Spaziergang
Der Vater hat schon seit einigen Jahren die Diagnose cerebrale Sklerose. Man kann ihn nicht mehr allein laufen lassen – alles mögliche könnte passieren. Ich soll ihn also auf einem kurzen Spaziergang begleiten, meint Mutter. Er geht voraus, ich hinterher. Am ersten Abzweig, dem Fuß der Treppe zum Rainlein, bleibt er stehen und sieht mich fragend an. Als er sieht, dass ich dasselbe tue, ringt er sich, mit eher verzweifeltem Gesichtsausdruck, der in Gottes Namen zu sagen scheint, dazu durch, nach rechts abzubiegen, bergauf, weg von der Stadt und ich folge ihm. Wenig später an der Kreuzung zum Philosophenweg wiederholt sich das Ganze. Nach kurzem Zögern scheint er zu begreifen, dass ich ihm zutraue, eine für uns beide gute Entscheidung zu treffen. Er strafft sich, greift nach meiner Hand und lässt sie nicht mehr los. Mit den Worten „jetzt haben wir uns aber bestätigt“ läuft er mit deutlich erhöhter Geschwindigkeit über zwei weitere Abzweige den kleinen Rundweg zielsicher und ohne jedes Zögern zu ende bis vor‘s Haus, bevor er mich wieder loslässt.
Der Vorhang
Vater kommt in das Zimmer mit der breiten Fensterfront. Drei nebeneinander liegende Fenster werden von rechts und links mit zwei Schals eines einzigen, durchgehenden Vorhangs verhüllt. Vater zieht den linken Schal zu bis zur Mitte, und, da dieser an der Wandseite nicht befestigt ist, auch darüber hinaus. Das gleiche unternimmt er mit dem rechten Schal, der in einer eigenen Schiene läuft, so dass die beiden Stoffbahnen schließlich übereinander liegen, während man an den Seiten noch den freien Blick nach draußen hat. Er schiebt noch ein bisschen herum und als er zufrieden ist mit dem Ergebnis, wendet er sich mit großen, fragenden Augen zu mir.
Dieser Blick sagt mir: Da hat er offenbar ein Bild gefunden, das beschreiben soll, was in ihm vorgeht; was er mit Worten nicht mehr sagen kann, zeigt er mir auf diese Weise.