch. Der Schwede rief mich an, ich ging hin, - früher war hier ein Institut, nun eine Notunterkunft. Ein Mädchen war verschwunden, wahrscheinlich die Drogendealer. Das Mädchen war vier oder fünf, die Mutter besitzlos und alleinerziehend. Ich suchte diesmal nicht wirklich lange - vierzig Minuten, und ich war am Ziel. Ein Puff. Ein Dieb ließ in der Notunterkunft das Kind mitgehen, als er von meinen Kollegen sein Essen bekam. Als Nachtisch sozusagen. Ich nahm das Kind und brachte es der Mutter, das Kind war noch ganz.

Der Schwede lud mich ein, seinen Vierzigsten zu feiern. Warum nicht, ging ich hin. "Guck, da ist sie wieder", flüsterte er, als die süße Blondine kam. Die Bar war dunkel, dafür mir Rauchverbot. Ich drehte mich um und starrte auf die Whiskyflaschen an der Wand. Früher trank ich gern Whisky. Seit geraumer Zeit trank nun keinen Alkohol mehr, weil er mir nicht mehr schmeckte. Früher vernaschte ich gern Marzipan- und Trüffelpralinen. Früher war alles bunter, und es schmeckte noch nach Geschmack. "Wer ist diese Blondine?" wollte ein junger Kollege wissen. "Versuch doch dein Glück, Junge", murmelte der Schwede. Der Junge war 15, Schulabbrecher. Nein, er war ein guter, wissbegieriger Schüler, aber die Schule wurde dicht gemacht, wie drei viertel der übrigen öffentlichen Einrichtungen. Ich ging zur Tür, es regnete. Die Blondine ging raus, ich versteckte mich hinter einem Baum, ging wieder in die Bar und trank stilles Wasser.

Am nächsten Morgen musste ich früh los. Es gab einen Job für mich. Ich wurde im alten philosophischen Institut der geschlossenen Universität empfangen, da waren zehn Männer, alle angezogen wie ich - in Schwarz, lange matte Regenmäntel, Handschuhe. Nur der Alte im Chefsessel hatte ein farbenfrohes Grau an. "Vierzig Minuten, meine Hochachtung". "Es war Glück", sagte ich teilnahmslos. "Was sind Sie von Beruf?" Ich schwieg, er lachte. "Ja, die gute alte Zeit. So schnell geht alles vorbei. Egal, in 100 Millionen Jahren gibt es wieder genug fossilen Brennstoff, um unsere Welt der Neunziger wieder aufleben zu lassen. Warten wir solange... Was haben Sie studiert?" "Philosophie". "Und als Hauptfach?" "Nur Philosophie". "Familie, Freunde?" "Nein". "Je in einer Beziehung gewesen?" "Nein". "Sie haben die bestmögliche Qualifikation". Er begleitete mich nach Draußen, es regnete wieder. Es war sieben Uhr morgens, doch es kam mir vor, als wäre es später Abend.

Beerdigung. Der Schwede hatte sich erhängt. Auf dem Heimweg fragte mich dieser Junge, wer die Blondine sei. "Keine Ahnung", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Sie mag dich, guckt dich immer an , aber du gehst ihr aus dem Weg", stellte er verwundert fest. "Es ist mit Sicherheit ein Missverständnis. Sie hält mich für jemand Anderen, vielleicht ist sie kurzsichtig". Wieder nach Hause. Dachboden eines fünfstöckigen Mietshauses ohne Mieter. Die Wohnungen hätten durchaus mittellosen ehrenamtlichen Sozialarbeitern gegeben werden können, aber ein reicher Mann musste irgendwo seine Sachen lagern: Bücher, Rechner, alte Motorräder, unzählige Kisten mit mir nicht bekanntem Zeug. Dachboden ist auch gut. Billiger als umsonst - ich bekam ein Wenig Geld gegen Monatsende fürs Aufpassen auf all seine Kisten. Morgen der erste reguläre Job in meinem Leben. Ich war gespannt.


1-2



Ich kaufte neue Handschuhe, bevor ich zur Arbeit ging. Ich hätte mir nun eine Flasche guten Whisky leisten können, aber es war kein Bedarf. Ich gab das Geld einer Jugendgang, einer Gruppe auf der Straße lebender Teenager, die zu schlecht aussahen, um sich zu prostituieren. Mein Partner hieß Jeff. Er war Ende 30, ich nur Anfang 30, aber wir verstanden uns. "Dein erster Fall", unterrichtete er mich. "Ich bin bereit, brauche nur noch einen Kaffee".

Die Stadt war leergefegt, viele zogen aufs Land, bevor sie verhungerten. Arbeit gab es nicht, und für Arbeit gab es wenig Lohn. Immerhin existierte eine kleine aber feine Mittelschicht, die es noch besser hatte, als die breite Mittelschicht im Erdölzeitalter. Mein Boss gehörte zu denen. Er fuhr sogar einen eigenen Wagen. Zwölf Uhr, früher nannte man das Mittag. Das Wort hatte seine Bedeutung verloren - es gab die schwarze Nacht und die graue Nacht. Der Himmel war die ganze Zeit in ein emotionsloses Grau gehüllt, färbte sich nur manchmal dunkelblauer als sonst, bevor es stark regnete.

"Den ganzen Tag sind wir durch die Stadt gestriffen", scherzte ich lächellos. "Das war noch nicht die Arbeit, aber gewöhn dich erstmal". "Woran?" wollte ich wissen. "Willst du noch einen Kaffee?" "Gern". Den Kaffee trank ich auf einer nassen Parkbank, ging nach Hause, kochte mir etwas Wasser, reinigte meinen Körper mit einem warmen nassen Badetuch und machte mir einen Tee. Seit sieben Jahren keine Erkältung, ich schätze, das war bisher die größte Leistung meines Lebens.

"Gut geschlafen?" interessierte sich Jeff. "Wieso?" "Du musst dich konzentrieren. Den wir suchen, müssen wir heute finden". Wir gingen in ein Wohnsilo, das letzte dieser Höhe, das noch nicht abgerissen war. Oben erwartete uns ein etwas drogenabhängig ausschauender Mann Mitte 50. Er schwieg, denn seine Zunge war abgeschnitten. Im Bad war Blut und ein Kind, dass sich offenbar selbst aufschlitzte. "Das Kind war erst 7", protokollierte Jeff, und es war mehr als bloß Selbstmord.  Es sieht aus, als hätte sich der Junge selbst zu Tode gefoltert, indem er sich mit diesem Messer immer wieder ins Fleisch schnitt. "Drogen?" Kopfschütteln. "Es ist etwas Ernstes, keine Drogen. Das, was wir erwartet haben, ist ein halbes Jahr früher passiert. Das Ding läuft und ist voll funktionsfähig". "Welches Ding?" "Wir nennen das Ding den Minder, ich weiß, ein improvisiert anmutender Name, aber so heißt es, seit wir es so nennen. Der Professor wusste, dass sie ihn irgendwann bauen". "Der Professor?" "Wusstest du nicht, dass wie alle unseren Boss Professor nennen?" Ich sah mir das Badezimmer genauer an. "Wieso Professor?" "Weil er tatsächlich eine Professur hat, an der Privatuniversität im abgesperrten Gebiet". Es war früher eine reiche Gegend, nun noch reicher und völlig abgeriegelt. Dort wollte ich immer hin, als ich jünger war, da ich dort schöne Mädchen vermutete. Aber die Zeit verging, bevor ich es schaffte, meinen Fuss dort rein zu setzen.

"Der Mann hat einen Bruder oder Cousin, der hier in der Nähe wohnt. Der Typ war früher ein Cop, er hat ein kaputtes Knie und ist gehbehindert", sah ich. "Wie siehst du das? Läuft ein Film bei dir im Kopf?" "Nein. Lass uns einen Kaffee trinken". "Ja, das ist ein guter Zeitpunkt, einen Kaffee zu trinken. Ich rufe Dean und Eddy an, man kann ja nie wissen". Wir tranken unseren Kaffee, da kamen schon Dean und Eddy, beide Mitte 30, verheiratet, keine Kinder. "Ein Reihenhaus", sagte ich. "Eine Eisdiele muss auf der anderen Straßenseite sein, vielleicht ein Obst- und Gemüseladen". Ein Treffer. Wir gingen rein. "Lon, richtig?" fragte Dean, der kommunikationsbegabteste von uns vier. "Was wollen Sie?" "Wo ist Harder?" fragte Dean. "Ich kenne keinen Harder", fürchtete sich der Mann. Eddy holte ein langes Messer. "Wo ist Harder?" fragte Dean. Der Mann schrie und fluchte, Eddy rammte ihm das Messer in sein kaputtes Knie. "Wo ist Harder?" fragte Dean. "Ich weiß es nicht!" rief der Mann und krümmte sich auf dem Boden vor Schmerzen. Ich nahm Jeffs Knarre und schoss ihm in den Kopf.

"Warum haben wir das getan?" fragte ich Jeff. "Weil wir dachten, dass er wusste, wo Harder ist". "Ich hätte ihn vielleicht sehen können", so ich. "Wie denn, wenn er keine Verbindung zu Harder hat?" "Ja, richtig. Aber in diesem Fall war es nicht nur falsch, es war eine Sauerei, ihn zu foltern". "Foltern? Du hast ihn doch schon vorher erschossen", so Jeff. "Wer berechtigt uns, das zu tun?" "Die Inquisition erlaubt es. Seit der Minder eingeschaltet ist, gilt der Ausnahmezustand. Wir müssen Harder finden". Ich trank zu Hause einen Tee. Jemand klopfte. Es war mein Hausarzt. "Früher reichte mein philosophisches Wissen, die Realität von was auch immer noch möglich ist zu unterscheiden. Seit ich 30 bin, brauche ich immer mehr von diesen Pillen". "Bedienen Sie sich", lachte der Doktor, "Sie bekommen ihre Medizin ab jetzt umsonst, so viel Sie wollen. Und ich stehe nun auf der Gehaltsliste der Inquisition".

Drei Tage lang ging mir die ungerechte Tötung eines Unbeteiligten nicht aus dem Kopf. Als sie mir aus dem Kopf ging, traf ich meine alten Kollegen in einer Bar. Ein Däne, der oft Monologe über den Rechtsstaat zu halten pflegte, fragte mich peribel aus über meinen neuen, bezahlten Job. "Das ist falsch, was du tust. Folter, Mord, das ist ein Weg in die Dikratur". "Wir sind auf einem guten weg, sollte dieser in eine Diktatur führen", so der mitgekommene Jeff. "Sonst?" fragte der Däne. "Sonst wären wir auf dem Weg in die Hölle". Der Däne lachte: "Ihr Konservativen mit eurem engen Weltbild seid dämlich". Jeff packte ihn am Hals, was er sonst nie tat: "Willst du, dass dein Sohn sich selbst aufschlitzt? Willst du, dass deine Frau sich im Backoffen grillt? Oder dass du eines Tages beginnst, dich selbst aufzuessen?" "Nein", fürchtete sich der Däne, "wieso sollte es denn passieren?" "Deri Fälle, die bereits passiert sind", konstatierte Jeff, "nur leider nicht mir dir und deiner Familie, du linke akademische Schwuchtel".

