REIMEREIEN RUND UMS DENKEN die den blick auf manches lenken (4)
Gedicht zum Thema Gedanken
von harzgebirgler
„...die findigen Tiere merken es schon, daß wir nicht
sehr verläßlich zu Haus sind in der gedeuteten Welt.“
(Rilke)
Es denkt der Mensch und Welt zeigt sich im Glanze,
doch rätselhaft verdunkelt scheint das Ganze,
Mensch forscht am Himmel, forscht viel auf der Erde,
erforscht sich selbst, hofft, daß es lichter werde.
Das Wissen wuchert, endlos sind die Themen
und dennoch bleibt, wie es sich fügt, ein Schemen:
Was deutet Welt, sind wir und sind die Dinge? -
fest hängt der forsche Geist in sanfter Schlinge.
Wo Denken ist, da wachsen die Gedanken,
die sich ums Wort wie Rosenstöcke ranken;
nicht ohne dieses mögen sie gelingen -
was Mensch je denkt, zur Sprache ists zu bringen.
Er bringt es ihr mit Hoffen und mit Bangen,
um aus dem Sprachschatz Antwort zu erlangen;
bleibt diese aus, so läßt es sich nicht sagen,
was ihn bewegt - viel schläft oft fort im Vagen.
Wo Denken ist, wächst Dank auch für die Gabe
des Worts, der Sprache - Mensch oft meint, er habe
sie so im Griff wie eine Einkaufstüte...
doch er hört ihr, des Mundes scheuer Blüte.
Er spricht, hat Stimme, weil sie ihn be-stimmt,
wo Mensch das Wort ergreift und das Wort nimmt,
ists ihm zuvor gegeben und gereicht -
er hört darauf und etwas Dunkel weicht...
*
kant der ja äußerst KRITISCH war
fand eines ziemlich SONDERBAR
was die mathematik angeht
und deshalb hier im anhang steht
woraus erhellt wie wer sie treibt
ein zögling reiner vernunft bleibt
ob er das einsieht oder nicht -
maßgeblich ist die kant’sche sicht...
„Es ist aber doch SONDERBAR, daß das mathematische Erkenntnis, so wie man es erlernet hat, doch auch subjektiv für Vernunfterkenntnis gelten kann, und ein solcher Unterschied bei ihr nicht so wie bei dem philosophischen stattfindet. Die Ursache ist, weil die Erkenntnisquellen, aus denen der Lehrer allein schöpfen kann, nirgend anders als in den wesentlichen und echten Prinzipien der Vernunft liegen, und mithin von dem Lehrlinge nirgend anders hergenommen, noch etwa gestritten werden können, und dieses zwar darum, weil der Gebrauch der Vernunft hier nur in concreto, obzwar dennoch a priori, nämlich an der reinen, und eben deswegen fehlerfreien, Anschauung geschieht, und alle Täuschung und Irrtum ausschließt. Man kann also unter allen Vernunftwissenschaften (a priori) nur allein Mathematik, niemals aber Philosophie (es sei denn historisch), sondern, was die Vernunft betrifft, höchstens nur philosophieren lernen.“
(Kant, KRITIK der reinen Vernunft)
Einst machte sich zum Glück Herr Kant
echt tierische Gedanken,
wie man denn einen Gegenstand
erkennt ohne die Schranken,
die dieser selbst dem Denken setzt
durch sein Entgegenstehen,
bis dann Herr Kant zu guter Letzt
entschied: ““Woll´n doch mal sehen,
ob´s anders nicht viel besser geht -
dies widerspenst´ge Sträuben,
das unsereins ´ne Nase dreht,
ist glattweg nicht zu gläuben!
Wir kehr´n den Spieß, Schluß mit Verdruß,
kurzerhand kritisch herum
wie weiland der Kopernikus““ --
da guckte der Gegenstand dumm
und musste sich, der Erde gleich,
die fügsam die Sonne umkreist,
fortan - dies war der Kantsche Streich -
dem Denken nach richten, wie dreist!...
*
das dichten und das denken
das kann der mensch sich schenken
geschenke haben reiz
besonders geil ist geiz
es geht nur noch um kohle
den raffzähnen zum wohle
und rafft das einer nicht
bleibt er ein armer wicht
es geht nur noch um lüste
als wenn man das nicht wüßte
da kennt mensch keine schranken
moralbegriffe wanken
moral ist was für dumme
schwant selbst der trottellumme
der trieb ist echt ein sumpf
ob mit ob ohne strumpf
es geht nur noch um krippen
da brauchst nicht dran zu nippen
da kannst du fett dich futtern
und massen unterbuttern
samt illusionen rauben
an die sie gern noch glauben
mußt sie bloß unterhalten
dann bleibt schon all’s beim alten
es geht nur noch um zahlen
herr ober sintemalen
allein nicht bloß von zechen
mensch muß für alles blechen
den unrat all der jahre
das schöne und das wahre
es bleibt voll auf der strecke
o trugbild du verrecke!
es geht nur noch - oh nein
es geht nicht mehr - na fein
geht es halt eben nicht
und aus geht das gedicht
wo geht es denn bloß hin
hats wanderschaft im sinn
und wanderts ganz allein
oho aha mag sein!...
