Dann ist alles anders

Kurzprosa

von  BeBa

Seit längerem verlässt A täglich nach Sonnenuntergang seine Wohnung. Mit einem Schlafsack unter dem Arm macht er sich auf den Weg durch die Stadt. Die Passanten schauen weg, wenn sie ihn sehen. Aber das hat er früher genauso gemacht: einen großen Bogen um alles, was nach Armut und Elend aussieht.

 

Er geht in den Park am Rand der Stadt. Jeden Abend derselbe Weg und immer dieselbe Holzbank, die er ansteuert. Die ersten Male hat er sich auf Bänken niedergelassen, die von anderen Schläfern beansprucht wurden. Es kam zu einigen Auseinandersetzungen, einmal wurde er sogar mit einem Messer bedroht. Aber nach diversen schlaflosen Nächten hat ihm jemand eine gerade freigewordene Parkbank gezeigt, die ihm bis heute niemand streitig gemacht hat. Doch die Erfahrungen haben ihn gelehrt, immer sein Schweizer Taschenmesser griffbereit zu haben.

 

In den ersten Nächten konnte er kaum schlafen. Doch mit jeder schlaflosen Nacht wurde er müder und schließlich gaben Körper und Geist nach. Eines Nachts schlief er tief und fest und als er aufwachte, war die Sonne längst aufgegangen. Schnell packte er seinen Schlafsack zusammen und lief nach Hause. Es war ein Wunder, dass ihm auf dem Heimweg und selbst im Treppenhaus niemand begegnete.

Mittlerweile hat er einen gesunden Schlaf. Er wacht pünktlich auf, macht sich auf in seine Wohnung und nach der üblichen Körperpflege fährt er mit der Linie 2 zu seinem Arbeitsplatz, der Stadtverwaltung. Er führt ein glückliches Leben.

 

Aber dann ist alles anders. Auf seinem Schreibtisch liegt eine Anweisung, nach der das Ordnungsamt bis zum Ende Oktober dafür zu sorgen hat, dass für alle registrierten Obdachlosen im Stadtpark eine gesicherte nächtliche Unterkunft über den Winter gefunden wird und der Zugang zum Park ab November nächtlich zu sperren ist.

Er liest sich die Anweisung laut vor, nickt zustimmend und geht mit dem üblichen Elan an seine Arbeit, die nur von der Mittagspause unterbrochen wird. Doch nach dem fetten, schwer verdaulichen Mittagessen, es gab Schweinshaxe mit Kraut, fällt ihm in der abzuarbeitenden Liste auf, dass er und seine Parkbank gar nicht registriert sind. Er atmet schwer, geht immer wieder diese Anweisung durch, zunächst still im Kopf, dann murmelt er sie und am Ende schreit er sie immer und immer wieder durch sein Büro. Als man ihn abholt, ist seine Stimme heiser und auch der Puls grenzwertig.

 

Mit einer schweren Angstpsychose sitzt er nun schon in den milden November hinein auf den Parkbänken der psychiatrischen Anstalt. Er hat mittlerweile auf allen Bänken probegesessen, ohne attackiert zu werden. Dieses Sicherheitsgefühl erwähnt er bei jedem Therapeutengespräch mit seinem behandelnden Arzt und hebt stets hervor, wie beruhigend er es findet, dass er den Winter über in seinem geheizten Einzelzimmer übernachten darf.



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