Mute

Erzählung

von  minze

Vielleicht bewundert Franzi Marlene, obwohl sie verlassen wurde. Seit vier Jahren erzählt sie mir von den Frauen, wie sie hilflos da stehen, weil sie die klassischen Entscheidungen getroffen haben mit dreißig und dann verlassen worden sind. Jetzt sind allerdings schon knappe sieben Jahre passiert, in denen diese Frauen wieder aufgestanden sind. Aus dem Verlorensein hat sich eine Form der Eigenständigkeit entwickelt. Marlene hat weiter das Verlorensein. Sie hat's auch weitergegeben an die Kinder, das eine ist depressiv, es hat die Trennung der Eltern in der frühen Pubertät mitgemacht. Jemand sagte mir, das bestätigen auch andere, ihre Therapeutin hatte geraten, sich vor der Pubertät zu trennen, sogar deutlich vorher. Ob es hilft, vielleicht. Die, die's mir sagte, hat zwei Töchter.

Marlene wirkt durch die Traurigkeit hindurch trotzig. Es spielt eine Rolle, dass keine andere Wahl bleibt. Das ändert nichts an der Energie, dem auf sich fokussiert sein müssen. Wegen den Kindern wird sie nicht mit neuen Partnern schlafen, auch nicht spontan. Die Kinder sind immer da und wenn sie nicht da sind, muss sie wachsam sein, dass sie wiederkommen. Sie macht viel Kunst, sie malt Sachen, die sie alleine machen muss. In der Vorausschau kann es ein verpflichtendes Gefägnis sein, in dem sie haftet, bis die Kinder durch alles durch sind, was halt kommt und sie in Verantwortung zieht als Mutter, bis zwanzig oder so, dann muss sie sehen, ob sie raus kommt, ob man abspringt.



Die Möglichkeiten Marlenes schließen Partner aus, eine Freiheit, die Franzi und ich uns vorstellen, ausloten. Franzi sagt, sie habe schon immer auf die Möglichkeit bestanden, das sagt sie jetzt ganz klar. Zum einen haben wir uns erst kennengelernt, als ihre Freundinnen frisch verlassen waren. Vielleicht war sie noch froh um ihren Unterschied mit Lutz. Was sie anders macht, warum es funktioniert. Doch haben wir uns auch angenähert, mittlerweile ergeben sich unsere Erzählungen, eine nach der anderen, eine ist die Vorlage für ein weiteres Aufdecken anderer Zweifel, Wirklichkeiten.



Sie will von mir wissen, wie ich mir die Affaire denke, sagt, es sei eigentlich die einzige Möglichkeit, zu bleiben. In dem Moment, als sie sagt, sie könne es nicht umsetzen, weil sie nicht der Typ dazu sei, misstraue ich ihrem Poller. So klar, wie sie es nie könne, muss sie schon eine Option haben. Einer Option abgesagt haben mit dem Wissen, dass es beim kommenden Mal anders ist. Von ihr aus. Ich weiß, dass sie nicht mehr fürchtet, Lutz würde was machen.

Wir schwimmen, ich hör auf, ihr zu sagen, wie leicht es geht, weil sie alles weiß, es aber nicht zugibt. Die Version von ihr, heute, nicht. Für mich ist die Vorstellung realistisch, nachvollziehbar, aber sie packt mich nicht, ich verstehe es, als ich nach fünf beschissenen Tagen sehr früh ins Bett gehe und eine traumvolle Nacht durchgehe. In einem kommt Franzi vorbei. Sie hat viele Sachen dabei, Vibratoren, Dildos, wir sind auch dementsprechend gekleidet, ich glaube, es ist auch ein Latexlaken auf dem Bett. Wir sind jetzt ganz offen, sie hat alles als Vorschläge dabei. Ich bin nicht von ihr angemacht, aber es ist, als hätte ich das erste Mal einen vollen Geldbeutel und bin in einem Süßigkeitenladen, in dem ich als Kind hineinwollte, immer ohne Geld. Als wäre es nun möglich, sich zu bedienen, wie es einem kommt. Und wir schauens uns an, honorieren auch, wie gut wir aussehen, zueinandergewandt liegen wir in der Mitte des Bettes, es ist weich und warm, wir bewegen uns auch gleitend auf dem Laken. Wenn wir uns ansehen und die verschiedenen Spielzeuge in den Händen hin und her geben, lachen wir alles heraus, die Anspannung, die zurückgehaltene Lust und auch sind wir uns automatisch wohl bewusst, dass wir träumen – ich zumindest, Franzi ist irgendwie geliehen – und als wir einen falschen Schwanz ausprobieren, tollen wir uns zur Seite und schließen die Augen. Es packt mich nicht, weil mich das befriedet.



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Kommentare zu diesem Text


 Redux (07.07.24, 19:08)
Eine typische Minze- Geschichte mit Wiedererkennungswert. Richtig gut.

 minze meinte dazu am 07.07.24 um 19:13:
Interessant wäre noch, was für dich der Wiedererkennungswert ist (:    ...danke dir! Freu mich

 Redux antwortete darauf am 07.07.24 um 19:15:
Dein Schreibstil.
So unaufgeregt und genau schildernd.

 minze schrieb daraufhin am 07.07.24 um 19:18:
Ah..das finde ich nun eine schöne Rückmeldung, denn ich habe ja durchaus eine krasse Dichte und auch Springen, deswegen beruhigt mich das als Außenfeedback. Danke
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