Schwesterherz

Experimenteller Text

von  blauefrau

Das Licht stand über dem Altar, oben im Turm, und ich merkte, dass sie an dem Licht zog. Dann zog ich, dann wieder sie, wie an einer Lichtstrickleiter, die immer weiter nach oben ging. Sie kam immer höher und war auch gerissener als ich. Das war das Problem, aber auch die grundlegende Situation. Sie war besser, meistens.  Ich versuchte es aber auch und nahm den Kampf auf. Es gab kein Ende. Selbst jetzt, wo sie tot ist, geisterte sie oben in der Helligkeit über dem Altar herum, und ich, die ich in der zweiten Bankreihe saß, links meine Schwester Bea neben mir, rechts meine Tante Ci, zog mit meine Augen an dem Licht und sie womit auch immer, sie war anwesend, auch wenn sie nicht sichtbar war, sie zog und zog. Auch ich konnte es nicht lassen, und sie zog auch weiter. Sie war im Vorteil, sie konnte ausweichen und sogar verschwinden, während ich anwesend war und diese Messe durchstehen musste, mit Pfarrer Tom und allen Verwandten.

Hinter mir sah ich auch den Cousin, der in Erbschaftsangelegenheiten ausgetrickst worden war und darum gebeten hatte, an diesem Sechswochenseelenamt teilzunehmen, auch um sich seiner familiären Verbundenheit zu vergewissern. Er lächelte mich freundich an.

Hinterher, im Restaurant, gab es zum Nachtisch eine Herrencreme, nicht schlampig zubereitet wie so oft, sondern mit knackigen Schokoladenstückchen und einer schönen Festigkeit. Es gab sie aus Reminiszenz an meine Schwester, die sie sehr gerne aß.

Wir konnten vorher zwischen fünf guten Gerichten wählen. Ich nahm ein Rumpsteak, das nicht ganz durch war, und zum Schluss leider bloody. Nee, nicht so lecker.

Bei A. waren wir immer schon gewesen, wenn ein runder Geburtstag anfiel, als Geld da war und wenn sie uns Räume geben konnten.

Ob jetzt das Essen ein Fest war, sei mal dahingestellt. Ich kann ja nicht feiern, dass meine eigene Schwester gestorben ist. Nicht jeder redete über sie oder von ihr. Es bestand aber Konsens, dass es ein schönes Essen war und sie es uns gegönnt hätte.

Die Bedienung war freundlich und zuvorkommend. Dass sie uns eine halbe Stunde vor dem geplanten Ende herauskomplimentierten, war der Tatsache geschuldet, dass für die nächste Gästetafel eingedeckt werden musste. Nein, das stört nicht, sagten die anderen. Doch, mich störte das. Es war kein natürliches Ende, sondern ein abruptes, und ich konnte für mich keinen Abschluss finden.


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