Fünf Uhr, der Wecker klingelte. Ich vergass beinahe, meine Waffe mitzunehmen, die ich seit gestern hatte. Meine Medizin. Noch nie hatte ich vergessen, sie zu nehmen. Ausprobieren, was passiert, wollte ich ja schon, irgendwann, heute nicht. Jeff kam in einem Mercedes und wir fuhren aufs Land. "Herrlich, die leeren Straßen", ergötzte sich Eddy. "Hast du dein Messer dabei?" fragte ihn Dean. "Nicht nur ein Messer. Viele Messer". Das Haus war leer, ein Informant hatte den  Professor angelogen. Der Tag war vergeudet, wir tranken unseren Kaffee und schwiegen.




1-3


Vier Uhr. Der Wecker. Heute geht es früh los. Wir vier trafen uns am Bahnhof, fuhren wieder aufs Land. Ein Dorf mit etwas mehr als 1000 Körpern, eventuell eine Seele dabei, könnte ja sein. Dem war nicht so. Die Leute waren mehr als unfreundlich. Das Mädchen, das wir tot fanden, war jahrelang in einem Keller eingesperrt, es war mal schön. Das ganze Dorf missbrauchte sie jahrelang als Hure, das Haus gehörte dem Bäcker. "Es gab schon Fälle wie dieser hier", beruhigte Jeff sich selbst. "Nein, so pervers war noch keiner", entruhigte ihn Dean. "Ein Facharbeiter hielt ein Kind jahrelang im Keller, die Nachbarn hatten keine Ahnung, erinnert ihr euch?" murmelte Eddy. "Ich war vier, als ich darüber mal nachdachte, so etwas zu tun. Oder dass so etwas getan werden könnte. Warum bloß ein Täter, warum bloß ein Kind, versteht ihr?" "Was bist du!?" ging Eddy mich an. "Ich weiß nicht, ein Seher, ein Hellseher", dachte ich laut nach. "Ich verstehe Menschen besser, als sie sich selbst". "Du bist noch unheimlicher als Harder, wir sollten dich töten", flüsterte Dean. "Viel Glück dann beim Suchen", bemerkte ich kühl.

"Du weißt, was gleich passiert?" bereitete mich Jeff vor. "Ich ahne es", trank ich meinen Kaffee. Gepanzerte Wagen, von der Armee kaufmännisch erworben, kamen an. Söldner stiegen aus und trieben alle Erwachsenen des Dorfes zusammen, das ganze Dorf versank im alten Lied "Say It Right", das aus allen Lautsprechern erklang. Es war 22 Uhr, als alle Erwachsenen von den Kindern getrennt waren. 971 Leichen, kein Prozess, kein Anwalt. Alle erschossen.

"Wer ist Harder?" fragte ich Jeff auf dem Heimweg. "Er war einer von uns, er war derjenige, der darauf bestand, unsere Organisation die Inquisition zu nennen. Ein gottesfürchtiger Mann. Dann wechselte er die Seiten, ging zu den Terroristen über". "Zu welchen? Es gibt mehrere Sekten". "Zu den Seth. Auch dieser Name entsprang seinem Munde". Wir stiegen aus. "Jeff?" "Ja?" "War schön, wieder mal mit dem Zug zu fahren". "Ja, fand ich auch. Gute Nacht".

Sieben Uhr. Ich durfte diesmal ausschlafen. "Was ist mit den Kindern passiert?" interessierte sich mein Gewissen. "Dein Däne hat sie, bis auf die zwei, die in die Psychiatrie gewandert sind". "Lass uns nachsehen, ob alle da sind", schlug ich vor, da nichts zu tun. Wir sahen den Kindern beim Spielen zu, sie vermissten ihre Eltern und Großeltern überhaupt nicht. Sie spielten mit meinen früheren Kollegen. "Weißt du, woran ich gerade gedacht habe? All deine Freunde hier, diese Sozialarbeiter, wieso ist keine Frau dabei? Wo sind überhaupt all die Frauen?" "Du weißt doch, Jeff. Entweder mit den reichen Typen zusammen oder als Huren in der abgeriegelten Zone. Ab 40 sind sie hier gar nicht so unterrepräsentiert, oder?" "Das sind Kundinnen. Die arbeiten hier nicht". "Hör auf mit deinem maskulistischen Gelaber, ich kenne eine, die in der Apotheke dort arbeitet, eine ehrenamtliche Lehrerin, eine Clownin". "Clownin? Wo?" "In der Bar dort drüben. Gehen wir hin, ich will einen Kaffee".

Die süße Blondine war wieder da. Ich war nur mit Jeff in der Bar, also ohne Dean und Eddy. Dennoch wich ich ihren Blicken aus. Jeff beobachtete einen hellgrau gekleideten Mann, wonach er sprach: "Sie wartet darauf, dass du sie ansprichst". "Wer?" "Die Blondine". "Welche denn? Ich sehe keine. Die? Sehe ich zum ersten Mal, sie muss mich mit jemandem verwechselt haben". Wir gingen raus, Nieselregen. "Gittler erwartet uns", sprach Jeff. "Wer ist Gittler?" "Der Polizeichef. Er ist eingeweiht. Das Erschießungskommando von gestern, das waren seine Leute". "Seit wann beschäftigt die Polizei Söldner?" "Seit geraumer Zeit. Du guckst wohl die falschen Nachrichten". "Nein, ich gucke mir auch verschwörungstheoretische Nachrichten an".

Gittler wollte Einzelheiten zum Mord an Lons Cousin wissen, diesen Mord müssen aber andere begangen haben. Gittler rief jemanden an, Jeff ging, ich blieb. "Mein Sohn wird seit drei Tagen vermisst", redete er auf mich ein, "vielleicht können Sie mir helfen". "Ich kann es versuchen". Ich legte mich auf eine Couch, schlief fast ein. Ich sah seinen Sohn vor mir, nein er war nicht erst vor drei Tagen abgehauen, sondern vor fünf Jahren. "Warum belügen Sie mich?" fragte ich Gittler. "Finden Sie ihn, sagen Sie mir, wo er ist!" "Sie wollen ihn töten, richtig?" "Verlassen Sie mein Haus, verfluchter Bastard!" Ich nahm mir eine Flasche Mineralwasser von seinem Tisch und ging raus, dann wieder rein, wobei ich meine Waffe zog. "Etwas ist faul, Sie kommen mit mir", sagte ich. Er wurde bockig, ich brach ihm den Arm und schleppte ihn mit in die Bar. Ein Blutbad, vielleicht erst wenige Minuten her. Da lag Eddy, sein Kopf war abgerissen, Dean hing nackt an einem Haken, der Bauch aufgeschlitzt, und auf dem Billiardtisch verblutete Jeff. Er zeigte auf Gittler und versuchte zu sprechen. Ich richtete meine Waffe auf den Polizeichef, Jeff nickte. Ich schoss Gittler in den Kopf.

"Professor?" rief ich meinen Boss an. "Ich weiß, Cliff. Hast du den Polizeichef getötet? Gut. Ich wusste nicht, dass er in einer von diesen Sekten war. Diese Hurensöhne sind sehr clever. Viele von denen sind Doppelagenten". "Was soll ich tun, Professor? Ist jemand hinter mir her?" "Versteck  dich. Lass niemanden wissen, wo du bist. Ruf mich an, wenn du Fragen hast, die mit deinem Überleben zusammenhängen. Wenn du Harder findest, töte ihn. Versuchst du ihn gefangenzunehmen, fangen sie dich. Die Inquisition wurde von den Seth unterwandert, sie wissen, was wir wissen". Er legte auf. Ich lud meine Waffe. Die halbe Nacht verbrachte ich in Kaffeebuden, ging gegen 3 nach Hause. Dort war niemand, aber meine Wohnung war verwüstet. Geld wurde liegengelassen, auch die Ersatzkanone war noch da. Ich nahm sie und ging ein Hotel suchen. Den Schlag auf den Hinterkopf erahnte ich, sah den maskierten Kerl sogar, als hätte ich Augen im Hinterkopf, aber ich konnte nicht mehr regaieren und landete gefesselt in einem Kofferraum.


1-4


"Du suchst, ich finde", erklang eine tiefe Stimme. Ich stand an einer Wand, gefesselt, Augenbinde. "Hier bin ich, Inquisitior. Ich kann Gedanken lesen, wie du. Was deine Intuition schafft, kann meine Technologie noch besser. Ich schlage vor, du wechselst die Seiten. Was, wenn der Strom abgeschaltet wird? Wir brauchen einen Minder, der ohne Strom läuft". "War das nötig, Harder?" "Du meinst, drei Menschen bestialisch zu ermorden? Aber natürlich. Das war ein Zeichen an die Inquisition, eine Demonstration dessen, dass wir euch immer einen Schritt voraus sind". "Was soll ich für euch tun?" "Das, was du für sie getan hast, tust du ab jetzt für uns". "Wie willst du verhindern, dass ich Doppelagent werde?" "Ich bin in deinem Kopf, vergessen?"

Ich wurde in den Fluss geworfen, nackt, also plünderte ich zuerst einen Second-Hand-Laden. Ganz in Schwarz ging ich einen Mann suchen, der mit dem Spitznamen Billy hieß. Den Auftrag bekam ich wohl durch Gedankenübertragung direkt in meinen Kopf. Also Billy. Ich sah einen Penner vor mir, der früher Börsenmakler gewesen sein muss, vielleicht Manager. Billy lebte unter einer der vielen Brücken. Er dealte. Ein besonderer Stoff. Ich erkannte es, als ich ein Wenig davon nahm - die Gedankenübertragung hörte auf einmal auf. Wer diesen Stoff nahm, konnte also der Gedankenkontrolle entkommen. Ich nahm alles mit, Billy tötete ich im Schlaf. Er muss den Übergang zwischen Tiefschlaf und durch einen Kopfschuss herbeigeführten Tod gar nicht bemerkt haben, so friedlich die Teile seines Gesichts aussahen.

"Professor", rief ich an, "ich arbeite jetzt für die Gegenseite". "Ich weiß, Cliff". "Woher?" "Wir haben die Seth den Minder bauen lassen, damit sie denken, sie hätten die Kontrolle. In Wahrheit wird ihr sogenannter Minder von einem unserer Computer gesteuert. Ein Ding, das mehr wert ist, als alle Menschenleben dieser Stadt. Tu, was sie dir sagen, arbeite für sie. Wir haben die Kontrolle".
Sollte ich ihm glauben? Ich suchte mir eine Bar, um unterzutauchen. Da war sie wieder, die süße Blondine. Zum ersten Mal überkam mich der Gedanke, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Projektion von mir war. Sollte ich sie ansprechen, um mich zu überzeugen? Das wäre nicht sehr klug, denn wenn ich sie mir selbst einbilde, wird sie natürlich mit mir reden, und meinen Glauben an ihre Existenz verfestigen. Ignoriere ich sie, verfolgt sie mich weiter, und ich werde nie wissen, ob sie real ist. "Professor", rief ich an, "wir müssen uns treffen".

