Pünktlich um 20.00 Uhr gingen die Lichter im Saal aus und die auf der Bühne – etwas schummrig, in Club-Atmosphäre – an. Das ist die Regel bei ihm, er läßt sein Publikum nicht warten.
Zunächst sah ich lediglich einen Haarschopf, der knapp hinter dem Flügel hervorragte. Das wird ja heiter!, dachte ich mir, wenn du ihn den ganzen Abend nur hören, aber nicht sehen kannst. Doch nach dem ersten Stück nahm er sich das Mikrophon und erhob sich. Erschreckend. Der unsichere Gang eines Greises auf spindeldürren Beinen, gezwungen, sich am Flügel festzuhalten. Er wechselte dann die Stellung öfters, aber sicherer wurden seine Bewegungen nicht.
Dem Gesang fehlte jede Vitalität, und mir wurde bewußt, wie wichtig seine Schärfe, sein Herausschreien mancher Zeilen in früheren Tagen für den intensiven Eindruck bei seinen Liedern waren. Davon ist nichts mehr da.
Der Freund, mit dem ich das Konzert besuchte, hatte bemerkenswerterweise einen ganz anderen Eindruck. Ihm gefiel die offensichtliche Freude am Aufritt, und er berichtete, er habe in dieser Hinsicht schon ganz andere Konzerte erlebt. Das Klavierspiel sei hervorragend gewesen, und außerdem hätten wir nicht zum 1000sten Male vorgetragene größte Erfolge zu hören bekommen, sondern weniger bekannte Lieder, auch neuere ... und vor allem das Lieblingslied meines Freundes: Desolation Row.
Das traf alles zu, und doch war selbst dieses Lied, ursprünglich eine zwölfminütige Ballade, stark verkürzt und vor allem kraftlos. Sie endete, auch diesmal, mit den Versen:
Yes, I received your letter yesterday
(About the time the door knob broke)
When you asked me how I was doing
Was that some kind of joke?
All these people that you mentioned
Yes I know them, they’re quite lame
I had to rearrange their faces
And give them all another name
Right now I can’t read too good
Don’t send me no more letters no
Not unless you mail them
From Desolation Row
Was für eine bis zur bewußten Vereinsamung gehende distanzierende Absage an einen Menschen ist dieses Lied gewesen! Nun klang es in meinen Ohren müde und harmlos, fast wie Phrasen oder Eigenzitate, Echos der Jugend: Damals hat Opa gesagt ...
Das Alter verschont niemanden. Wie so oft in den vergangenen 60 Jahren glaubte ich, durch die Lieder des acht Jahre Älteren in meine eigene Zukunft zu sehen.
Schön aber im Grunde, daß mein Freund dies ganz anders sah. Offenbar hat auch das Alter (mindestens) zwei Seiten.
Wir sind im Konzert Bob Dylans in Stuttgart gewesen. Er ist 83.