Also, ich denke, er wird das nicht von mir erwarten, aber ich kann das, ich könnte Lehrerin werden. In mir ist schon die ganze Zeit diese Idee, auch, wenn er das am wenigsten denkt, das wird es vielleicht werden, oder Programmiererin, aber warum nicht – meine Eltern sind Lehrer, in mir steckt das, schon immer, ich werde mich dem stellen. Wenn es sich richtig anfühlt, wenn ich es weiß, dass ich es könnte. Es ist eine große Entscheidung, irgendwann kommt diese Entscheidung. Marie dreht die Sätze , immer wieder, sie klingen seltsam deswegen, weil sie sich schnell drehen. Auch weil mir nicht klar wird, wie viel in ihre innere Richtung geht, wie viel in seine oder zu mir hin, zu mir und meinem Berufsstand. Aus diesem Stand heraus kann ich nichts sagen. Ich werde ihr nichts dazu sagen. Ich vermeide es, was aufzugreifen, vielleicht wiederholt sie ihr Thema deswegen. Nach und nach ergänzt sie um neue Perspektiven für die Zeit nach der Arbeitslosigkeit.
Was findet Felix gut, wahrscheinlich ist es gut für ihn, wenn sie einen Job zu Hause macht, sicher - es wird ihm weniger auffallen, was sie tut, wenn sie zu Hause ist. Und wie sie sich angehen in der Küche, als beide sagen, der andere wisse nicht, was man mache – so ist es eine Sache, die sie sich überlegen sollte, auch wenn sie es gut findet, im Pyjama zu arbeiten, gut, die eigene Teeküche zu beherrschen, die Pflanzen auf der Pergola zu pflegen, die Beziehung zur Nachbarin. Das ist ein Thema, was sie mir vertrauensvoll vor ihrem Rausch eröffnete, ich denke darüber nach, egal, was wir noch besprechen – wie nah kann ich ihr kommen? Wir sind uns gefährlich nah. Wir werden jahrzehntelang, eventuell, gezwungen nah sein. Sie weiß schon viel, wir können uns vertrauen, uns verletzen, das Nahe missbrauchen oder einfach nur einmal nicht mehr ansprechbar sein, nicht mehr sichtbar für eine Weile, uns streiten oder missverstehen und wir werden uns unausweichlich begegnen. Ich fühle mich wohl in diesem erweiterten Kokon und fürchte mich. Meine Antwort bezieht sich erst nur pauschal auf das Risiko von Freundschaft und Vertrauen, es dockt noch nicht ganz an die Problematik an, ich denke zurück an den Bruch mit unseren alten Nachbarn, der aber mit dem Umzug woanders hin einherging. Dort war ich mit ihr im Vertrauen, was sie mir über den Mann sagte, machte mir Sorgen und verstärkte mein Unwohlsein ihm gegenüber. Wie ich mich dann auch weg bewegte, er kam her, er kommentierte alles, ich musste mich dazu verhalten.
Trotzdem würde ich es machen, wie sie, ich würde im Vertrauen alles nehmen und es seinen Lauf gehen lassen, es würde mir erst einmal daran liegen, das Glück zu kosten, ein zu Hause darum zu erweitern: das Glück, das bekannte Gesicht als ein vertrautes in den Alltag zu integrieren.
Wenn er gesagt hätte - egal, was ich will - Marie, ich will eine Großfamilie, ich hätte es gemacht. Egal, wie ich dazu stehe, auch, wenn ich vielleicht nicht über Kinder explizit nachgedacht habe vor Felix. Ich bin so: zwei oder egal wie viele; eine kinderreiche Familie; eins nach dem anderen. Wenn er eines Tages zu mir sagt: wir erweitern es, wir machen einfach weiter, mach dir keine Gedanken - ich mach es. Ich würde von mir aus nicht sagen, ich brauche es, aber ich würde es einfach machen. Sie könnte im Haus bleiben, ich beziehe es auch noch einmal auf die Idee mit dem Home-Office und es gibt keinen Grund zur Rechtfertigung. Ich denke, dass ich keinen Grund zur Lehrerin sehe, aber sie denkt darüber nach.
Wie ich es bestätige, bleibt sie aber bei dem Kinderthema, sie will eine Schlaufe zu der frühen Kindheit ihrer Mädchen schlagen, ich glaube das, sie schenkt noch einmal ein, ich bleib jetzt beim Wasser: Zuvor hatten wir ein Gespräch über ihre Wut, dass sie nicht als Raucherin Milch spenden konnte, als sie zu viel hatte. Die Wut ist verbunden mit dem Moment, als Zoe ein paar Tage alt war und Marie die Tumore heraus bekommen hat. Die Wut muss damit verbunden sein. Sie sagt mir, dass sie Zoe kaum los lassen konnte für die zwei Tage Ohnmacht im OP, Zoe war nicht vorbereitet aufs Überleben ohne Muttermilch und Felix musste das schreiende Kind beruhigen, für jede Milch von jeder Mutter wäre sie dankbar gewesen. Und meine hat sie danach auch bekommen, egal mit wie viel Morphium, so wütend sagt sie es, dass ich nicht nachfragen und nachdenken kann auf die bebilderte Erzählung hin. Danach trank Zoe sehr viel und Marie hatte viel Milch, so viel, dass es ihr zu viel war, beim Duschen – ich kann es mir schon denken – und Marie ist zurück zum Krankenhaus, die OP war ein paar Wochen her, die Geburt kurz zuvor. Sie musste einen Riesenberg Papiere beschreiben, um als Milchspenderin für frische Mütter und ihre Babies registriert zu werden, ich stelle mir vor, sie ist dort aufgebracht in dem Erlebnis der letzten Wochen. Und dann wird sie abgewehrt, sie sagen ihr, dass ihre Milch nicht gebraucht wird mit dem Hinweis aufs Rauchen. Es ist ungerecht.
Aber es ist nicht einfach mit kleinen, ich finde es angenehmer, wie groß die Mädchen jetzt sind, es war schwierig in den ersten Monaten. Ich würde Kinder in Pflege nehmen. Kinder, die schon größer sind, weißt du. Für eine gewisse Zeit. Es gibt ein Programm, da kommen Kinder aus Entwicklungsländern oder so hier her, sie werden hier in einer Familie untergebracht, weil sie hier operiert werden, du begleitest sie für ein paar Wochen. Du begleitest sie dann auch zu Terminen, du bist ihr Rückhalt in der Zeit, die sie hier sein müssen, es gehören auch Behördengänge dazu. Das Amtliche und die emotionale Seite. Ich würde mich um sie sorgen. Melanie, ich habe so viel Liebe zu geben, so viel. Ich könnte nicht eine Pflegemutter für eine lange Zeit sein, dann kann ich nicht mehr abspringen in meinem Gefühl. Der Abschied würde ein Loch hinterlassen. Aber für diese Wochen kann ich es, ich wäre einfach bereit dafür. Ich bin bereit dafür, aber ich traue mich nicht, die Idee Felix zu erzählen.