"Falls Sie mich nicht angelogen haben, dann wird es möglich sein, Harders Gedanken zu beeinflussen", flüsterte ich. Wir standen auf dem Balkon eines verlassenen Hochhauses, der Professor schwieg. "Wir könnten Harder in eine Falle locken", wiederholte ich meine Absichten. "Ich sehe nicht ein, warum wir besser sind, als die Seth", dachte der Alte laut nach. "Wir kontrollieren sie und erlauben ihnen, all diese grausamen Dinge zu tun, nur, damit sie glauben, sie hätten die Kontrolle". "Das ist die übliche Beziehung zwischen Staat und Terror, oder?" "Mich beeindruckt weniger deine politische Bildung, als deine Kühnheit, Cliff. Du erinnerst mich an Harder". Ich hörte, wie eine Schar bewaffneter Typen die Räume durchforstete. "Haben Sie diese Leute gerufen, Professor?" "Dein Weg ist zu Ende, Cliff. Das ist meine neue Truppe. Ein Seher wie du ist zwar nicht dabei, aber wir haben, wie du inzwischen weißt, nie einen gebraucht. Wir wollten nur verhindern, dass uns einer entwischt, uns oder den Seth, was ja dasselbe ist". "Es gibt eine dritte Partei", bemerkte ich kühl. Sie warfen mich in einen bereits vorbereiteten Keller und verriegelten die Luke.

Meine Medizin. Der Stoff. Ich durchsuchte meine Taschen, aber da war nichts, sie waren gründlich. Ich musste nur noch abwarten, bis mein Verstand sich langsam zersetzen würde. Ein Suizid lag mir in diesen Stunden nahe. Es war so dunkel, wie ich die Dunkelheit noch nie erlebte. Dann war es auf einmal hell.

Ich trinke meinen Kaffee, schaue auf die Armbanduhr: die Zeit ist stehengeblieben. Ich weiß instinktiv, dass es die Zeit ist, nicht die Uhr. Und ich weiß, dass das ein Traum ist, springe aus dem Fenster, wache in einem Bett auf. Dieses Zimmer kenne ich nicht. Wo bin ich? Ich liege bewegungslos da, während mein Geist umherfliegt und die Stadt aus dem Fenster anschaut, es ist eine andere Zeit, vielleicht 1950. Ich will aufstehen und zum Fenster rennen, spüre, wie ich im Bett versinke, wie es immer dunkler wird, wache auf. Jetzt weiß ich, was passiert ist: ich bin in einem Hotelzimmer eingeschlafen und habe das alles geträumt, die Begegnung mit Harder, den Verrat des Professors. Aber wieso sitzen diese Aliens - anders kann ich sie nicht nennen - dort am Tisch und sezieren meinen Körper, der gar nicht dort, sondern hier ist?

Ich wachte nicht in diesem Keller auf, und hielt es für einen weiteren Traum. Ich lag in einem alten Peugeot auf dem Rücksitz. Die Blondine fuhr den Wagen. Ich versuchte zu sprechen, hustete aber nur. Zu meiner Verwunderung konnte ich sprechen, bewegte mich frei, und dieses dumpfe Gefühl, in einem Traum zu sein, war verflogen. "Wer sind Sie?" fragte ich phantasielos. Sie schwieg, fuhr mich in einen Wald, ließ mich dort aussteigen, fuhr weg. Ich ging zu Fuss irgendwohin, fühlte mich verfolgt. Es gab Wölfe, aber auch Waldmenschen - bei einem tagelangen landesweiten Stromausfall vor zwei Jahren konnten sich zahllose Verbrecher aus Gefängnissen befreien - die Computer hatten keinen Strom und der Staat kein Geld für Wachpersonal, welches in kleineren Gefängnissen durch automatische Vorrichtungen völlig ersetzt wurde. Ich lief zum nächsten Dorf, es war leer. Verlassene Häuser, keine Menschen. Warum hat die Blondine mich befreit? Hat sie das überhaupt? Vielleicht lag ich in diesem Keller und schlief. Ich hatte viele Träume, in denen ich mir bewusst war, nach welchen Kriterien ein Traum von der Realität zu unterscheiden ist, und irrte mich nicht selten, als ich glaubte, nun wirklich aufgewacht zu sein.

Das Beängstigende war nun - ich war wach. Es wurde dunkel. Mir war, als ob die Dunkelheit atmete, ich ging dorthin, wo die Angst mich hinsog. Ein abgebranntes Haus, etwas heulte so, dass mir die Knochen froren. Ich ging hin, vor meinem geistigen Auge wechselten sich Varianten des Monsters ab, das ich dort wohl antreffen würde. Ich hatte etwas in der Hand, das mir nicht entwischen konnte, aber es versuchte es immer wieder, war wie eine Schlange. Ich zog es aus dem abgebrannten Haus auf die Straße und wartete auf den Mondschein. "Sie glauben immer noch, dass Sie träumen", sprach es zu mir, als ich es sehen konnte - es war wohl so etwas wie ein Mensch. "Das ist normal, ihr Geist will nicht wahrhaben, dass Sie für immer dort eingesperrt sind, wo Sie sind. Er versucht, Ihnen eine neue Realität aufzubauen, so dass Sie nicht zweifeln können, dass dies kein Traum ist". "Warten wir auf den Sonnenaufgang, vielleicht ist es kein Traum", dachte ich laut nach.


2-1


"Was auch immer Sie die letzten Jahre genommen haben, wir haben es Ihnen in flüssiger Form injiziert", unterrichtete mich die Krankenschwester. "Wie lange war ich in diesem Keller?" "In welchem Keller? Sie wurden in einem Hotelzimmer gefunden". Ich dachte nach: was von dem, was geschehen war, war also nicht real? Hat das Treffen mit dem Professor auf dem Balkon stattgefunden? Warum war ich ans Krankenbett gefesselt? Nein, das war kein Krankenhaus, das war eine private Villa im abgeriegelten Stadtteil. Ich ahnte Böses. Ein Polizist kam zu mir, fragte einen Arzt, ob ich wieder normal sei, der Arzt nickte. "Helfen Sie uns, vermisste Kinder zu suchen", bat mich der Polizist mit Nachdruck. Ein korrupter Päderast. Ich sprach in meinen Gedanken mit Harder, wollte ihn mit meinen Augen sehen lassen. "Mädchen, 6 Jahre, seit gestern vermisst", berichtete mir eine Frau Anfang 30 in Uniform. "Tot", log ich, sah das Kind aber vor mir. Es war im Park versteckt, und wollte von denen, die nach ihm suchten, nicht gefunden werden. "Junge, dreieinhalb, entführt", sprach sie weiter. Ich versuchte, an etwas anderes zu denken, sah aber den Jungen vor mir. Er war hier, auf dem Dachboden hinter einem alten Schrank. Auch er hatte Angst, gefunden zu werden. Ich konzentrierte mich auf die Eingänge in das abgeriegelte Gebiet, vielleicht würde es Harder zum Einbruch verhelfen. Meine Begleiter misstrauten mir, ich musste ihnen etwas zum Fraß vorschmeißen. Ein Mädchen, 13, wartete im Gebüsch auf den Einbruch der Dunkelheit, um zu fliehen. Ich führte die Scheincops zu ihrem Versteck. Zum Dank durfte ich zu einem Abendessen in ein prunkvolles Haus.

Es war eher eine wilde Party, denn ein Abendessen. Ich riss mich von meinen Bewachern los und ging nach oben, wo die reichsten Bürger der Stadt bei einem Abendkreis von mir überrascht wurden. "Sind Sie dieser Seher, der uns die Kinder finden soll?" "Der bin ich". "Setzten Sie sich", sagte einer der an die 20 älteren Herren und Damen; eine Dame schaute mich vorwurfsvoll an: "Sie verheimlichen uns etwas, strimmt?" "Ich arbeite nicht gern für Menschen, deren wahre Absichten ich nicht kenne", sagte ich, und da sie schwiegen, fuhr ich fort: "Mich dünkt, dass diese Kinder nicht gefunden werden wollen, sie wollen aus diesem Stadtteil sogar fliehen, obwohl es hier scheinbar ungefährlich ist". "Hier gibt es alles, was die Kinder brauchen", lächelte die Frau mich an. "Vielmehr gibt es hier einige, die diese Kinder brauchen. Wo sind die Spielplätze? Warum ist kein Kind auf der Straße?" "Was wollen Sie damit andeuten?" wurde ein älterer Herr aggressiv. "Ein Facharbeiter kann in einem Reihenhaus jahrelang ein Kind versteckt halten. Was kann ein Millionär? Was können Sie mit ihrem Budget?" "Ihnen ist klar, dass Sie, nachdem Sie das gesagt haben, diesen Raum nicht mehr lebend verlassen können?" "Nehmen wir an, die Kinder werden hier geboren, neun von zehn wie Welpen ertränkt, weil sie nicht gut genug sind. Die anderen Kinder werden in diesen Villen aufgezogen, rechnen wir mit einer Million pro Kind, zwölf Jahre Aufzucht". Ich sah Harder kommen. "Was haben Sie für Ihr Mädchen bezahlt, gnädige Frau? Fünf Millionen?" "Erschießt ihn!" rief ein hysterischer alter Mann, aber die Erschießer waren bereits erschossen. Harder warf mir eine Waffe zu, ich sah, wie die Partygäste im Garten bequem gehackt und verpackt wurden. Die vielen Arme und Beine kamen in einen Container, es war alles so verdammt gut organisiert. "Tu etwas für dein Gewissen, du wirst noch viel Böses tun", ermunterte mich Harder. Ich gab ihm die Maschinenpistole zurück. "Die sind zwar zu alt, aber nimm sie auch mit, fürs Erste ganz", erklärte ich ihm meine Hinrichtungsverweigerung. "Lasst uns gehen", drohte einer der ältesten Herrn im Saal.

Vier Laster fuhren ab, die Alten waren bereit für den Abtransport ins Labor der Seth. Ich versuchte, nicht an die vielen Kinder zu denken, die hier versteckt sein müssten, nur es nützte nichts, denn die kamen, wussten bereits von den Kindern. Ein Söldnerheer stürmte die Villa, die wenigen Seth, die mit Harder hier blieben, wurden erschossen, Harder verhaftet. Der Professor gratulierte mir zu diesem Fang, während die Söldner die alten Bürger befreiten. Den vielleicht hier gefangenen Kindern zu helfen, war nicht vorgesehen. Ich ging auf den riesigen Balkon und setzte mich auf einen sündhaft teuren Stuhl. Ein Mann Ende 50 kam zu mir, ich hatte das Gefühl, ihn mein ganzes Leben lang gekannt zu haben, obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte. "Komme ich dir bekannt vor?" lachte er, "Kein Wunder. Ich kontrolliere den Computer der Inquisition, die glaubt, damit den Minder der Seth zu kontrollieren". "Der Minder funktioniert einwandfrei", so meine Erfahrung. "Ja, das tut er. Ich kaufe keine Sachen, die nicht funktionieren". "Sie finanzieren die Seth?" "Ich finanziere beide Seiten. Und ich könnte auch Sie finanzieren. Wieviel wollen Sie für ein gefundenes Kind?" "So viel wird es nicht sein, es ein Kinderspiel, die Kinder auf diesem Gelände zu finden". "Sie haben mich offenbar falsch verstanden, entschuldigen Sie meine unpräzise Ausdrucksweise. Sie sollen nicht in diesem Stadtteil nach Kindern suchen, sondern überall". "Ist es ineffizient, die Kinder hier aufzuziehen?" "Nein, darum geht es nicht. Es dauert einfach zu lange. Wir haben einen Engpass, was Mädchen zwischen 7 und 12 Jahren angeht. Die Kinder, die Sie uns bringen werden, werden nicht so perfekt sein, wie die Kinder, die wir hier aufziehen, aber die Kundschaft braucht nunmal Kinder in dem Alter. Eine hier anwesende Frau zahlte acht Millionen für ein zwölfjähriges Mädchen, das für fünf Riesen gefangen und für eine halbe Million konditioniert wurde..." "Zahlen Sie Steuern?" fragte ich zynisch. "Inoffiziell - offiziell gibt es uns natürlich nicht - zahlen wir, wie jedes Unternehmen, den regulären Steuersatz".

