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Erzählung

von  minze

Wir unterhalten uns die meiste Zeit auf französisch, Maiwenn erzählt mir erst spät, warum ihr es wichtig ist, dass ihre Kinder auch deutsch lernen, gleichzeitig aber auch nur durch das Hochdeutsche die Integration in das kommunale Leben nicht einfach gegeben sei. Wenn sie sich nicht aktiv einbringen, dann sind die andern im Schwyzerdütsch unter sich und auch die Kleine kann sich nicht alleine adaptieren, es geschehe also nicht auf dem ganz natürlichen Wege nur durch das im Kindergarten Sein.


Es wundert mich, weil es bei Juliette anders ist, so meine ich es auf jeden Fall. Vielleicht weil der Schweizer Nachbar so viel im Kontakt mit den Kindern ist oder es hängt doch viel vom Temperament der Kinder ab. Sie sagt da erst beiläufig, dass sie ja auch immer deutsch gesprochen habe und es bei ihrer Arbeit eine Rolle spiele, jetzt, für Maiwenn ist es schon hochdeutsch, schon auch adaptiert, denn das könne sie jetzt: das mache sie mit den Kollegen, aber es habe sich erst entwickelt nach der Schule. Ich bin etwas neugierig, aber sie switcht nur in einem Nebensatz, in dem es um unsere Männer geht, kurz rein, ein Halbsatz, für mich ist es die Bestätigung meiner Vermutung: sie spricht dialektal. Am zweiten Abend, es ist Sonntag, sind wir übrig. Juliettes eigentlicher Geburtstag, zu dem wir hier sind, wurde gestern ausgiebig gefeiert, da haben die meisten Gäste alles gegeben.


 


Wir gehen in die Herberge, als ich schließlich schlafen und sie pinkeln möchte. Das Gebäude ist ziemlich hoch und weil es viele Stufen nach oben geht, wirkt es von innen auf mich höher als von außen. Das Treppenhaus ist breit und kalt: weiße marmorierte Stufen, abgeschlagene Wandpaneele aus Holz, sie gehen halbhoch an der Seite, ich sehe an den Rändern der Stufe abgeschwitzten, schwarzen Dreck und wundere mich seit der Ankunft am Samstag, dass es hier so zugig ist, dass das Gebäude drinnen kälter ist, als draußen. Die Außentemperatur passt sich ständig an, wärmt sich, kühlt sich ab, in der Regel wird es am Abend doch sehr kühl, am Tag regnet es häufig, aber immer wieder kommt ein warmer Wind. Kommen Sonnenstrahlen, lassen sich sofort alle zufrieden aufladen. Doch das Haus, glaube ich, hat sich gemerkt, dass der Sommer noch lange nicht da ist. Er ist geprägt vom Winter, von den Höhenmetern und alle paar Kilometer oder auch nur mit Blick nach außen wird man daran erinnert, dass dies hier meist ein Skiort ist.


 


Und deswegen bin ich jedes Mal etwas verloren oder zurückgeworfen auf diese Ausrichtung, wenn ich im Flur bin. Es weht ein kühler Wind, auch sitzt der nasse Geist im Nacken, wenn man schnell nach oben geht. Die Kinder ignorieren das, sie rennen das ganze Wochenende in den Socken hoch und runter. Auch in den Räumen, die unten als Spielzimmer gestaltet wurden, kommt keine Wärme hinein, sie sind aber immerzu am Bauen und Rennen und denken sich eine neue Geschichte aus, dass sie durch ihre eigenen Körper erhitzt sind. Wir sitzen und stehen unglaublich viel, wir Erwachsene laden uns nur genügsam draußen auf.


In diesem Flur müssten wir also auseinander gehen. Wenn ich nach oben gehe in das Herbergszimmer, wo die Kinder bereits im Hochbett schlafen, dann ist es dort nur scheinbar kühl, irgendwie wird das Zimmer ganz natürlich durch ihre Hitze und unser Zusammenfinden wieder aufgeladen. Auch die dünne Decke, von der ich etwas Klammes fürchte, schmiegt sich mir an, ich behalte die Socken an, kann sie aber bald abstreifen.


Maiwenn hält inne und erzählt, welche Diagnose sie hinter dem Verhalten ihres Kindes vermutet. Ich bin mir unsicher, ob sie mich als Lehrerin oder Mutter fragt oder als Mutter von Joscha. Sie fragt mich nicht, aber sie spricht mich auf Deutsch darauf an und ich reagiere entspannt.


