59 Perlen und ein Kreuz

Short Story zum Thema Psyche

von  nadir

59 Perlen

Eine Hure – eine Puppe, Lea. Sie kniet vor dem Samenauswurf des Mannes, leckt, lacht. Dann ekelt sie sich, denn ein Bewusstsein regt und räkelt sich. Einen Augenblick lang taumelt sie von der Puppe zur inneren Pastorin, von der Straße, dem Strich, in den Psalm, sie schüttelt und schämt sich, doch sie wirft sich nicht ab – das tut sie nie. Denn das Geld hat sie gebannt. Sie nimmt das Geld. Sie bringt das Geld zu X. „Zu wenig“, sagt X. Das sagt er immer. Er hebt die Hand, wartet, er senkt die Hand, er hebt sie wieder, schlägt zu. „Zu wenig“, sagt X. Sie bekommt einen Teil des Geldes. „Zu wenig“, denkt sie. X ist enttäuscht, sagt das sie fort soll, sie schwankt, sie taumelt, denn sie liebt X. X gibt ihr Geld und sie braucht Geld. Sie liebt X, aber X. ist enttäuscht. Denn das Geld hat ihn gebannt.


Lea sitzt bei Y, einer Nonne. Hier sitzt sie immer, wenn sie bei X war. Denn sie spürt, erfühlt sich ein Bewusstsein, etwas das ursprünglich ist, etwas, das sich regt, etwas, das sie durchströmt und streift. „Bitte für uns, heilige Gottesmutter“ sagt Y. Sie beten. „Auf das wir würdig werden der Verheißung Christi.“ Sie beten, raunen. Ein Murmeln erfüllt den Raum, schwillt, strömt durch die Wände, die Luft, die Poren der Haut und ins Herz. „Lasset uns beten. Gott, dein eingeborener Sohn …“ Sie sieht, wie sie durchstoßen wird. Sie sieht die Gesichter all jener, verzerrt. Sie spürt die Stöße, den Schmerz, innen. „Lass uns nachahmen, was sie enthalten und erlangen …“ Das Raunen wird lauter, dann ein Rauschen, das Raunen wird Rauschen, dann Dröhnen. Sie klappert, sie murmelt, schwitzt, sie sieht, wie sie durchstoßen wird. „Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn“ Sie leckt, sie sieht wie sie leckt, lacht. „Amen.“ Dann Schweigen.


Er stößt. Lea stöhnt. Abseits im Hinterhof, kaum Licht. Er stößt, sie fällt, er stößt, sie fällt, in ihrem Inneren fällt sie, gerade hinunter zum Dämmer, zur Resignation. In ihren Ohren dröhnt das Geld, das Gebet, das Gebet, Geld. Er stößt. Sie stöhnt. „Amen“. Abseits im Hinterhof, kaum Licht, stößt er. „Amen“. Sie stöhnt. Da war etwas, innen – grau sinkt ihr Herz endlich in apathische Tiefen, in die Apostasie gegen Heiliges, gegen etwas, das da war, das kommt, das geht und das kommt. Er stößt. Sie stöhnt. „Amen“. Er kommt. –


Eine Hure – eine Puppe, Lea, sie kniet vor dem Samenauswurf des Mannes, leckt, lacht. Dann ekelt sie sich, denn ein Bewusstsein regt und räkelt sich. Einen Augenblick lang taumelt sie von der Puppe zur inneren Pastorin, von der Straße, dem Strich, in den Psalm, sie schüttelt und schämt sich, doch sie wirft sich nicht ab – das tut sie nie. Denn das Geld hat sie gebannt. Sie nimmt das Geld. Sie bringt das Geld zu X. „Zu wenig“, sagt X. Das sagt er immer. Er hebt die Hand, wartet, er senkt die Hand, er hebt sie wieder, schlägt zu. „Zu wenig“, sagt X. Sie bekommt einen Teil des Geldes. „Zu wenig“, denkt sie. X ist enttäuscht, sagt das sie fort soll, sie schwankt, sie taumelt, denn sie liebt X. X gibt ihr Geld und sie braucht Geld. Sie liebt X, aber X. ist enttäuscht. Denn das Geld hat ihn gebannt.



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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (24.06.22, 11:01)
Stilistisch faszinierende, wie du das fatale Rondo um Geld und Lust gestaltet hast.

LG
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 24.06.22 um 11:32:
Das denke ich auch. LG
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