Ich suchte ein Badezimmer auf, versuchte, den leeren Magen auszukotzen, den leeren Enddarm zu entleeren, alles vergeblich. Ich enspannte mich und die Übelkeit verging. Ich sah ein Rasiermesser auf dem Fensterbrett liegen, nahm es, hielt es mir selbst an den Hals. Der Schlüssel zum Badezimmer war ein Scheinschlüssel - von Innen verschlossen, konnte das Badezimmer von Außen betreten werden, und so betrat es ein Typ Ende 80, nahm mir das Rasiermesser weg und sprach: "Ich habe einen Bauernhof. Die Tiere dort haben ein schönes Leben, bevor sie geschlachtet werden, es ist wie ein Paradies für sie. Schlachte ich sie nicht, werden sie alt und verenden. Warum denkt ihr jungen Leute nur, Gutes sei nur gut, wenn man es selbstlos tut?" Er lachte sogleich auf, denn sein letzter Satz reimte sich.


2-2


"Sind Sie bereit für ihre erste Mission?" fragte mich derTyp Ende 80 am nächsten Morgen, nachdem ich die Nacht in einem Luxushotel im abgeriegelten Stadtteil verbrachte. "Wo muss ich hin?" "Überall hin". "Wenn muss ich suchen?" "Wer nicht gefunden werden will", lachte er. Noch nie in der Geschichte dieses Planeten war ein Menschenleben so wertlos wie in diesen Zeiten, dachte ich, junger Idiot. Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass das Menschenleben an sich nur für kurze Zeit und an bestimmten Orten ein Selbstwert war. Sollte ich einen Vater gehabt haben, hätte er womöglich in der Zeit an dem Ort gelebt. Ich stieg in den Zug und fuhr nach Norden.

Dänemark. Ein bekannter Däne hatte dort irgendwo eine uneheliche Tochter. Würde ein Zufallstreffer sein, dennoch unerfreulich. Ich studierte die Gedanken des Typs Ende 80 genau, achtete auf jedes Detail. Das Bild malte sich mir von selbst, und es hatte eine Menge Ausschlusskriterien. Acht oder neun, langes dunkles Haar, niedlich aber nicht zu süß, intelligent aber nicht zu grübelsam, schüchtern aber verspielt, ängstlich aber psychisch stabil. Beim Frühstück erklärte mir ein für die Grey, so nannten sie sich, arbeitender Psychologe, dass viele Kinder bei psychischer Überforderung aus ihrem Körper zu fliehen pflegen, sich in ein Loch in der Wand hineindenken, ihre Persönlichkeit spalten. Die Grey legten Wert darauf, dass die Kinder beim vollem Bewusstsein erleben, was sie ihnen antun, es flossen schließlich Millionen. Was kostet ist ein Kind? In der City boten mir viele verarmte Eltern Kinder umsonst zum Adoptieren an. In einer Luxusadoptionsboutique kosteten Kinder bis zu 60 Riesen, und das war Luxus. Aussehen und Gesundheit allein war es also nicht, was die Kunden der Grey an Ansprüchen stellten, es musste gewaltig mit inneren Werten zugehen.

Ich übernachtete in einem der besten Hotels der Stadt, gönnte mir eine Linie Koks. Am nächsten Morgen setzte ich mich in einen Linienbus und fuhr die Stadt rund. Gegen Abend stieg ein interessantes Mädchen ein - es entsprach der Beschreibung ideal, und es hatte, wie ich, schwarze Handschuhe an. Ich setzte mich neben dieses millionenschwere Geschöpf und fragte sie, ob sie sich davor ekelte, Türklinken und Ähnliches anzufassen, sie bejahte. Ich log ihr, jemand sei hinter ihr her, und nahm sie mit zum Bahnhof. Nachtzug. Sie schlief im Liegen, ich im Stehen. Fünf Uhr. Ankunft. Ich ging zum Zielort wie ein Schüler, der eine Sechs bekam. Ich machte viele Pausen, trank immer wieder Kaffee, das Mädchen ahnte, wieso ich es tat. Es griff mich mit einer Waffe an, die alle Atombomben in den Schatten stellte, es sah mich niedlich an, und fragte, ob ich sie beschützen würde. Einer Atombombe würde ich mich schon geschlagen geben, denn das Leben hätte in dem Aggregatzustand keinen Sinn mehr...

"Wohin gehen wir?" fragte sie, als ich nun schneller ging, entschiedener, an einen Ort, an dem ich auch ankommen wollte. "Ich muss ein Paar Menschen töten", log ich nicht. Ich nahm diesen grandiosen Stoff, betrat ein luxuriöses Gebäude im dem Chaos überlassenen Teil der Stadt, sperrte das Mädchen in einen Schrank. Meine Waffe funktionierte, erschoss ich den Wachmann. Oben lagen drei Geschäftsleute halbnackt auf Liegen und bekamen eine Massage verpasst. Drei Kopfschüsse aus mittlerer Distanz. Ich nahm das Mädchen wieder und fuhr nach Westen.

"Harder, wir wissen, dass es Ihre Leute waren", sprach der Bischof. "Es waren vielleicht Sie persönlich", urteilte der Gefesselte klug, aber nicht zutreffend. "Wer hat Loco erschossen?" gesellte sich der Professor hinzu. "Ist Loco tot? Nein, Sie lügen". "Schaltet den Angstomat ein", befahl der Bischof seinen Folterknechten. "Harder, es ist ihre fünfte Foltersitzung. Ergreifen Sie Ihre Chance! Jetzt stellen wir Fragen, die Sie durchaus beantworten können", amüsierte sich der Geistliche. Der Professor ging auf einen der vielen Balkone, betrachtete die Leichen im Fluss. "Was kann er uns erzählen, was wir nicht bereits wissen?" gesellte sich der Bischof hinzu. "Tief in seinem unerschütterlichen Geist verbirgt er ein Geheimnis". "Ein graues Geheimnis?" "Halten Sie ihn für einen Grey Ghost?" "Ihn nicht".

"Ein Massaker am Bahnhof. Der Zug muss hier enden", so die Durchsage. Eine Gruppe Psychopathen in Weltraumanzügen richtete ein Blutbad an. Kettensägen. Auf den Anzeigetafeln las ich: "Die Seth wünschen Ihnen eine gute Reise in die Hölle". Sie entführten nicht zum ersten Mal Psychopathen, um sie zu Mördern auszubilden. So viele auf einmal wurden aber noch nie an einem menschenvollen Ort ausgesetzt. Vielleicht war es ihre Rache für Harder, den sie für tot hielten. Das Mädchen sah nichts: Augenbinde. Ich zahlte einem Taxifahrer mein ganzes Geld, um so weit wie möglich nach Westen vorzustoßen. Es war viel Geld, denn er hielt neben einem Polizeirevier, nahm einen Dienstwagen und fuhr damit weiter. Es kostete nur meinen Tod, das Mädchen zu kriegen. Das Unvermeidliche drückte wie ein Schuh. Schiphol. Ich ließ den Taxifahrer zusehen, wie ich ein Hotelzimmer nahm; er fuhr weg, ich ging woanders hin. Eine Bar in Amsterdam. Halbleer, alle starrten auf das Kind. 

2-3


"Die meisten Menschen sind gut, es sind nur wenige schwarze Schafe, die die ganze Aufmerksamkeit stehlen", sprach ein alter Dutchman. "Was glauben Sie, passiert, wenn das Töten für einen Tag erlaubt wird?" fragte ich ihn. "Nichts, denn die die es tun, pfeifen eh aufs Gesetz", trank er sein Bier. Der Stoff, der Gedankenübertragungen blockierte, zeigte auf einmal Nebenwirkungen. Ich sank entkräftet vom Stuhl und konnte mich nicht bewegen. Mein Gesprächspartner vergewisserte sich, dass ich keine Gefahr mehr darstellte, also auch keinen Schutz für das Kind. "Ich habe diesen Bastard umgenietet!" log er und rief: "Die Auktion ist eröffnet! Zehntausend!" Ein junger Mann mit schwarzem Vollbart rief: "Zwanzigtausend!" Eine ältere kahlgeschorene Frau sogleich: "Fünfundzwanzigtausend!" Keiner hatte mehr Geld bei sich. Das Mädchen hielt sich an mir fest, die Erwachsenen schlichen auf das Kind zu. Meine Hand zuckte, ich konnte wieder meinen Kopf bewegen. Die Frau war fast schon da, als ich die Waffe zog und ihr beide Knie durchschoss: "Tut mir Leid, das Kind ist mehr Wert". Ich stand auf, setzte das Kind hinter die Theke und lud nach. Panik, sie zertrampelten einander wie Tiere. Ich schoss ein Magazin leer und nahm den Notausgang.

"Du bist eigentlich kein Erwachsener", stellte das Mädchen fest, nachdem ich in eine Wohnung einbrach, um dort zu übernachten. Keiner da, Glück gehabt, wer auch immer da wohnte. "Hast du Angst vor Erwachsenen?" fragte ich. Sie nickte und schwieg. Ich sah: dem Kind ist nie etwas passiert, das Kind war bloß sehr sensibel. Den Stoff konnte ich nicht mehr nehmen, es war also eine Frage der Zeit.

"Ihr Zustand ist kritisch, Harder", murmelte der Professor. "Wer führt die Seth an?" "Ich", wiederholte Harder. "Wovor haben Sie noch mehr Angst, als vor dieser Folter? Der Angstomat lässt Sie sehen und fühlen, was sie am Meisten fürchten". "Es reicht", urteilte der Bischof. Zwei Söldner fesselten den Professor und setzten ihn auf einen Stuhl neben Harder. "Sie sind ein Grey, Inquisitor", so der Bischof. "Und Sie ein Seth, Inquisitor", so der Professor. "Das bin ich in der Tat", bestätigte der Bischof, "schaltet den Angstomat ein". Die Söldner befreiten Harder, er war so gut wie tot. "Töten Sie mich", bat er den Bischof. "Oh nein, sie werden leben. Ich lasse Sie in ein Wachkoma versetzen. Er soll ins Labor der Seth, fahrt los". Eine Gruppe von Ärzten und Söldnern nahm Harder mit, vier Folterknechte blieben mit dem Bischof. "Warum haben Sie ihn foltern lassen?" war der Professor neugierig. "Um sicherzugehen, dass er nicht mehr weiß, als ich. Ich bin zufrieden. Nun sind Sie an der Reihe. Der Minder, die Seher, der Hokuspokus - das ist etwas für Autisten. Ich vertraue auf die gute alte Folter. Eine ehrliche Art, die Wahrheit zu erfahren. Es findet Kommunikation statt, wir erleben uns gegenseitig als Menschen, endliche, sterbliche Geschöpfe, lernen, unsere Nächsten zu lieben, indem wir sie leiden sehen. Leid macht liebenswert, nicht wahr, Grey Ghost?"
 
