Das Hörnchen (Metamorphosen)

Kurzprosa

von  JohannPeter


Es gibt die Eiche, Plural: die Eichen. 

Es gibt das Horn, Diminutiv: das Hörnchen. 

Letzteres kommt vielgestaltig vor, doch nicht als Wechselbalg, und man kann es auch essen. 

Manchmal lebt es auf Bäumen, auch paarweise, aber auch in paarweiser Anordnung lebt das Hörnchen immer jeweils nur auf einem Baum, sonst hieße es Eichenhörnchen. Irreführend wäre die Annahme, Eichhörnchen würden irgendwelche Meßmittel eichen. Wer’s glaubt...

Das Hörnchen ist, auch wenn man sich eins gestoßen hat, in der Regel ein recht ortsfester Geselle, allerdings ist seine Ortsfestigkeit beim Vorkommen in Backstuben eher gering. 

Daß es - dem Namen nach - nur auf Eichen lebt, ist nicht sicher, kommt aber vor. Zwischen den Hörnchen unterschiedlichen Wohnsitzes sind Namensstreitigkeiten eher selten. Bei den in südlichen Gefilden vorkommenden Streifenhörnchen handelt es sich jedoch tatsächlich um vollständige Individuen, Hörnchen streifenweise macht nicht viel her. (Auch nicht zu verwechseln mit dem Sondersignal eines Streifenwagens – dort heißt es Horn. Streifenhorn gibt es aber nicht, es sei denn, es hieße Martin. Martins Horn ist hier aber nicht Thema.) 

Es gibt auch noch Flughörnchen, die regelmäßig auf dem Luftweg die Botanik wechseln, z.B., um sich Verfolgern zu entziehen. In Zeiten der Migration wäre Fluchthörnchen allerdings in der Gefahr, eher despektierlich begriffen und dto. gebraucht zu werden.

Lebt es auf anderen Bäumen, als dem urdeutschen, sind dem Bürotanologen (eine Kreuzung aus Bürokrat, Botaniker und Zoologe) folgende Bildungen empfohlen:  

 

Linde - Lindhörnchen (evtl. mehrköpfig oder mehrschwänzig, dem Lindwurm verwandt). 

Birke - Birkhörnchen (in Konkurrenz zum Birkhuhn balzt es mitunter, wie jenes mit dem hinteren Körperfortsatz imponierend). 

Palme - Palmhörnchen unterscheiden sich nach Kokos- oder Dattel-, wobei der Rheinländer (Kölner) gleich wieder alles vermatscht: ,,Kokmal, Schöppes, dat Hörnsche ... !" - man weiß also nicht, was er wirklich sah. Er allerdings auch nicht. 

Buche - Buchhörnchen, der kleine Feind des Archivars oder Bibliothekars. Hat es einmal in den Beständen Fuß gefasst, sind Leselücken zu befürchten. Kommt also öfter vor, als man gemeiniglich glaubt. 

Erle - Erlhörnchen verbreiten, als Könige verkleidet, unter nächtlich mit oder ohne Vater durchs Gelände reitenden Kindern regelmäßig Angst und Schrecken. Der harmlose Baumbewohner mummenschanzt jedoch nur ein wenig und bedauert regelmäßig die Folgen. 

Weide - Weidhörnchen müsste richtigerweise Waidhörnchen geschrieben werden, jedoch hat es das Jagen seit Hörnchengedenken aufgegeben. 

Ahorn - Das Tier lebt auf diesem Baum ungern, aus sprachlichen wie klassifizierenden Gründen, da in der weiteren Folge ein B-, C.- usw. -Hörnchen zu generieren wäre. Die A-Klasse des Hörnchens bevorzugt jedoch eher deutsche denn kanadische Gehölze. 

Pappel - Beim Papphörnchen handelt es sich nicht um ein Tier, sondern um liegengebliebenes Backwerk, das seine ehemals knusperige Konsistenz eingebüßt hat. Dabei ist ohne Belang, ob es mit Mohn oder sonstigen Pflanzensamen bestreut ist. Papphörnchen kann man aufbacken, im Unterschied zu den vorgenannten Vertretern. 

Mohnhörnchen weisen frisch unter allen Hörnchen die geringste Lebenserwartung auf, vermehren sich aber nicht aus eigenem Antrieb. 

Hörnchen gelten allgemein als recht zurückhaltende Zeitgenossen, nur das Waldhörnchen ist als das einzige bekannt, das sich mit Wohlklang blasen lässt.



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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (10.05.23, 12:02)
Ein amüsanter Text, den ich sehr genossen habe. Also dem Mohnhörnchen kann ich schon auch viel abgewinnen. 

Herzliche Maigrüße
Alma Marie

 Graeculus (10.05.23, 15:48)
Eine unterhaltsame Glosse über das Diminutiv.

Dürfen wir - ich bitte - demnächst aus Deiner Feder auch eine Glosse über die traurige Lage der Weibchen unter den Erdmännchen, also der Erdmännchenweibchen, erwarten?

 JohannPeter meinte dazu am 10.05.23 um 15:59:
Darüber, lieber Graeculus, hatte ich unlängst schon mal nachgedacht. Tatsächlich ist die Lage der EMW aber gar nicht so traurig, denn Chef/in ist immer eine Königin.
Den Gedanken fortdenkend kommt mir da eine Idee. Mal sehen, ob es wird, verspreche aber nichts.
Genderismus im Tierreich ist aber insgesamt amüsant, wenn man mal so durch den Brehm blättert...

 Graeculus antwortete darauf am 10.05.23 um 16:14:
So, eine Königin. Um so erschreckender, daß die [!] Spezies maskulin benannt wird.

 JohannPeter schrieb daraufhin am 10.05.23 um 16:31:
Nun je, bei den Bienen und Hyänen sind die Verhältnisse ähnlich. Und wenn du die Heilige Schrift hernimmst, 2. Mose, so heißt es da:

22 Und Gott der HERR baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. 23 Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.

Was ist das besser als Erdmännchenweibchen?

Zwar meinen die Altphilologen, Luther habe da ein hebräisches Wortspiel replizieren wollen, da aber p.e. die Grünen eher weniger bibelfest zu sein scheinen, kommt dann eben sowas wie Pinguinin oder Steinböckin heraus.

 AchterZwerg (11.05.23, 06:57)
Gerade überlege ich mir, ob ein Hornist aus dem Zwergenreich ebenfalls Hörnchen "geschimpft" wird ...
Eine Frage, die die Welt bewegt! ;)

 JohannPeter äußerte darauf am 11.05.23 um 07:49:
Eine Frage, deren Relevanz gar nicht zu überschätzen ist, denn wo p.e. kleinwüchsigen Mensch*inn/en sogar eigene Olympiade ausgerichtet wird - mit aller Konzilianz -, wäre nur gerecht, auch Orchester für die humanoide Miniausgabe mit entsprechend dimensionierten Instrumenten vorzuhalten. 
Ob und wie ein Instrumentalist aber nach seinem Gerät getitelt wird, müssen die Philologen klären. Als Musiker befürchte ich, daß die  Miniaturinstrumente aus rein physikalischen Gründen dann aber durchgängig höhere Stimmungen aufweisen resp. Töne erzeugen... - wer's verträgt... :ermm:
Eins bleibt größenübergreifend jedoch gesetzt und verbindlich: einen Trompetersohn "Blasebalg" zu nennen wäre jedenfalls mehr als despektierlich, egal, wie er bläst.

Antwort geändert am 11.05.2023 um 07:50 Uhr
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