Giorgia on my mind - Teil 5-6

Drama zum Thema Außenseiter

von  LotharAtzert

Giorgia on my mind – Teil 5

Das Unheil konnte seinen Lauf nehmen, alles war bestens dafür aufgestellt, als ihr nächster Brief kam. Giorgia hatte bereits den Busfahrschein plus Einreiseerlaubnis und kündigte ihre Ankuft in Frankfurt für den nächsten Freitag voller Euphorie an, was bedeutete, daß ein Brief meinerseits sie nicht mehr erreichen würde. Das war fatal. Daß die Ankunft am Hauptbahnhof sein würde, nutzte wenig, es gibt dort etliche Bushalteplätze für Fernbusse, sowohl die kostenpflichtigen, bewachten Standplätze, als auch so genannte „wilde“ wo die „Balkanmafia“ das Sagen hat. Und ein Bus, welcher mehr, als eine Grenze passieren mußte, konnt leicht um bis zu acht, neun Stunden Verspätung haben, so daß, selbst wenn man Halteplatz und Uhrzeit der Ankunft kennt, man dort entsprechend lange vergeblich warten kann.

Und ich – ich wusste nichts, keine Uhrzeit, keine, Haltestelle, und die Ankunft womöglich zur Rush Hour, wo die ganze Gegend wie ein Ameisenhaufen wuselte und eine Person, die man nur von Fotos kennt, praktisch unfindbar ist. Wer Frankfurt und sein Bahnhofsviertel kennt, kann das sicher nachempfinden.

Ja gut, sie hatte meine Telefonnummer mit genaue Wohnadresse, aber ich hätte sie schon gerne, Gentlemen der ich war, mit einem Blumenstrauß direkt am Bus empfangen, herzlich wilkommen geheißen, in die Arme genommen und das ganze Prozedere, doch das war jetzt alles unmöglich.

Ich sah es schon vor mir und genau so sollte es dann auch eintreffen: Freitags um 18:00 Uhr klingelte das Telefon. Als ich den Hörer abnahm, war die Leitung sofort unterbrochen, da es sich um ein Ferngespräch handelte, ich lebte ja im Taunus, was jeder hierzulande kannte und sie wahrscheinlich bloß die zwei Zehnpfennigstücke für Ortsgespräche in einen Münzapparate warf, die es am Bahnhof damals zuhauf gab.

Es klingelte einmal, zweimal, fünf-, sechs-, siebenmal und immer dasselbe. Was konnte ich tun? Nicht mehr den Hörer abnehmen, damit sie nicht ihr ganzes Kleingeld investierte? Das tat ich dann, fieberhaft überlegend, ob ich mit dem Auto losdüsen sollte – das würd um diese Uhrzeit eine dreiviertel Stunde benötigen – und was dann? Hätte sie ein Taxi genommen, die Summe hätte ich schon irgenwie noch zusammengekriegt, oder hätte sie etwas mehr Geld reingesteckt … die Vermieter waren nicht im Haus, so konnte ich auch niemanden bitten, ans Telefon zu gehen … und wenn ich trotzdem nach Frankfurt fuhr und sie in der Zwischenzeit die Sache mit dem Münzeinwurf erkannte und niemand abhob – ach wie unlösbar gestaltete sich die Situation.

Wieder klingelte es, wieder die Unterbrechung und dabei blieb es dann auch. Das wars dann. Unerträglich laute Stille umgab mich.

 

Daß es ihre Schuld war, so überstürzt aufzubrechen, spielt nur eine Nebenrolle, ich fühle mich trotzdem verantwortlich für alles und war sicher ähnlich verzweifelt, wie sie. Das, was so schön hätte werden sollen, wurde zum Alptraum.

 

Giorgia on my mind – Teil 6

Die kommenden Tage gehörten zu den Unangenehmsten. Den Samstag verbrachte ich noch in der blöden Hoffnung, Giorgia könnte sich aus dem und dem Grund doch noch melden, was natürlich nicht der Fall war. So schrieb ich ihr, und wußte ja, daß mindestens 10 Tage verstreichen würden, bis Antwort käme. Und ob überhaupt. Zehn Tage untätig bleiben zu müssen – schlimm.

Auch im Atelier war es doof, die interessierten Fragen, wie es denn so verlaufen sei, unser erstes Date, der Wahrheit gemäß zu beantworten. Der Versuch, Trost zu spenden, ändert selbst durch den sofort dargereichten doppelten Whisky nur wenig.

 

Dann nach einer knappen Woche kam doch schon eine Antwort, jedoch aus Bukarest und brach mir vollends das Herz: Sie war nach dem soundsovielten Versuch, mich zu erreichen, in völliger Verzweiflung mit demselben Bus wieder zurückgefahren und man hätte sie dort in eine psychiatrische Einrichtung verbringen müssen, wo sie derzeit noch weilte, aber die Adresse nicht nennen wolle. Überhaupt sei ich „a man with two faces“, sie verachte mich und wolle nie wieder etwas mit mir zu tun haben. Never ever. Sie schloß mit ich könne mir jeden weiteren Brief ersparen, sie würde sie ungelesen weg schmeißen.

 

Nach dem Lesen ihres letzten Wortes stieg ich unmittelbar ins Auto, fuhr nach Frankfurt, stürmte ins nächsgelegene Reisebüro und besorgte daselbst ein Flugticket nach Bukarest. Wozu Adrenalin alles taugt: wie ferngesteuert lief alles bis zum Abflug. Obwohl ich niemals zuvor geflogen bin und auch keinerlei Böcke verspürte, dies jemals zu tun, war es zugleich selbstverständlich, am Ort  alle Mißverständnisse aufzuklären. Bertrand bekräftigte mich in meinem Ansinnen, Kellybär warnte nochmal eindringlich und so kam es, daß ich zwei Tage später im Flugzeug saß und vollkommen aufs Ziel fixiert alle Angst vorm Fliegen am Boden zurückließ.