Neun Uhr. Gut geschlafen, nicht entdeckt. Bis auf einen grauen Van vor der Haustür. Ich suchte gedanklich nach einem Notausgang, als jemand an die Tür klopfte. Ich versteckte das Mädchen und ging hin. "Öffnen Sie, Cliff!" rief jemand, dessen Stimme mir bekannt vorkam. Ich machte auf, er war allein. "Gittler?" "Ich bin unsterblich", lachte der Polizeichef. "Wie ist das möglich?" "Ich weiß nicht. Vielleicht schlafen Sie. Lassen Sie sich nicht wecken, sagen Sie mir nur, wo das Kind ist". "Der Polizeichef kommt persönlich her, nach mir zu suchen. Das muss ein Traum sein", scherzte ich und schoss dem Klon ins Bein. Mir ging ein Osram auf - sie wollten das Mädchen klonen. Das Geschäft sollte in seiner zweiten Phase demokratisiert werden - dasselbe Mädchen unbegrenzt verfügbar und nicht nur für Reiche bezahlbar. Mir gefiel der Gedanke, neben der Unantastbarkeit auch die Unkopierbarkeit des Mädchens zu verteidigen - aber wie lange noch?

Zug nach Antwerpen, keine Vorfälle. Nur mit mir stimmte etwas nicht. Psychoterror durch Gedankenübertragung? Zerstört der Minder gerade mein Hirn? Ich ging mit dem Mädchen in ein Café, lud heimlich die Waffe. Mord und Selbstmord, alles andere wäre noch grausamer gewesen. Aber da war diese süße Blondine. Diesmal sah ich sie an. Sie kam auf mich zu, setzte sich neben das Mädchen. "Sind Sie real?" fragte ich sie. "Diesmal ja", lächelte sie. Ein Typ, etwas jünger, größer und gutaussehender als ich kam hinzu. "Das ist Kristensen", sagte sie. "Seth? Grey?" "Icepool", berichtigte mich Kristensen. "Die Seth sind bekannt, die Grey sind den Seth bekannt, von Icepool weiß nur Icepool", so die Blondine. "Ich sehe keinen Grund, Ihnen das Mädchen vorzuenthalten", stellte ich fest, "gehen Sie". "Falls Sie nichts Besseres vor haben, als sich in den Kopf zu schießen, kommen Sie mit", so Kristensen.

"Wo bin ich? Warum denke ich nicht?" sprang ich auf. "Punta Arenas. In Ihrem Kopf ist ein Chip, der die Übertragung blockert. Sie hingegen können noch schärfer sehen als früher. Bin ich ein Genie?" lachte eine dunkelhaarige Frau in Weiß, vielleicht etwas älter als ich. "Sie sind jetzt ein Icepool-Agent, genießen Sie es", lächelte Kristensen. Warum waren alle bloß so fröhlich, dachte ich mir. Der Blick aus dem Fenster zeigte mir eine leere Stadt. "Neutronenbombe", berichtete Kristensen, "dann übernahmen wir die Stadt. Es gibt nur uns hier, im Umkreis von 100 Meilen lebt kein Mensch". "Erfrischend zu wissen. Aber wen meinen Sie mit uns?" "Sie haben Recht", gab er mir die Waffe, "was Sie denken, ist zutreffend".

"Wo bringen Sie das Mädchen hin?" "Drei Umwandlungsphasen", erklärte mir Frau Doktor. "Phase 1: Physische Reiningung. Phase 2: Psychische Reinigung. Phase 3: Einverwöhnung". "Ein komisches Wort". Ich ging in der leeren Stadt spazieren, es war sehr schön. Ruhig, fast romantisch. Ich dachte an längst vergangene Mädchen aus meiner Kindheit. Es tat gut, ein Mädchen denen entrissen zu haben, die es so schmerzvoll begehrten, und es diesen kalten Katzen zu überlassen. Ich hatte nur eine leise Ahnung, was sie mit ihr vor hatten, und es war nichts Beunruhigendes. Wie viele Morde standen mir noch zu, nachdem ich dieses so wertvolle Leben gerettet habe?


2-4


"Professor?" "Ich höre, Cliff". "Ich bin wieder in der Stadt". "Harder ist geflohen, du musst ihn finden". Nun konnte ich schärfer sehen und sah das Haus, in dem sich der Professor befand. Ein altes Bankgebäude. Unmöglich, unbemerkt da rein zu gelangen. Ich schaltete auf Lauer, ging fürs Erste zu meinen alten Kollegen. "Diese Selbstverstümmelungen, das ist so krank", klagte der Däne. "Mit dieser Stadt ist niemand verheiratet", bemerkte ich trocken. Wo war der Fahrer des einzigen öffentlichen Krankenwagens der Stadt, wollte ich wissen. "Tot. Seine Freundin hat ihn verlassen", so der Däne. "Lebe ich noch, weil mich meine noch nicht gefunden hat?" "Arbeitest du immer noch für den Staat?" "Nein, ich bin auf der Seite der Freiheit". "Lass uns etwas trinken", freute er sich.

Als er pissen ging, rief ich wieder an. "Cliff, du musst Harder finden! Weißt du schon, wo er sich versteckt?" "Entweder ist er tot oder nicht in dieser Stadt". "Such weiter!" Er war immer noch in diesem Gebäude. Ich ahnte ihn im Keller, in einem Maschinenraum. Ein weniger interessanter Ort, sich zu verstecken. "Warum bist du allein?" wollte der Däne wissen. "Du fragst mich das immer wieder. Beneidest du mich deswegen?" fragte ich, während er in Tränen ausbrach. "Beruhige dich. Betrink dich, geh nach Hause. Warum fällt es euch so schwer, allein zu sein? Könnt ihr euch selbst nicht ertragen?" Eine junge Dame schimpfte, ich sei gefühllos. Ich widersprach ihr nicht. Eine Stunde später rief ich wieder an. Übernachtete er im Maschinenraum? Ich musste ins Gebäude gelangen, um ihn lebend wiederzusehen. Ich berechnete die Pisszeiten der Wachmänner und spazierte mordlos hinein. Runter. Korridor, Tür, da musste er sein. Maschinen, Computer, ein altes Fahrrad. Ich rief wieder an. "Cliff, ich höre?" hörte ich, aber nicht aus dem Hörer. Der Computer antwortete mir, es war die ganze Zeit dieser Computer.

Erwachsene tötete ich gern. Kinder weniger, eigentlich überhaupt nicht. Ich versuchte immer, stattdessen Erwachsene zu töten, wenn es ging. Als ich zehn war, lud ich mir einen Film runter: zwei elfjährige Mädchen wurden miteinander sehr intim. Ich schaute mir diesen Film immer wieder an - es war so süß, zart, rein, und nein, keine Grausamkeit folgte, der Film endete, wie er begann. Ich bekam Ärger, als Erwachsene diesen Film auf meinem Rechner fanden. Ich verstand nicht, wieso. Dann erklärten sie mir, wozu dieser Film gedreht wurde und was mit den Mädchen nachher passierte. Ich konnte zehn Wochen lang nur Knäckebrot essen, lernte durch die Verpackungen ein Wenig Schwedisch, las diese Verpackungen bei stundenlangen Sitzungen auf dem Klo, da mein Hirn, in welches auf so perverse Art reingeschissen wurde, nichts Klügeres verarbeiten konnte. Ich hatte die Zwangsvorstellung, all den Scheiß ausscheißen zu müssen, drückte mich jeden Tag auf dem Klo, es war ein tiefer Fall auf den Boden der Tatsachen. Ich hätte mit meiner seherischen Begabung Milliardär werden können, wurde aber mit 12 schwer depressiv für die nächsten ungefähr 18 Jahre. Natürlich, dachte ich, selbst noch Kind, wollen Kinder "Sex", aber doch nicht mit euch perversen Schweinen...

Ich verließ das Gebäude, wie ich hineinkam. Nur waren es diesmal die Raucherpausen. Unter einer Brücke sah ich einen Schlafsack und einen Penner, der diesen, mit einem Menschen gefüllt und verschlossen, in den Fluss kickte. Ich erschoss den Penner, keine Ursache, und befreite die arme Kreatur. Es war Harder, halb tot. Ich ließ ihn von meinen früheren Kollegen abholen, ohne seine Identität preiszugeben. In einem Café erkannte ich sofort ein Mädchen, das ich zum ersten Mal vor 14 Jahren sah: ich brauchte ein Passbild, sie war vor mir im Fotostudio. Ich war 18, sie war 4. Hellblond, sehr schlank, langes Haar, hat sich nicht verändert, ist nur gewachsen. Auch sie erkannte mich: ich war der, der immer schwieg, während alle redeten. Wir tranken Kaffee. "Was machst du in der vogelfreien Zone?" fragte ich sie. "Ich lebe in der kleinen Siedlung dort. Sie ist abgeriegelt". Tatsächlich. Ich ging mit ihr, es war eine gut bewachte Siedlung am Wasser in einem Park, dessen Name irgendwas mit Jungfrauen zu tun hatte. "Ich konnte deinen Gesichtsausdruck nie vergessen: Ich brauche keinen Luxus, ich bin Luxus". Sie lachte, angenehm leise, ein süßes, feinperliges Lachen, wie damals. "Und deiner war: Ich bin ein Fremder". Ich habe das Lächeln verlernt, aber ich versuchte es.

"Willkommen im Reich des Herrn", stolzierte der Bischof durch seine neue Kirche. "Ab heute wird sich der Gottesdienst nicht auf leere Worte beschränken, der Herr will Taten sehen. Mit staatlicher Genehmigung sollen Verbrecher auf dieser Folterbank ihre Taten büßen. Diese junge Frau hat unehelich ein Kind geboren, es sogleich ertränkt, zerstückelt und an Enten verfüttert. Heute ist ein Tag des Feuers. Gehet hin, legt einen Hunderter in diese Kasse, nehmt ein Eisenstäbchen aus dem Ofen und sucht euch den Punkt auf ihrer Haut, der euch ansündigt. Der Gottesdienst ist eröffnet". Der Erste musste einen Riesen hinblättern. Es war der Professor. Er konnte kaum noch stehen, aber überlebte die Folter. "Ein Vogel, der singt, gefällt dem Herrn", bemerkte der Bischof feierlich.

"Ich werde in diese Stadt zurückkehren", sagte ich etwas melancholisch. "Bring einen Grund für mich mit, diese Stadt zu verlassen". Ich kannte keinen Grund für sie, die Welt war überall Welt. Ich ging eine Straße entlang, auf der teure Wagen geparkt waren, was selten war. Als ich die Hälfte des Weges passierte, begannen die Wagenkolonnen zu explodieren, bis alle Autos nacheinander hinter mir in die Luft gingen. Als Letztes explodierte ein Opernhaus mit freundlicher Unterstützung des Bischofs. Alles, was im abgeriegelten Stadtteil an hedonischem Gut noch blieb, gehörte jetzt den Seth.






3-1


Die Südhalbkugel tat mir gut. In Adelaide traf ich einen Agenten, der mein Partner sein sollte, doch ich merkte sofort, dass er ein Doppelagent war. Er war Anfang 40, hatte wahrscheinlich Krebs, nicht mehr lange zu leben. Überaus gastfreundlich, lud er er mich zu sich nach Hause ein, zeigte mir seine unverwesbare Sammlung in Flüssigkeit eingelegter Tiere, auch menschliche Organe waren dabei. "Was bedeutet dieses Preisschild?" interessierte mich. "Diese Hand biete ich zum Verkauf an". "So teuer? Eine alte männliche Hand?" "Weiblich". "Für mich nur hässlich". "Den Kunden geht es um die Geschichte dieser Hand. Sie gehörte einer Lehrerin an einer Privatschule. Die Frau arbeitete dort verdammte 40 Jahre. Es war eine Mädchenschule, nur diese Hand weiß, wie oft sie  kleine Mädchen etwa durch Ohrfeigen zum Weinen brachte".

