Grau-schwarz

Kurzprosa

von  BeBa

Ich öffnete die Tür, trat ein und wusste, dass ich hier nicht mehr herauskommen würde. Ein langer Raum, ein ebenso langer Tisch, links und rechts jeweils zehn Stühle, besetzt bis auf einen Platz, vor dem ich jetzt stand. Alle, die hier saßen, waren in dunkelgrauen Anzügen gekleidet. Ich sah sie nur von hinten, denn sie schauten zum Ende des Tisches. Dort, vor Kopf, saß ein Mann, dessen Blick an mir klebte. Er trug einen schwarzen Anzug.
„Nehmen Sie Platz!“, sprach er und zeigte auf den einzigen freien Stuhl.
Als ich zögerte, lachte er laut auf.
„Vorerst ist Ihr Platz dort hinten!“
Ich setzte mich. Die Grauen wendeten ihren Blick nicht ab vom Schwarzen.
„Wissen Sie, warum Sie hier sind?“, fragte er.
Woher? Ich hatte eine Einladung erhalten und bin hier erschienen. Das sagte ich ihm.
„Nun ja“, sagte er, „immerhin korrekt gekleidet.“
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich einen grauen Anzug trug, wie all die neunzehn Anderen. Das konnte ich mir nicht erklären, doch es beruhigte mich erst einmal.
Und dann diese Stille. Wie lange? Keine Ahnung, denn Stille dehnt sich bis unendlich aus, wenn man in ihr gefangen ist.
Ich fühlte mich immer unwohler. Der fixierende Blick des Schwarzen, die Grauen, die ihn unablässig anstarrten.
„Haben Sie etwas zu sagen?“, fragte der Schwarze.
Welch dumme Frage! Ich hatte die rätselhafte Vorladung erhalten, hier zu erscheinen! Ohne zu wissen, warum. Was soll ich zu sagen haben?
„Nichts?“, fragte er erneut.
„Nun,“, nahm ich allen Mut zusammen, „ich würde gern gehen.“
Wieder Stille! Die Blicke des Schwarzen wie durch mich hindurch.
„Aha!“, meinte er. Dann stand er auf und verließ den Raum durch eine Tür gleich hinter ihm. Sie war mir bisher nicht aufgefallen.
Die Tür fiel ins Schloss. Zeit verging. Bis die Grauen sich zum ersten Mal umschauten zu mir. Alle neunzehn, deren Blicke mich trafen, hatten mein Gesicht.
Und mir war klar: Wenn ich jetzt aufstehe, ist mein Platz vor Kopf des Tisches. Ich zögerte wegen meines grauen Anzugs.


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Kommentare zu diesem Text


 Hobbes (14.10.23, 09:36)
Hallo Beba,

gut!! Aber ich hab von dir schon besseres gelesen!!

Gruß 

Peter

 Létranger meinte dazu am 14.10.23 um 10:57:
Sehr deutungsoffen. Das mag ich.

 BeBa antwortete darauf am 14.10.23 um 22:40:
Hallo Peter,
danke dir. Wie du ja selbst wissen wirst: Es klappt nicht immer mit den Texten.  ;)

Hallo Lé,
freut mich, dass du es so siehst und liest.


LG
BeBa

 Mondscheinsonate (14.10.23, 13:21)
Kafkaesk. Ich mag das sehr.

 BeBa schrieb daraufhin am 14.10.23 um 22:40:
Danke dir, Mondscheinsonate. Freut mich ganz besonders.  ;)

LG
BeBa

 Dieter_Rotmund (14.10.23, 14:40)
Nicht schlecht, aber "Wenn ich jetzt aufstehe, ist mein Platz vor Kopf des Tisches" ist unverständlich.

 BeBa äußerte darauf am 14.10.23 um 22:42:
Ja, deine Kritik ist berechtigt, ist wohl nicht so ganz gelungen, dieser Satz. Vielleicht fällt mir noch etwas Besseres ein.

LG
BeBa
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