Giorgia on my mind – Teil 7
Bucharest-Otopeni – Ein Heer von Taxifahrern, lautstark buhlend um jeden Ankömmling. Einen von ihnen machte ich glücklich, wir handelten einen Festpreis aus und er empfahl mir das Hotel, vor welchem er mich, den ob der neuen Eindrücke staunenden Fahrgast ablud, nachdem er mir noch im Vorbeifahren auf der Straße ins Zentrum das verhasste Innenministerium zeigen musste, dem er den Mittelfinger entgegestreckte: „Securitate!“ – „Oh, horrible!“
Das Hotel – ich wollte ein „preiswertes“, war reichlich heruntergekommen, die Beleuchtung schummrig, aber ansonsten naja, es war mir recht gleichgültig angesichts dessen, was auf mich wartete. Nur daß Bukarest in einer Erdbeebenzone lag, beunruhigte leicht. Es gibt angenehmere Todesarten … Immerhin hatte es wohl dem letzten Beeben aus 1986 standgehalten.
Nach unruhiger Nacht auf schlechter, fleckiger Matratze checkte ich früh um 7: 30 Uhr ohne Frühstück aus. Mein bescheidener Plan sah vor, einen Mietwagen zu leihen, um auf kürzestem Weg Galati zu erreichen. Damals gab es die inzwischen fertiggestellte Autobahn erst in Teilstücken und so waren das annähernd 380- 400 km ostwärts. Nach ein paar Meter aus dem Hotel stand da eine Würstchenbude, vor der gerade der einzige Kunde verabschiedet wurde. Die junge Frau hinter der Theke sah aus, als verstünde sie Englisch, ich fragte nach dem Weg ins Zentrum und lag richtig mit der Einschätzung. Sie sagte mit angenehm bestimmender Stimme „Just a moment please“, zog ihre weiße Schürze aus und kam aus dem Wagen, um beredt und beflissen den Weg zu erklären und ich den Eindruck hatte, daß es ihr Freude bereitete, ihre Sprachkenntnis zu zelebrieren, wobei sie beide Arme zuhilfe nahm, um die jeweilige Richtung zu weisen: "behind the corner left, then right, then left ..."
Ich dankte ihr herzlich, indem ich die ausgestreckten Hände aneinander legte und eine Verbeugung andeutete, was von ihr augenblicklich erwidert wurde und dachte im Gehen, daß solche Kleinigkeiten bei all den alltäglichen Unbilden dem Leben einen magischen Glanz zu verleihen mögen. „Have a nice day“ „You too, ciao …“ „ … only seven minutes“ rief sie noch hinterher – der Vegetarier und die Wurstprinzessin. Rumänien hatte ja mal eine deutsche Königin, die wundervolle Gedichte schrieb, die ihr analphabetisches Volk leider nicht lesen konnte. Ach und Ovid, den traf ja in Constanța ein ähnliches Schicksal.
Einen Citroen konnte ich ergattern, oder wurde mir aufgeschwätzt, so einer mit Hydraulik, die den Hintern des Fahrzeugs beim Motoranlassen anhob. Der hob sich auch von den Dacias ab, jenen landesüblichen Stinkern und dann noch mit B auf dem Nummernschild … ach, die Eitelkeit. Und die Schlaglöcher wurden tiefer und mehrten sich, wie die rostigen Wellblechhütten am Straßensaum. Ach Giorgia, Giorgia …, die Melancholie kehrte wieder und nahm zu wie der Mond.
Freilich, ich hätte sie in Bukarest suchen können, doch auch hier galt ja, daß sie einem Fremden, zumal Ausländer, nichts über ihre Patienten preisgeben durften, so hätte ich möglicherweise nur Zeit verloren und fuhr lieber gleich nach Galati.
Vielleicht aber wäre die Bakschischmethode erfolgreicher gewesen, als das Auto. Egal, des Schicksals Unausweichlichkeit würde sich so oder so erfüllen.