*
Wie einst auch die Wege waren
die wer ging es bleibt sich gleich
irgendwann nach Tag und Jahren
ist ein jeder tot und bleich
Manche Bilder werd ich missen
manchen Duft und manchen Ton
Ob davon die Götter wissen
drüben dort wer weiß das schon
Sehen sich wohl alle wieder
die hienieden sich gekannt
sinken schier vor Wonne nieder
still-end-selig unverwandt?
Aushauchatem rein in Räume
hüllenlos leicht unbeschwert
Leib und Seele Träume Schäume
Irdischkeit den Rücken kehrt
Niemand ist zurückgekommen
von daher wohin es geht
Tröstlich daß zumindest Frommen
Zuversicht zur Seite steht
Endlichkeit an sich scheint seltsam
"Endlich!" sagt der Mensch heilfroh
wenn dann einer doch noch ankam...
und vielleicht begibts sich so!
Sprache selbst hat viel zu sagen
nur wir hören kaum mehr zu
doch am End von unsren Tagen
HÖR’N wir AUF und haben Ruh...!
"Wenn man viel selbst denkt, so findet man viele Weisheit in die Sprache eingetragen. Es ist wohl nicht wahrscheinlich, daß man alles selbst hineinträgt, sondern es liegt würklich viel Weisheit darin, so wie in den Sprüchwörtern."
(Georg Christoph Lichtenberg)
*
Mit sternenweiten Riesenschritten
wandelt der Gott durch Zeit und Raum;
was Menschen jemals taten, litten,
kümmert ihn scheints seit langem kaum.
Er läßt den Menschen frei gewähren,
vertraut in ihm auf seinen Geist:
Vollkommenheit mag leiten, nähren
ihn, bis die Nacht den Morgen kreißt.
Daß wir nicht den Verstand verlieren
vor Fernem, das sich endlos dehnt,
vermag der Mensch zu reflektieren,
wodurch er sich zag heimisch wähnt.
So kommt ins Dasein eine Ruhe
und stiefeln wir am Rand entlang -
Begriffe sind wie Wanderschuhe
und sichern w/irren Erdengang.
Zu fassen nicht und schwer zu sehen,
unkenntlich fast an dem, was ist
der Gott, da wir im ZeitRaum stehen,
einsam Mensch an sich selbst meist mißt.
Doch hats uns eh schon übertroffen,
in unserm Wesen eingeholt;
oh alles was wir sind und hoffen,
Vollkommenem bleibts anbefohlen.
Warum sollte Gott verweilen -
er weilt doch, kommend stets, schon längst;
er muß nicht zögern, muß nicht eilen,
er lächelt w/leise, wenn du denkst
er sei dir ferne, sei nicht nah:
er ist in allem ständig da...
*
die ganze flut an dingen
soll uns nur dahin bringen
nie je zu überlegen
warum auf welchen wegen
im großen wie im kleinen
sie reizend uns erscheinen
wir sollten schon bedenken
wie weit sie ab uns lenken
vom stillen ruf der sage
seit anbeginn der tage
die gier nach unterhalten
worin viel ängste walten
mag heut den schlund verhüllen
vom nichts den wir nie füllen
mit allem was wir machen
es bleibt gar froh im flachen
und reicht nicht in den grund
selbst bis zur letzten stund...
*
Wo Menschen sich nach Sinn, nach Fülle sehnen,
stehn diese aus und langhin kann sich dehnen,
die dürftge Zeit, da wir das Fehlen ahnen.
was fehlt, mag nahn; doch wann, auf welchen Bahnen,
ob wir die Ankunft dann auch wohl gewahren,
uns zum Empfang voll Freude um es scharen,
obs, einst im Kommen, uns antrifft, uns erreicht,
bleibt fraglich schon - Verfehlung scheint sehr leicht!...