Am nächsten Tag unsere erste Mission. Ein Mörder musste gefunden werden, bevor ihn die Polizei fand. Ich vermutete ihn in einem alten Mietshaus, doch als wir ankamen, war dieses bereits abgerissen. Meine zweite Vermutung war ein Bauernhaus im Norden, auch diesmal lag ich falsch. Der Mörder fuhr die ganze Zeit in dem Bus mit, der uns nach Norden brachte - als Busfahrer. Mein Partner erkannte ihn sofort, ließ mich aber im Irrtum, bis sich eine Gelegenheit bat, ihn zu überwältigen. Wir luden uns in sein Haus ein, und auch dort war eine Sammlung, ähnlich der Sammlung meines Partners. Hautfetzen, nichts Ungewöhnliches. Ohren, Augen, Gebisse. An einer Wand hingen ausgetrocknete Häute, aber mich interessierte, was in dem kleinen Safe war. Ein gutes Gefühl, endlich erahnte ich wieder etwas, was mit natürlichen Mitteln nicht zu entdecken war. Der kleine Safe war perversestens gut versteckt. Der Mörder öffnete ihn, dort lagen in akkurat an den Rändern verzierten Glasscheiben unverwesbar Brustwarzen. "Knöpfe", kommentierte mein Partner. "Überaus zivilisiert, verglichen mit den Seth", scherzte ich. "Die Seth sind dekadente verfickte Europäer", schimpfte der Mörder. "Dekadenz muss man sich verdienen. Nur wo einst verfickte Hochkultur war, ist Dekadenz möglich", konterte ich witzlos.

Ich übergab mich mehrmals. Mir stank diese Verschwendung von Körperteilen als leblose Trophäen. Ich konnte mit dieser Sammelwut nichts anfangen. Einen Menschen foltern, vergewaltigen, qualvoll töten - das leuchtete mir ein, danach, wie es sich gehört, anständig begraben, - aber das hier, wozu? Sich sexuell daran hochzuarbeiten, wie jemand verreckt, ist zweifelsohne ein Wenig pervers, aber man kommuniziert dabei mit einem lebenden Organismus, Folter ist letztlich Sex. Warum bezahlt man viel Geld für eine tote Hand, die vor langer Zeit Kinder ohrfeigte? Es ging um eine negative Befriedigung, dachte ich, bevor ich einschlief: darum, etwas Kostbares anderen Menschen weggenommen zu haben.

Diesen Gedanken fasste noch einmal, als ich wieder aufwachte, es war kurz vor vier. Ich sprang auf  und ging hin und her durchs Hotelzimmer, zog mich schließlich an und fuhr in die City. "Lebt der Mörder noch?" fragte ich meinen Partner, nachdem ich in einem Kuriositätenladen ein zugemachtes Glas mit gefälschten Knöpfen erwarb. Er schüttelte mit dem Kopf: "Er wurde mir weggenommen und in der Wüste erschossen". "Ich weiß, dass diese Trophäen gefälscht sind, kann aber nicht erkennen, worin die Fälschung besteht". "Entweder wurden sie kleinen Jungs abgeschnitten oder die  Mädchen..." "Verstehe. Nicht fein genug". "Du hast zweimal versagt, aber du hast dann den Safe entdeckt", trank er seinen Tee. "Das bedeutet, du bist weiter dabei. Ein Kind wurde vor vier Jahren in Sydney entführt, ein bildhübsches achtjähriges Mädchen... Hörst du zu?" Ich hörte zu, musste aber an das Mädchen aus Kopenhagen denken, wie lange war das nun her - fast ein Jahr? "Vom Kind fehlt jede Spur, und da kommst du ins Spiel mit deiner Spontaneität des Denkens, wie die Philosophen es nennen". Ich schwieg, erwiderte nicht, dass die Philosophen etwas gänzlich Anderes unter der Spontaneität des Denkens begriffen.

"Und noch ein Mädchen", unterrichete er mich, als wir in Sydney ankamen, "vor wenigen Wochen entführt. Eine Katze, diese Michelle, einfach eine Katze. Ultraschlank, dunkelblond, verspielt, zu kindlich für ihr Alter". "Ist sie auch 12?" Er nickte. "Für mich besteht da ein Zusammenhang". "Jetzt schon? Weil beide 12 sind?" "Nein, weil du mir von der einen und dann von der anderen erzählt hast". Wir stiegen aus dem Reisebus aus. "In Australien gibt es noch Sprit", wunderte ich mich. "Es gibt noch vieles in Australien", hustete er. "Wo gehen wir hin?" "Das entscheidest du", so er. "Dann nach Rechts". Die Straße war lang, ich bereute es fast, als wir ankamen. Es war spät und ich müde, konnte mich kaum noch konzentrieren. "Meine herzlichen Kongratulationen", formulierte er in einer mitteleuropäischen Sprache, in der etwa die Philosophen von der Spontaneität des Denkens schrieben, "du hast uns zu den Eltern von Michelle geführt!"
"Kommen Sie rein", so eine Frau Mitte 30, schlank und schön, etwas katzenhaft. "Sind Sie allein?" fragte mein Partner. Sie bejahte dies. Er begann, mit ihr zu flirten, ich sah mir die Hunde an, sie waren wirklich sehr süß. "Wann ist Ihre Tochter verschwunden?" kam er zur Sache. "Reden Sie bitte nicht von meiner Tochter, ich mag es nicht, daran erinnert zu werden, dass ich eine Geburt hinter mir habe. Sagen Sie einfach Michelle". "Wann ist Michelle verschwunden?" "Vor einem Jahr. Sie wurde in der Schule entführt". Draußen diskutierten wir aus, dass nicht die Eltern die Auftraggeber waren, sondern die Entführer, denen Michelle vor Kurzem entführt wurde. Die Privatschule lag etwas außerhalb der Stadt, wir fuhren hin.

"Wie heißt du?" fragte er mich. "Was spielt das für eine Rolle? Sag mir, wenn du ein Klima des Vertrauens schaffen willst, für wen du noch arbeitest". "Ich habe nicht mehr viel Zeit zum Leben. Ich will nur zwei wertvolle Knöpfe verkaufen und mir etwas gönnen". "Jemanden wie Michelle?" Er guckte traurig und sprach: "So verspielt wird sie nicht mehr sein, und ich werde ihr nichts tun dürfen, außer, wozu sie seit frühester Kindheit ausgebildet wurde und was sie dreimal die Woche tut". Ich schwieg. "Schon ein Klonbordell besucht?" war ihm interessant. "Eine Bezeichnung aus der Zukunft. Noch gibt es sie nicht. Noch werden echte Kinder gezüchtet. Nein, ich war dort nie Kunde". "Du bist einer von denen, denen ich die Knöpfe verkaufe", sprach er enttäuscht, "du gönnst weder dir noch anderen Menschen Genuss, du geilst dich daran auf, jemandem etwas wegzunehmen, zum Beispiel an dem Gedanken, dass ein Kind nie in seinem späteren Leben Sex genießen kann, weil du ihm, ohne dass für dich selbst etwas dabei herauskäme, ein Paar Körperteile abschneidest". "Im Land aus dem ich komme haben viele eine deiner ähnliche Weltanschauung: es gibt entweder Scheißgrau oder Nazigrau, aber kein Schwarz, kein Weiß, und keine Farben".



3-2


Die Nacht verbrachte ich in einen billigen Hotel nicht weit von der Privatschule, aber das war ein anderes billiges Hotel, als das billige Hotel, in das mich mein Partner hineingehen sah. Er wurde verhaftet, als er jemanden dort zu erschießen versuchte, der mir ähnlich sah. Ich besuchte ihn noch am selben Tag hinter Gittern. "Etwas charakterlos", bemerkte ich, "alle, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, haben versucht, meine besondere Gabe zu missbrauchen, und wem es nicht gelang, wollte mich töten". "Entschuldige, ich wollte mich nur schützen. Ich dachte, du wärst einer dieser Fanatiker, und ich wär für dich ein Kinderschänder, der den Tod verdient hat". "Den Tod? So leicht würde ich dich nicht davonkommen lassen, wäre ich einer dieser Fanatiker. Aber es ist, mal ganz objektiv betrachtet, ein hinrichtungswürdiges Verbrechen." Er regte sich auf: "Wieso? Was tut man denn diesen Mädchen an - nur das, was man dir wegen deiner besonderen Gabe antut! Du kannst sehen, was andere Leute nicht sehen können, sie haben diese Schönheit, die andere nicht haben!" "Und das ist verdammt ungerecht, nicht?" "Ja, verdammt!" schrie er, was ich nicht länger anhörte.

"Sie fühlte sich begehrt, aber von der falschen Seite. Kein schönes Gefühl", erzählte mir eine Lehrerin aus Michelles Schule. "Das Gefühl kenne ich", wurde ich zynisch. "Es waren immer diese Erwachsenen, Männer, Frauen, manchmal große Jungs, die etwas von ihr wollten. Sie fühlte sich sehr bedroht hier. Ich glaube eher an eine Flucht, als an eine Entführung". "Das Kind ist 12. Wo kann es schon hin?" fragte ich, worauf sie schwieg. Ich sah, wie sich jemand, der das Gespräch belauscht hatte, schnell durch den langen Korridor entfernte. Ich wusste, dass er eine halbautomatische Waffe hatte, aber er wusste nicht, dass ich ihn sehen konnte, auch wenn ich ihn nicht mehr sehen konnte. Ich überraschte ihn mit einem Schlag auf den Hinterkopf im Park vor der Privatschule und schleppte ihn in den Keller. Er kam schnell zu sich, aber ward gefesselt an einen Stuhl, den am Boden festgeschraubt war. Ich trank meinen Kaffee, den ich eben in der Schulkantine käuflich erwarb, es war mir allerdings peinlich, unbemerkt zehn Cents zu wenig bezahlt zu haben. "Ich nehme nicht grundlos an, du weißt, wer Michelle entführt hat", sprach ich langsam und deutlich, wie ein guter Pädagoge. "Sie ist doch wieder zu Hause! Ihr Großvater hat sie freigekauft!" wurde er nervös. "Die zweite Entführung. Hat sie sich so abgespielt?" "Lassen Sie mich frei! Ich bin nur ein Musiklehrer!" "Ja, nur ein Musiklehrer", ließ ich ihn frei.

