Bei Wein und Verlorenheit

Interpretation

von  nadir


BEI WEIN UND VERLORENHEIT, bei
beider Neige:

ich ritt durch den Schnee, hörst du,
ich ritt Gott in die Ferne- die Nähe, er sang,
es war
unser letzter Ritt über
die Menschen-Hürden.

Sie duckten sich, wenn
sie uns über sich hörten, sie
schrieben, sie
logen unsere Gewieher
um in eine
ihrer bebilderten Sprachen.


Es gibt das seltsame Phänomen der Nachkriegslyrik. Mal konkret, mal konkreter und manchmal nah an einer Konkretismusstörung gebaut, kümmert sie vor sich hin. Celan steht da außen vor, er bleibt in Wortgewalt und Sprachgehalt pathetisch und mäandert in Metaphern, lässt keine Blume ungepflückt, ob sie nun angepflockt an Nacht und Neige die Blütenblätter bleckt, oder einfach nur Rose ist und schönes Ding.

 
Dass es die anderen Herren Dichter ( Du heilige 47) dabei schauerte – gut, es gibt auch unter Weisen Narren und unter Narren gibt es nicht selten Weise, vor allem dann wenn der Wein zu Neige geht und Vergangenheit im Narren nagt und gräbt. Und Jetzt, tada, sind wir drinnen.  „WEIN UND VERLORENHEIT“ Wer möchte da nicht erstaunt ausrufen; „Herr Nietzsche! Was schleicht denn ihr Dyonisos durch das Gedicht?“


Doch dann wird da Gott geritten, in Nähe und Ferne. Heißt es nicht im Alten Testament vom Namen Gottes; „Ich bin da, als der Ich da sein werde.? Ja, und dieser Name ist kein pantheistisches Bekenntnis eines Philosophengottes, er ist eine räumliche Aussage. Wenn ich Blume und Geruch, Getaste und Holz, Wasser, oder Durst bin ist mein Name eben "ÜberAll“.


Nähe, Ferne, das ist doch nur Erde, Himmel und alles was in Erde und Himmel kreucht und fleucht. Aber warum? Warum überhaupt? Warum sollte der Gott geritten werden? Aber von vorne; Ritt! Da denkt mein verschlampter Mann-Apparat an Zeugung, zeugen, Schöpfung, schöpfen. Was Celan hier macht ist eine Art perverser, seiner Perversität bewussten, Theodizee Versuch zu unternehmen. Das nämlich, sagt der „Schnee“, ist es doch kein gewöhnlicher Schnee, kein hart und heiser gewordenes Wasser, sondern die 6millionen mal zu Schnee verwandelte Asche des Juden, der Kristall gewordene Lumpen und der abgebrochene Goldzahn, der die Erde bedeckt. War es nicht ein Meister aus Deutschland, der mit den Schlangen spielt, der den Juden dieser Erde befahl, werdet Schnee und ja, sie wurden Schnee! Jetzt ist die Erde einsam und kalt...


12 Jahre lang, wusste dieser heilige Gott nicht, wohin er sein Gesicht drehen soll und indem er wegsah, ist es die einzige Redlichkeit des Menschen, diesen Gott wieder zu zeugen, als eine Gaulgott. Er ist, aber er ist, ob im Himmel, oder auf Erden, Gaul, oder Klepper, Tier, Teufel, und mit jesuanischen Namen ausgestattet, die in den Münder wie Gelee verlaufen. Vielleicht nur deshalb, um die Spucke zu bilden, vor seinem Bildnis auszuspucken. Hat das Humor? Es müsste jedenfalls; denn das macht die heiligen Duckmäuser sich ducken und um wie gedruckt zu lügen, logen sie das Bildnis vor 33 eben weiter in Statur und Stein, also in Bilder, Bildnis, Name. „bebilderte Sprache“


„Ihr sollt euch kein Bildnis machen von mir, weder im Himmel, noch auf Erden“, heißt es. Und gegen die Herren Heiligkeit, die vor der Heil und Herrlichkeitsumflorten Skulptur Gott stehen, also dem Gesetzesgott, dem alles gut geriet, ahnen vielleicht nur ganz selten, dass gegen ihre Bildnis 6millionen mal Asche und Lumpen steht.


