Der dritte Brief

Kurzprosa

von  JohannPeter

Die Konzernführung verfuhr mit den Geschäftführern ihrer Niederlassungen ziemlich rigide – bei krassen Problemlagen wurde einbestellt und abgewatscht, das Ganze zweimal, beim dritten Mal lagen die Papiere im Vorzimmer des allgewaltigen Oberchefs bereit. Weiter als bis dahin kam man zu diesem Termin nicht mehr. Watschen konnte man sich dann selbst.

Als Ex-GF kam Dammberger* nun also ungewatscht, doch mit den eigenen Papieren in seinen Tempel zurück, da saß in seinem Vorzimmer schon der Nachfolger. Die Übergabe war rasch gemacht, der Nachfolger hatte keine Ahnung von Betrieb, Produkten und Personal, aber klare Vorstellungen – „Schaun wir mal, dann seh’n wir auch!“

Dammberger führte den Nachfolger trotzdem noch durch die Chefetage – das blieb sie ja doch – und ins Chefzimmer zurück. Hier öffnete er den Safe und zeigte ihm den Inhalt: „3 Briefe, nummeriert. Sollten Probleme auftreten, öffnen Sie sie bei Bedarf in der Reihenfolge der Nummerierung.“

Dammberger ging, und nicht lange darauf stand der Nachfolger erst vor ihm unerklärlichen Problemen und schließlich vor dem Safe, den Brief mit der Nr. 1 in der Hand. Er öffnete ihn. „Strukturieren Sie um.“ – mehr stand da nicht.

Er strukturierte um. Mit Ausnahme der subunternommenen Werkskantine machte nun beinahe jeder den Job seines Nachbarn. Da jeder damit erstmal zurande kommen mußte, kehrte eine gewisse Ruhe ein, Produktivität und Gewinn zogen an. Man glaubte, strukturbedingt.

Von Dauer war das jedoch nicht, und so stand neuer Ärger ins Haus. Auch der Nachfolger wurde bei der Konzernleitung auditiert und mit deutlichen Worten wieder nach Hause geschickt.

Vor dem Safe stehend, schlitzte er Dammbergers Brief mit der Nr. 2 auf, las: „Strukturieren Sie nochmals um.“
Mit Ausnahme der Gekündigten und der Kantine machten nun in der Firma alle wieder, was sie vorher schon gemacht hatten, die wiedergefundene Ruhe beflügelte Betriebsklima und Motivation, es ging aufwärts, ohne dass das aber jemand hätte wirklich erklären können.

Der Crash kam unerwartet, und noch ehe Dammbergers Nachfolger ein drittes Mal zum Safe gehen konnte, hatte er bei der Zentrale anzutreten; die Chefsekretärin händigte ihm die Papiere aus – kurz und schmerzlos.

Wieder retour, war in seinem Tempel noch alles wie zu seiner Abreise, etwas ratlos stand er in seinem Dienstzimmer, wartete nun seinerseits auf seinen Nachfolger.

Der Safe fiel ihm ein und dass da noch ein ungeöffneter Brief drin liegen musste. Als er das Blatt entfaltet hatte, las er: „Schreiben sie Ihrem Nachfolger drei Briefe.“

Das tat er.




Anmerkung von JohannPeter:

- nach älterer Anekdote neu erzählt.

*) Name frei erfunden

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Kommentare zu diesem Text

Muckelchen (70)
(27.05.23, 10:03)
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 JohannPeter meinte dazu am 27.05.23 um 10:24:
Ich denke es wird in vielen Bereichen, nicht nur in Wirtschaftsbetrieben, der Begriff Struktur geradezu inflationär verramscht, anstatt auch nur ansatzweise einmal über z.B. systemische Ursachen nachzudenken. Bestes jüngstes Beispiel Karstadt/Kaufhof, aber eben auch - in der Politik - die Trauzeugenaffäre um Habeck. Vetternwirtschaft ist kein strukturelles Problem. Daher - wie du richtig sagst - ist der Änderungseffekt als Krisenfolge meist eher marginal.
Danke für Empfehlung! LG - JohannP.

 AchterZwerg (27.05.23, 19:03)
Fliegt bei mir nicht noch "Die Struktur der modernen Lyrik" (1988) herum? Tatsächlich.
Hat die was verändert / genutzt?
Hoffentlich. :D

 JohannPeter antwortete darauf am 27.05.23 um 22:25:
Hat sie nicht. Hätte sie das, wüßte ich doch, was "moderne Lyrik" ist. Aber vielleicht gibt es die gar nicht, nur Zeiten, in denen Lyrik modern ist und solche, wo sie es es nicht ist. Jetzt ist das gerade nicht, glaube ich, und deshalb bleibe ich bei meinem fossilen Stil, meiner fossilen Struktur - These, Antithese, Synthese. Am Ende sind es immer drei, drei Briefe p.e. (s.o.), oder sogar 2x3 Verse hintennaus, wenn es von Petrarca ist. Bei Shakespeare hatte es immer hinten nicht mehr für einen Vierzeiler gereicht, und weil 3x4 + 2 = 14 ist, hielt man es für ein Sonett. Shakespeare war eben stückwas moderner als Petrarca. 
Daß 1988 noch jemand über Modernität nachgedacht hat, überrascht allerdings nicht. Sie versuchen es halt immer wieder mal - spätestens seit Klopstock aber vergeblich, wie Morgenstern sinnfällig demonstriert.
Bringt mich aber auf eine hübsche Idee für morgen früh...

Antwort geändert am 28.05.2023 um 07:15 Uhr
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