Zettel

Experimenteller Text

von  blauefrau

Wenn ich einmal sterbe, würde ich gern einen Stapel Zettel mit in mein Grab nehmen. Ich gehe dabei von einer Erdbestattung aus. Eine Urnenbestattung geht nicht, weil mein Zettelstapel mit mir verbrennen würde.  Oder aber jemand legt die Zettel auf meine Asche in der Urne, dafür wäre dann aber vermutlich die Urne zu klein. Und eine große Urne wäre zu teuer.  Oder man presst die Zettel zu einem Klumpen zusammen und legt den obenauf. Das aber sieht erstens nicht schön aus und macht zweitens die Zettel unleserlich.

Ich bin grundsätzlich dafür, auf nicht zusammenhängende Zettel zu schreiben. Es bereitet mir eine große Freude, diese Zettel hintereinander zu legen, nachdem ich sie der Reihe nach beschriftet habe. Häufig schreibe ich oben rechts eine Zahl hin. Dann habe ich ein Ordnungsprinzip. Immer mache ich das allerdings nicht. Ich kann nicht genau sagen, ob ich in Gedanken war oder in welcher geistigen und körperlichen Verfassung: wenn ich meine Taschen leere, fallen mir haufenweise Zettel entgegen, die ich versuche zu ordnen. Ohne Ziffern lege ich sie vor mich hin und versuche, eine Abfolge zu gestalten. Das Besondere an diesen ungeordneten Zetteln ist, dass ich versuche, meine Gedanken nachzuvollziehen, die ich auf den Zetteln niederlegen wollte. Ich gerate so auf eine ganz andere Ebene, auf der ich meine Gedanken reflektiere, anstatt sie einfach in Ruhe zu lassen. Mir fallen Worte auf, sie springen mich an, und ich versuche, sie mit anderen Worten auf weiteren Zetteln in Verbindung zu bringen.

Besteht hier eine Logik?, frage ich mich. Oder aber: Könnte ich eine herstellen? Es ergibt sich eine ganz neue Geschichte, die ich vorher so nicht beabsichtigt habe, die mir dann aber auch ganz gut gefällt. Ich nehme eine Schönheit in diesen Vorgängen wahr.

Diese Art von Schreibprozess ist so noch gar nicht propagiert worden.

Für mich ist das alltägliches Brot. Ich hasse Hefter und Ordner aller Art und bin froh, dass meine Zettel in meinen Taschen hausen dürfen und ich ein munteres Leben, umringt von meinen Zetteln, führen darf.

Eines Tages wird man mich wohl tot unter meinen Zetteln hervorziehen. Wäre das so schlimm?


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Kommentare zu diesem Text


 Mondscheinsonate (04.05.24, 11:46)
Uns beide! Gerade eine Vikings-Lieferung Kopierpapier bekommen... 3 Kisten. Ich bin ein Papiermensch!

 blauefrau meinte dazu am 15.05.24 um 10:03:
Aber nicht aus Papier!   Danke für deinen Komm und das *. Liebe Grüsse von der blauen Frau

 BeBa (05.05.24, 00:43)
Ein sher schöner Text und die Bilder, die du hier heraufbeschwörst, sind ebenfalls interessant. Begraben unter Zetteln ...  ;)


Das Besondere an diesen ungeordneten Zetteln ist, dass ich versuche, meine Gedanken nachzuvollziehen, die ich auf den Zetteln niederlegen wollte. Ich gerate so auf eine ganz andere Ebene, auf der ich meine Gedanken reflektiere, anstatt sie einfach in Ruhe zu lassen. Mir fallen Worte auf, sie springen mich an, und ich versuche, sie mit anderen Worten auf weiteren Zetteln in Verbindung zu bringen.



Tolle Technik, meine liebste Stelle.

LG
BeBa

 blauefrau antwortete darauf am 15.05.24 um 10:01:
Danke, Beba. Meinen Zetteln fühle ich mich besonders verbunden. Symbiotisch, sozusagen.

 Kardamom (05.05.24, 03:29)
Erdbestattung
Wer Würde schätzt, dem würde ich davon abraten. Aus Flächenmangel und Leichenüberfluss, werden die Gräber neu vergeben bzw. neu verkauft und geöffnet, bevor die Toten zerfallen sind. Die sind oftmals so wenig verwest, dass sie noch kenntlich sind. Und sie werden dann nicht gut behandelt, Totenruhe ist ihnen nicht gegönnt.

Die Version, Zettel mit verbrennen könnte mir besser gefallen.

 AchterZwerg (05.05.24, 06:30)
Liebe Blaufrau,
da ich eine ausgeprägte Schwäche fürs Schräge habe, gefallen mir deine Zettelwirtschaft und die daraus resultierenden Überlegungen super!
Auch die unter ihren Zetteln begrabene Verblichene - spätestens der nächste Frühjahrsputz der Hinterbliebenen wird sie ans trübe Licht des Tages bringen ...

 blauefrau schrieb daraufhin am 15.05.24 um 10:00:
Danke. Ich werde gern auch als Gerippe unter Zetteln hervorgeholt.

 Pensionstarifklempner (05.05.24, 21:39)
Hauptsache : Man verzettelt sich nicht. Zettel sind wohl der Ursprung von ZAPPEN ?
Gute Nacht

 AZU20 (07.05.24, 11:44)
Eine ähnlich Zettelwirtschaft pflege ich auch. LG
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