...und über dem haupte erglänzen die sterne
in abgrundtief furchtbarer endloser ferne
nicht wohnlich bloß lichter in kältestem raum
von bäumen gesäumt ist die milchstraße kaum
selbst kühe sind darauf mitnichten zu sehn
und ställe erst recht nicht am straßenrand stehn
es zieht um die sonne die erd ihre bahn
- ihr wärmender strahl zieht den mensch auf und an
wir wären mitnichten und könnten nicht sein
ohn dieses zentralgestirn und seinen schein -
die erde sie kreist um es rum wie merkur
auch mars ist dabei und frau venus hält spur
uranus dreht ebenfalls runde auf rund
es langweilt ihn nicht wird ihm niemals zu bunt
saturn mit den ringen ist schon riesengroß
und wird übertroffen von jupiter bloß
den obersten gott bei den römern in rom
da kannten die papst noch nicht und petersdom...
*
Es sinkt die Sonne und geht auf
und sie bescheint bei ihrem Lauf
tagtäglich eine irre Welt,
die gänzlich aus den Fugen fällt.
Sie selbst trägt daran keine Schuld
und auch des Menschen Ego-Kult,
der sie vernutzt, verbraucht, verheert,
wird durch kein Machtwort umgekehrt.
Was Wende bringt, es steht noch aus -
derweil durchweht das Totenhaus
vom Dachgebälk bis hin zum Grund
der Pestgestank aus Mammons Schlund.
Die Wüste wächst und Gott ist tot;
des innren Wesens Morgenrot,
es scheint so fern - die Nacht ist lang
und eh aus langem Untergang
sich ein Geschlecht vielleicht erhebt,
in dessen Geist die Wahrheit webt,
kommt Tag für Tag der Irrsinn wieder...
im Hain erklingen Klagelieder.
*
Das brünstige Wallen im menschlichen Leibe
zieht Frauen zu Männern und diese zum Weibe
es läßt einen Mann seinesgleichen begehrn
und Frauen sich wenig um Mannsbilder schern
Es treibt Männer gleichfalls oft hin zu den Knaben
die offenbar einigen Reiz für sie haben
zumal wiederum wohl nicht wenige Fraun
gern eher den Mädchen als Männern nachschaun
Das schlägt sich im Nachwuchs allmählich auch nieder:
Geburtsraten früher die kommen kaum wieder
Mensch hat sein Verlangen und nach ihm die Flut -
die Hauptsache ist daß er Spaß haben tut
Es läßt konstatiern sich mit Fug und mit Recht:
Der Mensch ist umtrieben von seinem Geschlecht -
das meint nicht die Art nur nein mehr das Organ
und organisiert scheint ihm Mensch untertan
Wenn haltlos die Leiber so mit sich verkehren
und sich ihrer juckenden Wollust nicht wehren
dann ist da gebrochen schon irgendein Damm
man stellt sich die Frage wie es dazu kam
Der Leib ward gebrandmarkt als Wohnstatt der Sünde
die Fleischeslust galt als mit Satan im Bünde
Das klärte sich später recht radikal auf
und aufgeklärt nahm das Geschlecht seinen Lauf
Wurds einstmals verteufelt nahms bald überhand
daß Nietzsche hellsehend erkenntnistief fand :
Als Leitfaden dessen wie Mensch deutet Welt
fungiert nun der Leib der sich triebhaft verhält
Die Umkehr der Werte im Willen zur Macht
die hat dieser Denker zur Sprache gebracht
und wenn sich viel Dinge um Sex heute drehn
dacht’ er das voraus und hats aufkommen sehn...
Friedrich Nietzsche
*
Steh auf!, befiehlt des Weckers Ton
und tönt werktäglich wieder,
denn ohne Arbeit gegen Lohn
sinkst du ins Abseits nieder.
Fahr los!, befiehlt das grüne Licht,
halt an!, befiehlt das rote:
Befolgst du die Signale nicht,
gibts schon bisweilen Tote.
Programm heißt Vor-Schrift, sieh mal an,
da sollst du dich “nach richten“,
die man unentwegt sehen kann -
meist eh nur Schreckgeschichten!
Du schaltest ein und drückst den Knopf
und Infowellen fluten
in deinen armen Kochkopftopf
bis Schläfenlappen bluten.
Der Magen knurrt: Befülle mich!
und auch die trockne Kehle
meldet im Durst beizeiten sich,
erteilt zum Trank Befehle.
Es juckt im Schoß, der Leib steht stramm
und öffnet seine Schleuse,
nimmt Säfte auf wie´n Tiefseeschwamm,
Aal windet sich in Reuse.
“Wenn einem die Natur so kommt“,
sagt Woyzeck ziemlich weise,
muss einer tun, was ihr wohl frommt,
sonst kriegt er leicht ´ne Meise.
Die Welt umdränget Geist und Sinn´
und heißt sie recht zu deuten,
was Dinge sind und ich selbst bin
mitsamt den andern Leuten...
„...der Vater aber liebt,
Der über allen waltet,
Am meisten, daß gepfleget werde
Der feste Buchstab, und bestehendes gut
Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.“
(Hölderlin, Patmos)
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