Zurück zu meinem Partner - im Knast war er nicht. Jemand musste ihn mitgenommen haben, und würde versuchen, mich zu töten. Nicht, dass ich mich nicht daran gewöhnt hätte: es versucht immer einer, dich zu töten, für dich kommt es nur darauf an, wie sehr du dir dessen bewusst bist. Er führte mich kraft seines Aufenthalts zu einem Hurensohn, der zu wenig Geld hatte, als die Entführer das Kind offenbar potentiellen Käufern angeboten hatten. Ich sah sie beide in einer Bar in der City, traf sie dort bei den Pissoirs. "Fangen wir von Vorn an", schlug mein Partner vor. "Gern" sagte ich und spritzte seinem Befreier etwas in den Hals, was in der Spritze so war. Er wurde bewusstlos. "Dann fang an", so ich zu meinem Parnter. "Womit!?" "Damit, von Vorn anzufangen". Wir brachten den Hurensohn in ein billiges Hotel, dort kam er zu sich. "Die Spritze hatte ich aus Michelles Schule. Sie war in der Hosentasche eines Musiklehrers. Warum tragen Lehrer bloß so etwas mit sich rum?" "Vielleicht um dann und wann eine Schülerin unbemerkt zu vergewaltigen", so mein Partner zynisch. "Oder zu entführen", so der von uns entführte Hurensohn weinerlich. "Wir werden dich nicht lange foltern können", sprach ich, auf die Uhr schauend, "wenn du drei Stunden den Märtyrer zu spielen schaffst, hast du gewonnen". Der Mann rief entsetzt meinem Partner zu: "Ich habe dich den Bullen abgekauft, und du!?" "Und ich habe noch weinige Monate zu leben. Ich machte das Beste daraus", fesselte er den Hurensohn an ein Heizungsrohr.
"Wer hat dir Michelle angeboten? Kennst du diese Leute?" fragte ich freundlich, während die Zeit verging. "Wir müssen langsam loslegen", meine mein Partner. Ich fand eine Papierschere auf einem Wandschrank. "Kannst du mich hören? Wer wollte dir das Mädchen verkaufen?" fragte ich und schnitt ihm ein Ohr ab. Er beschimpfte eine Familie, die ich niemals hatte. "Du bist der Sohn einer Hure", stellte ich humorlos fest, "deinem Vater war deine Existenz peinlich und er zahlte bis zu seinem Tod Schweigegeld. Dann erbtest du sein Vermögen, kündigtest deinen Job im Rehabilitationszentrum für Hurensöhne wie dich und kauftest dir vom Geld deines unehelichen Vaters Sexsklaven". "Ja, so war es!" rief er, entsetzt, dass ich es wusste, ohne ihn zu kennen. "Du wolltest etwas Besonderes, aber dein Vater war dann doch nicht reich genug", machte mein Partner mir nach und schnitt ihm sein zweites Ohr ab. "Tot! Sie sind alle tot!!" schrie der Hurensohn, "Sie  kamen nach dem Deal zurück und brachten sie alle um!" "Sehr emotional vorgetragen, aber ich glaube dir nicht", holte ich eine Gartenschere unter dem Bett hervor. "Mach ihm die Hose auf", empfahl ich meinem Partner. "Aufhören! Aufhören!! Nur weil ich kleine Mädchen gefickt habe, glaubt im Recht zu sein, und mit mir alles machen zu können! Ich bin ein Mensch, verflucht!!" "Und was ist Michelle? Eine Praline?" schnitt ich ihm die Eier ab. "MacAteer!" rief er, "ein Anwesen bei Canberra!" Dies genügte mir, wir ließen den Hurensohn verbluten.

"Woher wusstest du von der Gartenschere?" "Ich sah sie, als wir uns ein Zimmer aussuchten", war meine banale Antwort. "Was sollte das mit den drei Stunden?" "Nichts, ich habe mir das ausgedacht". In einem Autohaus bezahlten wir bar. Der Wagen war so gut wie neu. "Du fährst", so ich. "Und du?" "Ich schlafe ein Wenig". Drei Stunden später: "Warum sind wir vom Weg abgekommen?" Er fluchte, als ihm ein Revolver aus der Hosentasche fiel. Ich zeichnete eine Skizze, bevor ich auf dem Rücksitz einschlief, eine Art Karte. Er meinte, dies würde genügen, diesen MacAteer zu finden. "Töte mich", murmelte er, enttäuscht von sich selbst. "Setz dich wieder ans  Steuer", nahm ich seinen Revolver.

Auf dem Loch für Zeitungen und Werbeblätter stand tatsächlich der Name MacAteer. Ich sah hell, dass das Anwesen unbewacht war, und wir gingen rein. In der Villa war nur eine alte Frau, sie redete mit sich selbst und schaukelte auf dem Sessel. "Vielleicht hast du dich geirrt?" sprach mein Partner zynisch-hoffnungsvoll, als wir das Anwesen verließen. Ich schloss ein Irrtum verbal nicht aus, im Bereich des Gehirns, in dem die Worte fehlen, zeichnete ich eine weiter Skizze. "Wir sehen uns morgen am alten Flughafen", verabschiedete ich mich und ging dorthin, wo ich das Anwesen vermutete. Es war am anderen Ende der Stadt, und gut bewacht. Ich brauchte Stunden, um hineinzuschleichen und mitzuhören, wie sich zwei übergewichtige alte Säcke über den Preis für ein Kind stritten. Sie einigten sich, und eine Limousine verließ das Anwesen. Fünf Bewaffnete weniger, dachte ich, und wartete ab, bis alle schlafen gingen.
In der Garage war eine Tür unten an der Seite, sie führte in einen Geheimkeller. Ich öffnete und verschloss viele kleine Türen, bevor ich in einen großen hellen unterirdischen Raum gelangte. Ein Mädchen, ungefähr 10, langes helles Haar, reine helle Haut, sehr schlank und zierlich, fing an zu weinen, als ich hineinging. Ich setzte mich auf den Boden und machte dem Kind klar, dass ich ein Fremder war, der ein anderes entführtes Mädchen suchte, auftragsmäßig, nicht aus Leidenschaft. "Ich weiß, wo Michelle ist", sagte das Mädchen, "man nennt sie die weiße Prinzessin". Sie beschrieb das reiche Mädchen, bei dem Michelle angeblich war so, wie man gewöhnlich sie selbst beschreiben würde, worauf ich sie ansprach. Sie meinte, sie sei im Vergleich zu der weißen Prinzessin eine graue Maus. "Ich hasse sie. Sie hat sich Michelle kaufen lassen, und ich war ihr nicht gut genug". Das Kind lebte wahrscheinlich in einer Traumwelt. Eine weiße Prinzessin? Ich glaubte dem Mädchen klein Wort. Sie hatte es sehr luxuriös in ihrem Versteck, wie eine Luxuspraline in einer Luxusschachtel, aber genascht werden wollte sie nicht und kam mit mir.
"Michelle wusste schon, dass die weiße Prinzessin sie wollte, und machte sich über uns lustig. Sie miaute rum und genoss, dass wir sie lieb hatten, und sie sagte immer: ich bin die Jüngste hier". "Jünger als du?" "Ich bin 13". "Und die anderen Mädchen?" "Zwei wurden vorgestern gekauft, eine  gestern zu einer Privatlehrerin für Ballett geschickt". Ich brachte das Mädchen in einem teuren Hotel zu Bett; die Vorstellung von einem verwirrten halluzinierenden Kind ließ sich nicht halten.


3-3


Drei Männer, dazu mein Partner und eine Frau Ende 60, fanden das teure Hotel, in dem wir schliefen. Bewaffnet, hielten mich die Typen fest, während mein Partner der Frau anbot, die Knöpfe, die sie ihm abkaufen wollte, als Bonus selbst abschneiden zu dürfen. Sie öffnete ein Skalpell-Set, aber beeilte sich nicht, das Mädchen kroch vor Angst in eine Ecke und weinte leise. "Soll ich sie fesseln?" fragte mein Partner seine Kundin zuvorkommend. "Ich möchte genießen, wie sich das Kleininchen zu wehren versucht", lächelte die Frau, aber wartete noch. Es war noch so viel mit dem Kind anzufangen, es war ihr zu schade. "Küss mich", befahl sie dem Mädchen, das auf sie zwar zukam, aber etwas schluckte und kurz darauf tot umfiel. "Hast du ihr eine Zyankali-Kapsel gegeben?" fragte mich mein Partner erzürnt. "Ich habe die gnädige Frau vor Sünde bewahrt", erwiderte ich. Mein Partner spielte mit: "Oh ja, die Knöpfe haben ihre Unschuld behalten. Nun werden sie für immer Ihnen gehören".
Als die Kundin heimfuhr, schnitten die Männer das tote Mädchen auf, einer trank etwas vom Blut des Kindes, einer aß das Hirn roh auf. "Wie hast du mich gefunden?" fragte ich meinen Partner. "Frag Dae". "Dae?" Der, der das Hirn aß, lächelte sadistisch. "Er sollte eines Tages für eine gefühlsduselige Schwuchtel ein Mädchen entführen. Er wusste, dass die Schwuchtel das Mädchen nicht wie vereinbart eine Woche quälen und dann töten würde - er wollte aus ihr seine Geliebte machen. Dae ist ein Seher, der weiter sehen kann als du. Jedenfalls behielt Dae das Mädchen, sagte, er würde es freilassen, wenn es ihn nach allen Regeln der Kunst verwöhnen würde. Zehn Stunden genoss er die Zärtlichkeiten, schnitt dem Mädchen dann bei lebendigen Leib die Knöpfe ab, dann die Hände, dann die Gesichtshaut mit Haaren, und lieferte es in eine Klinik ein". "Ein Gruss vom Bischof", lächelte Dae.

Das Treffen am alten Flughafen lief anders als geplant - mein Partner würde auf mich warten, und ich das Mädchen außer Landes bringen, aber es lief, wie gesagt, anders. Das Bisschen Fleisch und Knochen, das unverwertet blieb, packten die Typen in einen Koffer und vertauschten diesen mit dem Reisekoffer eines unbescholtenen Bürgers. "Vancouver", lächelte Dae. Ich nickte.
In Vancouver angekommen, wurde ich den zwei jüngeren Typen zugeteilt, Dae blieb bei meinem Partner, damit dieser als Erster Michelle finden konnte. Ich sollte in die Irre geführt werden, was mir einleuchtete. Ich spielte mit. Einer der beiden Typen, blond und gut rasiert, meinte, bereits geplant zu haben, wie er uns alle ausschalten und mit Michelle abhauen könnte. Der Dunkelhaarige mit schwarzem Vollbart zeigte mir eine Tätowierung auf seinem Arsch - Michelles Gesicht. Er sprach ohne einen Funken von Scham davon, wie er sich selbst anal befriedigte, und woran er dabei dachte. "Ich bin nicht so geschickt und habe keine Kontakte, die mir euch Bastarde vom Leib fernhalten könnten", sagte er, "aber ich weiß, wohin ich mit Michelle für einige Stunden verschwinden kann". "Dann nimmst du sie durch", lachte der Blonde. "Nicht nur. Vielleicht gar nicht. Ich dachte mir, ich tätowiere meine ganze Lebensgeschichte auf ihre Haut". "Das ist ja so, wie auf einen Kuchen zu scheißen, und an die Scheiße deinen Namen zu schreiben", meinte der Blonde, "ich bin da viel zivilisierter. Sie soll nur meine Sklavin sein, kochen, putzen, ab und zu meine Zehen lutschen, und ich meine ausdrücklich: nur die Zehen. Ich bin kein Perversling".