Also so, dass ich sage, es könne ihr ja helfen als Erklärung, aber ihr Kind und sie hätten ja bereits eine gute Interaktion, einen Weg und wenn ihre Tochter sie wohlfühle, dann wäre es okay. Ich fühle es so und steige gleich nach meinem Kommentar aus und schau mich an und bin dann schon fremd mit meinen Worten. Fremd, weil ich sie gerne hören wollte und weil ich sie mir nicht sagen kann momentan, für meine Situation. Ich gehe dann eher in die Frage, was es ihr bringt, ihrer Meinung nach, sich mit ADHS zu beschäftigen. Was sie sich davon erhofft, vor allem, weil sie sofort nachlegt, sie würde auch bei sich eine unentdecktes Störungsbild vermuten. Etwas anders ausgeprägt, aber schon erklärend für viele Situationen in ihrem Leben. Hätte es dir geholfen, das so zu benennen? Welche Wege ergeben sich daraus? Oder hilft es dir jetzt?


Ich weiß nicht, wann eine von uns Parallelen zieht, wir reden eigentlich noch etwas über ihre kleine Tochter, aber sie fragt abrupt nach meinem Gewicht. Darf ich dich fragen, wie viel zu wiegst? Ihr Gesicht ist gespannt, befürchtet etwas, das allein macht mich offen. Ich will gerne sagen du hast nichts zu befürchten. Dann antworte ich 73, ich sage nicht, dass ich das selbst nicht weiß und schaue sie an. Das scheint okay, denn sie hat mich ja danach gefragt. Ich merke, dass die Antwort gut für sie ist, sie ist nicht direkt erleichtert, findet aber gleich den Anschluss, weiter zu sprechen. Zuvor meinte sie, wir sehen uns ähnlich.


Ihre älteste Tochter spreche sie immer häufiger auf ihre Figur an, mit einer Bewertung, einer Wortwahl, die sie sehr treffe. Sie will wissen, ob es bei mir so sei, wie es mir damit gehe. Aber wie zuvor bin ich nicht im Modus, ganz zu mir zu gehen, denke, je dois la rassurer.


Ich habe keine Jacke an und spüre den Zug im Treppenhaus trotzdem weniger. Dann spule ich vor ihr ab, wie ich das Verhältnis von mir zu der Figur sehe oder was ich fühl als Frau, was ich bereit bin, mir für Fragen zu stellen, was ich früher dachte oder was ich später gesehen habe über mich in verschiedenen Phasen. Wann ich mich wie gefühlt habe und was eine Rolle spielt. Wie fundamental die Geburten waren. Irgendwie meine ich, ich muss in schneller Zeit, bevor ich schlafen gehe und sie pinkeln, ein möglichst vollständiges Bekenntnis ablegen. Sie will alles wissen, ohne zu fragen, schaut mich still an und wenn sie spricht, wiederholt sie immer wieder, was die ältere Tochter sagt und auch was sie ihr voraussagen würde: über deren körperlichen Veränderungen ab 25 oder so. All das ist kein Anhaltspunkt für etwas, was sie jetzt selbst statuieren oder entwickeln wollte, kein Gedankenstrom, der uns weiterbringt. Eher die Betonung ihrer Hilflosigkeit, des fehlenden Ansatzes, einer, der hermüsste, weshalb wir hier stehen bleiben und sprechen trotz der Ungastlichkeit des Treppenhauses.


Schnell fass ich alles zusammen, kaum habe ich mich daran gewöhnt, deutsch zu sprechen, manchmal falle ich wieder ins Französische. Bevor ein Zweifel meiner fast kompletten Erzählung kommen kann, will ich Maiwenn trösten, glaube ich an das, was ich sage.


Wir fahren am Montag alle weiter, heute ist der letzte Abend. Das macht es brisant und den Moment bedeutend, am dem ich mich doch umdrehen werde, um schlafen zu gehen. Der letzte Moment ohne Kinder und Publikum, an dem man ausloten kann, was es noch zu sprechen gäbe, ob sich aus allen eingeladenen Gästen ein Kontakt ergibt, der etwas zündet.


Wir schweigen gleichzeitig, immer malwieder, vielleicht auch, weil das Gespräch asynchron geht. Ich liefere etwas, sie verharrt im Hören müssen und unsicher Sein, sie bleibt auf diesem Posten mit der Bitte auf mehr. Ich lass das zu, aber habe kaum Spiel, immer weniger. Kaum ein Haften an dem, was sie sich daraus nimmt. Was andockt und etwas zurückstößt.


Auch sind wir traurig: sie nickt, es macht mir Mut. Daraus ergibt sich noch nichts. Sie ist diejenige, die geht, es ergibt sich zwangsläufig aus unserem Vorhaben, sie sagt, sie müsse nun wirklich aufs Klo.


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