Giorgia on my mind – Teil 8
Viele überfahrene Tiere, meistens Hunde, lagen auf den Straßen und wurden so lange überrollt, bis sie unkenntlich waren. Es ist nicht leicht zu ertragen, wenn man das zum ersten Mal wahrnimmt. Arme Leute ohne Einkommen saßen stumm vor ihren Tischen, boten an, was sie eben entbehren konnten: 2 Cola, 1 Fanta, ein Bund Radieschen. Letzteres fiel mir auf, weil ich an einem dieser „Verkaufsstände“ für umgerechnet 10 Pfennig jene erwerben hätte können und kurz noch überlegte, ob es nicht zu prollig erschiene, wenn ich das Zehnfache zahlte. Mir tat es einfach nur weh, diese still hingenommene Armut und die dankbar leuchtenden Augen darauf, als hätte ich ein Vermögen gespendet. Gleich drauf aß ich denn dieses „Frühstück“ im Auto und würzte es mit den salzigen Tränen, während mein Blick auf ein Werbeschild fiel, dessen linke Hälfte noch ein hübsches Frauenantlitz zierte, während die rechte Hälfte vom Rost fast gänzlich verzehrt war, desgleichen der Schriftzug. Für was er einmal warb, niemand wusste es mehr. Hier konnte man allenthalben über Vergänglichkeit meditieren.
Die Landschaft verlor immer mehr jeglichen Charakter: flach, soweit das Auge reichte, hier und da mal ein kleines Bäumchen, eine einzelne Kuh mit Hirte und das war’s auch schon. Einer dieser Hirten schmiß einen Stein nach dem Auto und verfehlte es nur knapp. Nicht auszudenken, was geworden wäre, hätte er getroffen. Offenbar schien man hier nicht viel Sympathie für Leute aus Bucuresti zu hegen.
Dann endlich, nach über 5 Stunden Fahrt – Galati 36 km. (Galati- sprich Galatz) Mehr und mehr Häuser, falls man die Rostlauben so nennen konnte, tauchten auf und auch die aus Stein wurden allmählich höher, der Verkehr dichter, der Lärm nahm zu, bis die Silhouetten der Plattenbauten das Bild bestimmten. Diese „Wunderwerke architektonischer Meisterschaft“ waren teilweise so nahe aneinander gebaut, daß in den Häuserschluchten die Dunkelheit mit Gestank und Lärm um die Vorherrschaft kämpften. Jetzt wurde mir zum ersten mal etwas mulmig, doch viel Zeit zum Überlegen blieb nicht, ich mußte die Adresse finden. Ich parkte das Auto dort, wo mir der Instinkt es eingab und … ach, welche unsagbare Tristesse. Zunächst jedoch wollte ich einen Kaffee trinken und fand eine Art Cafe, das ich ansteuerte. Im Inneren saße fünf oder sechs männliche Gestalte, die alles andere, als vertrauenserweckend aussahen. Doch beim Vorübergehen an einem Wandspiegel bemerkte ich, daß ich mich äußerlich kaum noch von ihnen unterschied und das war tatsächlich erstmal beruhigend.
„O zi buna“ – alle Blicke zog ich damit auf mich. Offenbar sagt man hier etwas anderes, als „Guten Tag“.
Ums abzukürzen: ich bekam den leidlich schmeckenden Kaffe und fühlte mich anschließend deutlich besser, zumindest soweit gewappnet das allesentscheidende Prozedere einzuleiten. Die Straßen hatten hier keine Namen, sondern Buchstaben und Zffern, vergleichbar mit der deutschen Stadt Mannheim. Ich bzw. mein Instinkt suchte einen jüngeren Menschen mit entspannten Gesichtszügen und zeigte ihm die Adresse, die ich zu finden hoffte. Tatsächlich, er sprach ein wenig Englisch und wollte mich sogar zum Wohnblock bringen, der hier ganz in der Nähe sei. Ich bot ihm einen Betrag an, doch er lehnte entschieden ab und meinte, das sei selbstverständlich. Wieder einmal hatte ich den Richtigen angesprochen. Er fragte mich woher ich komme. „Germany, Frankfurt“ entgegnete ich und da sagte er doch glatt „Ah, Eintracht Frankfurt“. - „Yes, you know?“ Er kannte sich aus. - „Ist a long way to Galaty“ - Yeah, a fucking long way.“
Wir waren am Ziel, er verabschiedete sich, sagte noch, es sei der dritte Stock, wir wünschten uns alles Gute und ich betrat das Haus, in dem Giorgia wohnte: Tristesse pur. Jetzt musste ich mich erst einmal sammeln. Jeden Stein, jede abgetretene Stufe, alles worauf ich blickte, kannte sie über Jahre hinweg. So nahe war ich ihr plötzlich, auch wenn sie wohl noch in Bukarest weilte, so war ihre Präsenz für mich doch spürbar. Gemächlich schlenderte ich die Stufen hoch, ordnete die Frisur, das Hemd, den Kragen, man will ja nicht "mit der Tür ins Haus fallen" und dann war es soweit, wild pochenden Herzens stand ich vor ihrer Wohnungstür und klingelte.