Am nächsten Morgen trafen wir uns in einer Kneipe am Rande der Stadt. "Hast du eine Spur?" fragte mich mein Partner. "Ich verspüre einen Drang nach Osten". "Michelle ist in Vancouver", lächelte Dae. Dieser Typ war kräftiger als ein Stier, aber kein Muskelpudding. Man sah ihm weder seine Kraft noch seine Brutalität an, man hörte beides nur aus seinem Lachen heraus. "Dae ist ein künstlicher Seher", klärte mich der Blonde nach der Sitzung auf. "Er wurde aus einem Irrenhaus geholt, fünf Jahre wurde an ihm rumexperimentiert. Experiment gelungen". "Wo ist Michelle nun wirklich?" fragte der Mann mit dem schwarzen Bart ungeduldig. "Ich sehe sie nicht, und es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren, nach dem was ihr neulich abgezogen habt". "Aber du hast das Mädchen doch gerettet. Wir konnten nur noch über die Leiche verfügen". Als der Blonde für einen Augenblick geistesabwesend war, stieß ich ihn vor eine Straßenbahn. "Das war überflüssig. Ich hätte ihn eh früher oder später getötet", so der Andere. "Trinken wir einen Kaffee", schlug ich vor.
Seine Hände zitterten. "Du ekelst dich vor Türklinken, darum trägst du immer Handschuhe", war seine Vermutung korrekt. Ich trank meinen Kaffee, er seinen nicht, da seine Hände noch mehr zitterten. "Als ich ein Junge war, war ich in ein Mädchen verknallt", fing er an. "Ich auch", war mein lakonischer Kommentar. Er begann, nervös zu zucken. "Ihr langes Haar, ihr schlanker Körper, ihre verspielten Blicke", erzählte er weiter, "aber was mich in Extase versetzte, waren ihre Hände, diese kleinen schlanken zierlichen Hände, unsagbar weiß, diese dünnen langen Finger und diese atemberaubenden langen Krällchen, von deren Kratzen auf meiner Haut ich jede Nacht träumte". Er schwitzte sehr, verschüttele schließlich seinen Kaffee. Ich starrte ihn teilnahmslos an. "Aber sie ekelte sich vor gar nichts!!!" sprang er wild auf und warf den Tisch um. Zwei Sicherheitsleute versuchten, ihn zu überwältigen, er nahm einem von ihnen den Schlagstock weg und schlug sie beide auf den Kopf: "Sie! Ekelte! Sich! Nicht! Nicht! Nicht! Vor gar nichts ekelte sie sich!" Als ich endlich aufstand, ihn zu beruhigen, waren die Köpfe schon Brei. Ich führte ihn aus der Bar, erschoss einen Wichser, der die Polizei anrief. "Sie nahm all diese ekelhaften Dinge in ihre Hände. Insekten. Frösche", brach er weinend zusammen. Ich schoss auf ihn, bis er sich nicht mehr bewegte, und verschwand aus der Stadt.

3-4


"Es tut mir Leid, Michelle", tröstete eine hübsche junge Frau das Mädchen, "aber du hast etwas Unverzeihliches getan. Wenn ich dich verkaufe, muss ich bis zum Lebensende nie mehr arbeiten. Wenn ich dich von einer braven reichen Familie adoptieren lasse, was bekomme ich dafür?" "Verkaufen Sie mich", schluchzte die stolze Michelle.

Ich konnte nicht wirklich fliehen, da ein noch begabterer Seher mir auf den Fersen war. Ich kehrte zurück in die Stadt und suchte meinen Partner und seinen unverwüstlichen Komplizen auf: "Hier sind die Notizbücher der beiden Bastarde. Ich sah, dass Michelle nun nicht mehr in ihrem Geheimversteck ist, aus welchem Grund auch immer, und musste tun, was getan werden musste". "Eine geldsparende Entscheidung", hustete mein Partner. "Lebensgeschichte", lächelte Dae, als er das Notizbuch des Dunkelhaarigen las, "er hat keine Lebensgeschichte... Zehen. Und hier hat er Ansprachen vorbereitet, wie ihn Michelle ansprechen sollte. Was für ein blonder Tagträumer". "Ich sehe sie im Süden der Stadt", log ich. "Ich im Norden", sagte Dae die Wahrheit. Er war sehr entspannt auf dem Weg dorthin: "Das Mädchen hat zur Zeit keinen Schutz. Nur eine junge Frau ist bei ihr, vielleicht ein Cop. Nicht der Rede wert". Ich schwieg. Als wir ankamen, sahen wir ein Hochhaus. "Oben", wies Dae den Weg. Er gab den Wachleuten viel Geld und wir spazierten ins eigentlich geschlossene Bürogebäude. "Sekretärin. Ihre jüngere und hübschere Schwester ist Kindermädchen, privat. Wahrscheinlich bei denen, die Michelle bis vor Kurzem hatten", sah Dae. "Aufzug?" fragte der älteste von uns drei. "Treppe", verneinte ich. Als Dae wegsah, verpasste ich der bedauernswerten Kreatur eine Giftspritze, aber Dae sah nicht weg, sondern brach ihm zur gleichen Zeit unbemerkt von mir das Genick. Wir sahen uns an, lächelten verschämt, gingen dann gemeinsam die Treppe hoch.
"Wir sind oben", bemerkte ich geschäftig. "Am Ende des Korridors, im Koferenzraum", sah Dae. Wir sahen einander an, mein Faustschlag gegen seinen Stahlbauch war vergeblich wie sein Messerstich in meinen Hals, den er verfehlte. Ich schlug ihm das Messer aus der Hand und stieß ihn gegen eine Glasdekoration an der Wand. Er fiel hin, stand aber auf, ehe ich losrennen konnte und schlug mich mit einer Holzfigur zu Boden. Ich holte ihn von den Füßen, schlug ihn mehrmals mit Fäusten in die Fresse, er nahm eine Glasscherbe und verpasste mir einen tiefen Schnitt quer durch die Fratze. Er begann, mich zu würgen, ich nahm seinen Hals und schlug seinen Kopf gegen die zerbrochene Glasdekoration. Er fiel hin, sein Kopf blutete, aber er riss eine Eisenstange heraus, die ich ihm zwar aus der Hand schlug, aber sogleich zu spüren bekam, als er mir drei tadellose Fausthiebe versetzte und ich torkelte. Er schlug mit der Eisenstange auf mich ein, brach mir einen Arm und beide Beine, vermutlich alle Rippen. Den gebrochenen Arm riss er mir ab, wonach er mir die Eisenstange in die Brust bohrte. Nichts sehend, tastete er sich in den Konferenzraum.

"Ich lebe?" "Nicht bewegen. Sie haben vier schwere Operationen hinter sich", so eine bekannte Stimme. "Mein Arm. Ich hatte keinen Arm mehr". "Der ist neu", so der Chirurg, "aus embryonalen Stammzellen gezüchtet". Ich sah ihn mir an: "Können Sie mir auch den anderen Arm ersetzen?" "Der ist bei Verstand, zeigen Sie ihm die Aufzeichnung", so eine Ärztin, die mir bekannt war, zu Kristensen.
Dae brach im Korridor zusammen, stand aber schnell wieder auf, ging in einen Waschraum, verband seine Wunden, wusch sich anständig, und ging in den Konferenzraum. Da er ein Seher war, war das Versteck der jungen Frau mit dem Mädchen halb so genial. Nur Kenner wussten, dass hinter einem mächtigen Schrank ein großer Balkon war, und eben Seher. Dae stieg auf den Balkon. Er war verwundert, dass es wirklich Michelle war, denn er hatte eine Enttäuschung erwartet. Auch Seher werden manchmal reingelegt. Er ignorierte die hübsche junge Frau und fragte Michelle freundlich, warum man sie verstieß. Michelle sagte nichts. Darauf machte Dae sich die junge Frau nützlich, hielt sie fest, brach ihre Finger, und fragte Michelle wieder und wieder. Michelle weinte nur lauter. Dae hielt die junge Frau vom Balkon runter, wobei er ihr die Stöckelschuhe auszog und ihre Zehen nacheinander abbiss und auf die Straße herausspuckte. Michelle schrie nur, und Dae ließ die Frau fallen. Daraufhin erhielt er einen Elektroschock und fiel um.
Dae wachte gefesselt und angekettet im Konferenzraum auf, vor ihm stand Harder. "Das ist unmöglich! Der Bischof versicherte mir, dass du tot bist!" wunderte sich Dae. Auf einem der edlen Tische saß Michelle. Dae versuchte, unter den Minirock des Mädchens zu schauen, um sich seine letzten Minuten etwas angenehmer zu gestalten, aber Michelle legte dezent ein Kissen auf ihren Schoss. "Ich war zu leichtsinnig, aber ich habe meine Lektion gelernt", lächelte Michelle kindlich, "aus Neugier stahl ich mich im Zoo meiner Beschützerin davon, um einen Tiger besser zu sehen. Ich beachtete nicht die vielen schmutzigen Leute, die mich hätten anfassen können. Ein Mädchen wie ich ist auf offener Straße von einem Mann geküsst worden. Die weiße Prinzessin wollte das Mädchen nie wieder sehen, und die Kleine beging Selbstmord. Der Mann wurde lebend gegrillt, aber das machte seine Tat nicht rückgängig". "Ich opferte, damit das Kind lernt", rechtfertigte Harder seine Nichteinmischung beim Ableben der jungen Frau. "Wozu ist Schmerz gut? Damit wir uns weiterentwickeln, individuell und als Spezies. Für den Bischof zählt nur die sexuelle Befriedigung, und Barbaren wie du sind grausam um der Grausamkeit willen". "Es gibt sie also, die weiße Prinzessin?" murmelte Dae. "Oh, ja", lächelte Harder, "aber du wirst sie sehen noch berühren noch riechen noch schmecken noch fühlen. Ein Wachkoma ist es, wovor du Angst hast, nicht wahr? Wird serviert. Du kannst dich zwar nicht bewegen, weil du gefesselt bist, aber theoretisch kannst du es noch. Genieße es".

Kristensen servierte mir einen Kaffee. "Wo ist Michelle?" wollte ich wissen. "In Sicherheit. Das bedeutet: bei uns, im Icepool-Hauptquartier. Hier will dich jemand sehen". Sie war neun, die Kleine aus Kopenhagen, sie hielt meine Hand und erzählte mir die halbe Nacht von ihrem neuen Leben bei Icepool. Ich schlief ein, im Traum erschien mir das vor vier Jahren verschwundene Mädchen, das nun zwölf war, wenn es noch lebte.
Am nächsten Tag kamen zwei hochrangige Icepool-Agenten und stellten mir immer dieselben Fragen. Es ging um die weiße Prinzessin. Ich meinte, sie sollten Michelle fragen. "Sie wird uns nichts verraten, eher stirbt sie", so der Eine. "Sie hat gelernt, etwas zu schützen, das wertvoller ist, als sie selbst", so der Andere. "Darf ich sie sehen?" "Natürlich". Michelle kam zu mir ans Bett und hatte die Frechheit, mir vor den Agenten zu sagen, ich sollte nichts verraten, falls ich etwas sehen können würde. Ich versprach ihr, die weiße Prinzessin nicht zu verraten. "Dann können wir ja die Geräte abschalten", meinte der eine Agent über meine Lebenserhaltung. "Er soll uns den Bischof holen", meinte der Andere, "oder willst du im fernen dekadenten Europa dein Leben riskieren?". Da war wieder die Kleine aus Kopenhagen, um sich von mir zu verabschieden. "Danke", sagte Michelle zu mir und küsste das kleine Mädchen. Das war für mich.


Anmerkung von Terminator:

9.2010

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