 

Natürlich half es ein wenig, mich schon frühzeitig über rumänische Besonderheiten informiert zu haben. So zum Beispiel daß der Mietwagenverleih extrem teuer war, viel teurer, als vergleichsweise in Deutschland, während ansonsten die meisten Preise moderat tiefer lagen, als hierzulande, und man bei Taxifahrten zuvor einen Festpreis aushandeln müsse, um nicht am Ende übers Ohr gehauen zu werden. Warum die Mietfahrzeuge so teuer waren, sollte ich schnell begreifen: die Straßen waren in einem katastrophalen Zustand, mit Schlaglöcher übersät und, speziell Bukarest betreffend, fehlten nicht selten die Gullydeckel über den Kanälen, was eine große Gefahr für Fahrzeug und Insassen darstellte, von den Einheimischen aber offenbar gut gemeistert wurde.

(Die Securitate, die Folterknechte des Ceaușescu-Regimes sollen ja im weitverzweigten Kanalsystem eine unterirdische Stadt angelegt haben. Das nie bewiesene Gerücht kursiert noch heute in vielen Köpfen der Menschen aus dem Lande Draculas).

 



Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 FRP (06.03.24, 14:27)
Wunderbar, Lothar, ich liebe Autobiographisches von Dir!
Und was für eine Story! Mach ein Buch draus!

 LotharAtzert meinte dazu am 06.03.24 um 14:33:
Danke sehr, FRP. Kann sein, daß noch Fehler im Text sind. Mach mich gern drauf aufmerksam.
Graeculus hat mich mit seiner "Kommunikation" angeregt.
Morgen gibt es den Rest.

 Graeculus (06.03.24, 14:59)
Auch mir gefällt das sehr gut! Nicht nur, daß man Dich einmal von einer anderen, sehr menschlichen Seite her kennenlernt, es ist auch spannend erzählt! Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

 LotharAtzert antwortete darauf am 07.03.24 um 09:19:
Danke. Auf den Kommentar bezüglich des Altersunterschiedes komme ich später zurück.

 AZU20 (06.03.24, 17:50)
Spannend. Gern gelesen. LG

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 07.03.24 um 09:20:
Freut mich sehr. Danke Armin.
LG

 Augustus (06.03.24, 18:25)
Habe alle Teile (1-6) gelesen. Es sollen ja 10 werden, oder? 

Gut erzählt und spannend die livestory. Direkt aus dem Leben geschöpft, so schmeckt es auch, frisch und lebensnah, erdig. 

Schön zu sehen, dass hier die Sinnlichkeit vorherrscht und das Gemüt zur Tat drängt. Gewiss, der handelnde hier ist definitiv ein Abenteurer, der viel wagt und hoffentlich auch viel gewinnt. 

Schulden, gescheiterte Ehe, joblos; kein Grund zur Verzweiflung! So der Protagonist, denn es kann nur noch besser werden, so seine Lebensmaxime.

 LotharAtzert äußerte darauf am 07.03.24 um 09:25:
Gewiss, der handelnde hier ist definitiv ein Abenteurer, der viel wagt und hoffentlich auch viel gewinnt.
Danke auch dir, Augustus. Als Abenteurer empfand ich mich eigentlich nie, aber es gibt Situationen, da wird man plötzlich dahin gedrängt vom Schicksal.

Der Gewinn sollte anders sein, als erwartet, aber das dann im letzten Kapitel.

 Regina (06.03.24, 22:52)
Klasse, und echt so spannend, dass ich es an einem Stück bis hierhin las. Aber ich ahne Schlimmes: mit Giorgia wird es nichts.

 Graeculus ergänzte dazu am 06.03.24 um 22:55:
Beides ja, Regina. Das erste ist unbestreitbar, das zweite ahnen wir.

 LotharAtzert meinte dazu am 07.03.24 um 09:32:
O, ihr Ahnenden - wie könnte ich dem widersprechen ...

Danke, Gina. Ich sagte es ja früher bereit: die Augen werden schwächer und lange Texte wird es in Zukunft nicht mehr geben. Da wollt ich zuletzt halt nochmal einen raushauen ...

Andererseits hat Graeculus unwissentlich eine alte Wunde aufgerissen ... ich hab ihr nur Unglück gebracht.

 AchterZwerg (07.03.24, 05:40)
Ja,
es sind die kleinen Widrigkeiten, die einem das ganze Leben versauen können - hier bei uns und noch mehr im Lande des Grafen Dracula.
Ganz egal, wo Uranus gerade steht ... 8-)

Viel Glück, obwohl ich deutlich spüre:
Däs wird nix

 LotharAtzert meinte dazu am 07.03.24 um 09:41:
Die einzelnen Verknüpfungspunkte - krimineller Millionär, Künstler, Armut, Scheitern, Hoffen - gell, wie aus dem Leben.

obwohl ich deutlich spüre:
dann hab ich zumindest beim Schreiben alles richtig gemacht. Ob auch im Leben, bleibt dahingestellt. Die Zeit in den Karpaten, was ja noch kommt, gehört sicher zur wichtigsten Erfahrung in meinem Leben. Da hab ich im Geiste oft mit Bram Stoker gesprochen.

Danke (Zwerge gibt es da übrigens jede Menge)

Antwort geändert am 07.03.2024 um 09:42 Uhr
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram