Maria

Kurzgeschichte zum Thema Erinnerung

von  niemand



Maria, denke ich und schaue auf die makellose Figur der Mutter Gottes in der Kirche. Wie schön sie ist, mit ihrer Pfirsich farbigen Haut und den makellosen Gesichtszügen. Maria, denke ich, schließe meine Augen und falle rückwärts. Sechzig Jahre zurück in eine andere Zeit. Und da steht sie, diese Maria, genauso schön wie die Figur auf diesem Podest hier. Maria ist so anders als ich, die vierzehnjährige pubertierende Göre. Sie fällt aus dem Rahmen all der Auswüchse wie Pickel und einer noch nicht voll ausgebildeten Oberweite. „Welch ein schönes Mädchen“ säuselt meine Tante, die grade zu Besuch bei uns weilt. Und Maria genießt es schön genannt zu werden. Steht zwischen den beiden Müttern und unserem Besuch im Hausflur und windet sich wie ein Pfau, der grade ein Rad aufgeschlagen hat. Ich schaue zu meiner Tante, über deren Kommen ich mich grade noch freute und wünsche sie wäre nicht hier. Und wenn doch, dann um mich schön zu nennen. Das wäre zwar eine Lüge, aber gerade diese hätte ich gebraucht. Jeder Mensch braucht so was und ich brauchte das ganz besonders in diesem Moment. Nichts mochte ich damals an mir, noch nicht mal mein Inneres, von dem die Menschen so oft sprechen und welches so besondere Werte zu haben scheint. Werte auf die ich damals gepfiffen hätte, wenn mich nur irgendwer, irgendwann wenn auch nicht grade schön, dann wenigstens hübsch genannt hätte. Besonders ein Kompliment meiner Tante hätte mich gefreut. Doch die war von Maria fasziniert. Wie lange Maria im Hausflur stand und wie lange es dauerte bis wir wieder in unserer Wohnung waren, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass meine Tante für die Zeit ihres Besuchtes keine große Sympathie von mir zu erwarten hatte. Lange Zeit danach war ich noch Marien gestört. Das war wie ein kleines Trauma, welches ich erst mit der Zeit vergaß. Seltsam, dass sie grade heute wieder aufgelebt sind, diese Erinnerung an Maria und mein Gefühl der optischen Minderwertigkeit.


Ich öffnete die Augen und musste irgendwie lächeln. Schön ist sie wirklich, diese Muttergottes, irgendwie überirdisch schön. Was aus Maria geworden ist, weiß ich nicht. Ob sie so schön geblieben war und wenn dann wie lange? Schönheit kann man nur schwer konservieren. Manchmal bleibt sie noch eine Zeit lang, danach vielleicht nur noch in Spuren. Es sei denn sie ist aus Marmor, wie diese Figur auf dem Podest. Der kann die Zeit lange nichts anhaben, oder vielleicht doch.Man spricht ja vom Zahn der Zeit, obwohl an diesem harten Stein hier hätte sich selbst die Zeit die Zähne ausgebissen, denke ich schmunzelnd und verlasse die kleine Kirche.








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Kommentare zu diesem Text


 Agnetia (21.03.24, 20:51)
jaaa, sowas tut weh. Gut geschrieben, liebe Irene.I ch glaube jeder hat so eine Marie im Hausflur stehen... Irgendwann hat man es überwunden.
LG von Monika

 niemand meinte dazu am 22.03.24 um 17:58:
Irgendwann überwindet man sowas, das ist klar, liebe Monika ;) 
Nur manchmal, wie das so ist, kommt es von selber wieder hoch.
Ein kleiner optischer Anstoß ... und ...
Mit liebem Dank und lieben Grüßen zurück, Irene
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