Ich erinnere mich, einmal geschrieben zu haben; „in Taumelgezweigen/hängen/Gottes gläserne Schuhe.“ Damals, habe ich nicht verstanden, warum sie da oben hängen, jetzt ist es mir klar, sie zerbrächen, täte ein Gott damit, über festes Erdreich, den Schritt.









Anmerkung von nadir:

Danke HerzDenker, für die Anregung :)

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (12.12.21, 18:46)
Ohne etwas über das gesamte Werk sagen zu wollen, möchte ich auf ein Detail hinweisen:
Das Gebot aus dem Deklalog, über das Du Dich äußerst, lautet (in der Übersetzung von Buber/Rosenzweig):
II. Nicht mache dir Schnitzgebild, und alle Gestalt, die im Himmel oben, die auf Erden unten, die im Wasser unter der Erde ist, neige dich ihnen nicht, diene ihnen nicht, denn ICH dein Gott bin ein eifernder Gottherr, zuordnend Fehler von Vätern ihnen an Söhnen, am dritten und vierten Glied, denen die mich hassen, aber Huld tuend ins tausendste denen die mich lieben, denen die meine Gebote wahren.
Es ist also nicht verboten, sich irgendwelche Bilder von irgendetwas auf, über oder unter der Erde zu machen (kein Verbot darstellender Kunst), sondern dieses Bild dann anzubeten!
Im Fall, auf den Gott alias Moses sich bezieht, hatten die Israeliten einen Stier (wohl den ägyptischen Apis-Stier) hergestellt und ihm dann göttliche Ehren erwiesen; das weckte Gottes Eifersucht.
Wenn aber beispielsweise Picasso aus einem Fahrradlenker und einem Fahrradsattel einen Stierkopf herstellt, ist das o.k., solange niemand ihn anbetet.

 nadir meinte dazu am 12.12.21 um 18:59:
Na, Grenzbereich ... das ist ja schon eine Frage der richtigen Interpunktion. Und selbst, wenn das Kommata da an der rechten Stelle steht, ist damit nicht gesagt, dass da kein "und" mitschwing.

Es könnte ja auch, sogar in dieser Übersetzung lauten; mache dir kein Bildnis und bete es nicht an, denn ...

 Graeculus antwortete darauf am 12.12.21 um 20:25:
Natürlich ist da ein "und" mitgemeint, und zwar ein einschließendes "und", d.h. beide Bedingungen müssen erfüllt sein, damit es verboten ist. Etwa wie: "Du darfst nicht Alkohol trinken und dann noch mit dem Auto fahren."
Entscheidend ist, daß der Satz über das von Dir Zitierte hinaus weitergeht; das wird nicht nur bei dir, sondern oft 'unterschlagen'.

 nadir schrieb daraufhin am 12.12.21 um 20:33:
Ich sehe nicht, dass dieses "und" einschließend gemeint sein müsste. 

hast du, eine möglichst klare, deutlichere, aber an originaltext orientierte übersetzung, die mich eines besseren belehrt? denn ich kenne breide interpretationen, deine und meine.

 nadir äußerte darauf am 12.12.21 um 20:37:
Andere Übersetzung; 

"„Dann sprach Gott alle diese Worte: Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. (Punkt) Du sollst dir kein Gottesbild machen (schließt das Jahwe nicht mit ein) und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. (Punkt) Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der

Antwort geändert am 12.12.2021 um 20:39 Uhr

 Graeculus ergänzte dazu am 12.12.21 um 22:30:
Maßgeblich ist natürlich das hebräische Original, mit dem ich allerdings leider nichts anfangen kann. Ersatzweise benutze ich jüdische (nicht christliche) Übersetzungen, in diesem Falle die von Buber/Rosenzweig. Wenn Du möchtest, kann ich noch die von Moses Mendelssohn nachschauen. Und in der Septuaginta kann ich nachsehen und das dann sogar beurteilen.

Inzwischen sind wir uns immerhin einig, daß das ursprüngliche Zitat unvollständig war. Auf keinen Fall darf man das, was nach dem "und" kommt, einfach ignorieren.

Christlichen Übersetzungen verdanken wir manch haarsträubenden Fehler, z.B. das "Auge um Auge, Zahn um Zahn".

 nadir meinte dazu am 13.12.21 um 08:44:
"Christlichen Übersetzungen verdanken wir manch haarsträubenden Fehler, z.B. das "Auge um Auge, Zahn um Zahn".
Oder: " Du sollst nicht töten" statt: "Morde nicht."? 

Egal, ich unterschlage hier aber eigentlich gar nichts, denn in den letzten Blöcken wird ja klar, dass sich die Menschen Gott zum Bildnis gemacht haben und dieses Bildnis anbeten. Das ist ja auch der Sinn der Celanschen zweiten Strophe. Nur weil ich die Srlbstvorstellung Jahwes nicht komplett zitiere, heißt das nicht, dass icj irgendetwas unterschlage, weil ich eben den Rest literarisch ausdrücke?
 



Antwort geändert am 13.12.2021 um 08:45 Uhr

 Tula (12.12.21, 19:07)
Hallo nadir
Ich las gerade eine weitere Interpretation im Netz, die in der Tat mit deiner konform geht. Der Schlüssel ist in der Tat der Schnee, welcher selbst aus der Neige (franz. Schnee) zu erlesen ist, als Asche der Juden. Diese Interpretation ändert natürlich radikal jedes Wort im Text und macht Gott selbst zum Angeklagten.

Wie ich anderswo schrieb, es fiel mir unheimlich schwer Celan zu interpretieren, d.h. allgemein wenn man sich sein Leben und Werk nicht selbst zu Ziel und Aufgabe eines intensiven Studiums macht. Warum er dem uneingeweihten Leser nicht wenigstens den einen oder anderen Schlüssel gab? "Grauer" Schnee hätte hier vielleicht gereicht.

Wie dem auch, die andere Deutung ist für mich deshalb nicht weniger 'richtig', denn einmal in der Hand des unvoreingenommenen Lesers, "gehört ihm das Gedicht"..

LG
Tula

Kommentar geändert am 12.12.2021 um 19:08 Uhr

 nadir meinte dazu am 12.12.21 um 19:13:
Puhhh. Ich würde jetzt beinah sagen; Gott sei Dank, denn da war ich mir nicht sicher, ob das nicht zu weit hergeholt ist. Aber du hast recht, Celan hätte es dem Leser manchmal leichter machen können, aber ich glaube auch, dass dann viel von seiner Fanszination verlorenginge. 

Lg
Patrick

 Tula meinte dazu am 12.12.21 um 19:28:
um präzise zu sein, der Schnee wird dort nicht direkt als Asche gedeutet, aber es geht zentral um das Thema der Judenvernichtung, eigentlich alle Bilder mit direktem oder indirekten Bezug auf das alte Testament. Man muss es gut kennen, um die Brücken zu finden

Tula

 nadir meinte dazu am 12.12.21 um 19:44:
Der Text, hat sich bei mir erst beim Schreiben entwickelt und eigentlich war es ganz logisch, wie ich darauf gekommen bin, es war einfach diese Gedankenkette;

1: Der Gott in der ersten Strophe ist anders, als der Gott in der zweiten Strophe.

2: Der Gott in der zweiten Strophe ist der Gott der Juden im allgemeinen. Also ein Gott, der die Welt gut geschaffen hat.

3: Also muss der Gott in der ersten Strophe die Welt schlecht geschaffen haben, denn um diesen Widerspruch drehen sich ja die gewählten Bilder.

4: Das einzige Bild, dass sich in der ersten Strophe, auf eine schlecht (kalte) Welt übertragen ließe, ist der Schnee.

und 5: was bewegte Celan am meisten? Eben der Holocaust. Der Rest ergibt sich dann von alleine, glaube ich.

 Tula meinte dazu am 12.12.21 um 19:53:
Ich las eben noch etwas weiter. Das zentrale Thema ist wohl klar, die Deutung im Detail wahrscheinlich weniger, Symbolik, anderswo geht in phonetische Vergleiche usw.
Schnee ist für mich z.B. etwas 'Schönes', aber die Symbolik der Farbe Weiß beinhaltet in nicht wenigen Kulturen auch den Tod. Der Vergleich 'Gott reiten' und nicht den Teufel ... mag als Interpretation stimmen oder nicht. 
Fest steht wohl, dass Celan ganz bewußt die 'normale Sprache' vermieden hat, um dem Unbeschreiblichen überhaupt Ausdruck zu verleihen

Sehr interessant, aber das Testament werde ich jetzt nicht extra lesen  :D

LG
Tula

 nadir meinte dazu am 12.12.21 um 20:08:
Ach, das lässt sich auch einfach zusammenfassen; 

Die Israeliten finden Gott geil
Gott findet das gut
Dann finden die Israeliten Gott doof
Das findet Gott aber gar nicht gut
Gott bestraft die Israeliten
Dann finden die Israeliten Gott wieder geil.

Das sagst du dann einfach zehn mal hintereinander und du brauchst das Buch nicht mehr lesen

 HerzDenker meinte dazu am 12.12.21 um 20:09:
Tula schreibt:  "Diese Interpretation ändert natürlich radikal jedes Wort im Text und macht Gott selbst zum Angeklagten." Ich selbst komme ja von der Philosophie zur Lyrik und eben dann zur Deutung, die ich schon mit liebte. Vielleicht durchdringt meine pantheistische Weltsicht dann auch das, was ich im Text als wesensähnlich zu entdecken meine. Eine Philosophie, die von den menschlichen Egoismen und anderen Schwächen weglenkt und diese in Gott hineinprojiziert, ist mir zutiefst wesensfremd.

 Tula meinte dazu am 12.12.21 um 20:13:
:D 
Morgen wird der liebe Gott wohl DICH reiten  :(

 Tula meinte dazu am 12.12.21 um 20:19:
Oops, der letzte Lacher galt natürlich deinem Kommentar davor 

 nadir meinte dazu am 12.12.21 um 20:21:
"Morgen wird der liebe Gott wohl DICH reiten " 

urgs ...  

Hey HerzDenker

Klar. Und es gibt ja auch Deutungen in diese Richtung. Du weiß - Spinoza, Meister Eckhardt, nicht nur als Mystiker usw. 

Ich glaube aber, das Celan tief geprägt war, von dieser religiösen Zerissenheit seiner Zeit. Viele hatten das Gefühl, dass der Holocaust und ein guter Gott einfach nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Und wenn ich einen Text interpretiere, nehme ich lieber die Position des zu Interpretierenden ein, als viele eigenen Gedanken einzuflechten, denn dann würde ich eher einen Essay, als eine Interpretation schreiben, glaube ich :)


 HerzDenker meinte dazu am 12.12.21 um 20:36:
Liebe Nadir, ich habe mich auch in der Sekundärliteratur mit der Haltung Celans beschäftigt und eben dort Hinweise gefunden, dass er der Mystik zumindest nahestand. - Vielleicht schwingt bei mir ein wenig das Bild von der Heilwirkung guter Sprache mit. Und wer als Dichter da mitwirken will, sollte Zerrissenheit mindern und Einheit und Liebe vorneanstellen. Und so bemühe ich mich auch, Celan ein wenig als Poeten-Arzt zu sehen, evtl. zu stilisieren, ja.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram