Am Vorabend des Faschismus - Kleiner Leitfaden zum Widerstand (II)
Text
von autoralexanderschwarz
Teil II (Störungen)
Machtergreifung
Sollte es einem faschistischen Regime gelingen, durch demokratische Wahlen an die Macht zu gelangen, beginnt es seine Herrschaft aus einer Position der Schwäche heraus. Durch Deutschlands Erfahrungen mit dem Totalitarismus verfügt der Staatsapparat über eine ganze Menge Sicherungen, die allesamt darauf abzielen, die Gewalt zu teilen und eine Zentralisation der Macht zu verhindern. Nicht nur die Rechtsprechung und das Parlament sondern auch die gesamte Exekutive sind an das Grundgesetz gebunden, für dessen Veränderung eine knappe Regierungsmehrheit nicht ausreicht. Somit verfügt das faschistische Regime über einen Apparat, den es zu Beginn seiner Herrschaft nicht vollständig kontrollieren kann und der ihm zumindest in Teilen sogar feindlich gegenübersteht. Auch ein Teil der Bevölkerung wird vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte (ebenso wie der Verfasser dieses Textes) das Schlimmste befürchten. Widerstand wird sich organisieren, Belegschaften werden streiken und große Demonstrationen werden den Rücktritt der Regierung fordern. Es wird zu Gewalt auf den Straßen kommen.
Zustimmung
Solange das faschistische Regime aber keinen Vorwand gefunden hat, um (so wie 1933) zumindest Teile der Verfassung außer Kraft zu setzen, ist es auf die Zustimmung einer Mehrheit seiner Bürger angewiesen. Solange die Justiz unabhängig und auf der Grundlage der Verfassung urteilt, wird es versuchen, allzu offensichtliche Rechtsverstöße zu vermeiden. In dieser Situation ist es sein vorrangiges Ziel, dass alles möglichst ungestört weiter funktioniert, dass die Fabriken produzieren und die Bürger konsumieren, dass der Müll geleert wird und die Kinder zur Schule gehen. Es braucht Zeit, um zunächst die vollständige Kontrolle über seinen Apparat zu bekommen, unliebsames Personal auszutauschen und Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die seine Macht ausbauen und zementieren. Nichts ist ihm daher wichtiger, als seine erste Legislaturperiode zu überstehen, auch allein schon deshalb, damit die Leute sagen können, dass der Faschismus am Ende ja doch gar nicht so schlimm sei. Darum wird es zunächst alles vermeiden, was Anhänger und Opportunisten verschrecken könnte. Es wird keine Kriege beginnen oder die Polizei oder das Militär auf die Bürger schießen lassen. Vielmehr wird es versuchen, seine Wahlversprechen einzulösen und seine Wut zunächst ausschließlich an eben jenen Minderheiten abreagieren, gegen die es bereits zuvor das Ressentiment geschürt hat. In der Außenpolitik wird es (da es noch schwach ist) um Konsens bemüht sein und zugleich Allianzen mit den anderen faschistischen Staaten in Europa schließen. Hierbei gilt ganz grundsätzlich: Je länger das faschistische Regime an der Macht ist, desto stärker wird es und daher gilt auch, dass man es (wie eine Infektion) so früh als möglich (und mit den richtigen Mitteln) bekämpfen muss.
Öffentlichkeit
Solange die Gewalten, die Presse und die Sozialen Netzwerke noch nicht vollständig unter Kontrolle des faschistischen Regimes sind, muss es überall dort, wo die Scheinwerfer der Öffentlichkeit auf es gerichtet sind, nach den Regeln spielen. Der neue Innenminister darf die Polizei nicht anweisen, einen unbequemen Journalisten einfach einzusperren (oder zu erschießen). Er benötigt eine Anklage, einen Prozess, einen Richter und damit eine Berichterstattung, ein öffentliches Interesse, eine Bühne für denjenigen, dessen man sich doch eigentlich still und leise entledigen wollte. Diese Schwäche versuchen faschistische Regime zumeist dadurch zu kompensieren, dass sie eine Organisation gründen oder unterstützen, die außerhalb des Systems und damit auch außerhalb der Öffentlichkeit agiert. Solche Organisationen werden formal unabhängig (und im Geheimen) aber immer im Sinne des faschistischen Regimes handeln, da sie von ihm aufgebaut und durchdrungen sein werden. Solche Organisationen bieten die Möglichkeit, dass dem unliebsamen Journalisten auf dem Weg zur Arbeit die Tasche geklaut oder die Beine gebrochen, sein Kind in der Schule ausgegrenzt oder bedroht, seine Frau sexuell belästigt oder gefeuert wird. Sie agieren außerhalb der Öffentlichkeit und sind nicht an die Zurückhaltung gebunden, die sich das faschistische Regime selbst zu diesem Zeitpunkt noch auferlegt hat. Während der bürgerliche Widerstand gegen das faschistische Regime als solches zu diesem Zeitpunkt noch mit friedlichen Mitteln, passivem Widerstand, zivilem Ungehorsam und ähnlichen Aktionen möglich ist, ist der Kampf gegen solche (das faschistische System unterstützende) Organisationen von Beginn an ein Kampf, der sich auch der Gewalt und paramilitärischer Mittel bedienen muss (von denen später noch die Rede sein wird).
bürgerlicher Widerstand
Da eines der Hauptanliegen des faschistischen Regimes darin besteht, dass alles möglichst effizient seinen Gang geht, ist es eines der Hauptanliegen des Widerstandes eben diese Effizienz zu stören. Hierfür bieten sich jedem Einzelnen unzählige Möglichkeiten, die gemeinsam (und kumulativ) dazu führen können, dass das faschistische Regime überfordert und damit handlungsunfähig ist. Hierbei ist darauf zu achten, dass der Widerstand idealerweise nicht als solcher (sondern als Nachlässigkeit, Ungenauigkeit, Schlamperei, Unaufmerksamkeit etc.) angesehen wird. Auch wenn das faschistische Regime in dieser Phase noch nicht mit aller Gewalt zurückschlagen kann, wird es sich sehr genau merken, wer öffentlichkeitswirksam gegen es opponiert hat. Darum gilt es genau abzuwägen, welche Auswirkungen die Störung haben kann und ob es möglich ist, die eigene Urheberschaft zu verschleiern. Daher scheint es nicht klug, im Blitzlichtgewitter auf eine Bühne zu stürmen und einen faschistischen Redner am Sprechen zu hindern. Besser ist, wenn im ganzen Stadtteil der Strom (und damit auch das Mikrofon des Redners) ausfällt. Der Arbeiter, dem aus Versehen sein Helm in die Maschine fällt (oder der an der falschen Stelle den Presslufthammer ansetzt), wird vielleicht ermahnt oder verspottet, aber er wird zumeist nicht gefeuert. Die Bedeutung (und Sinnhaftigkeit) solcher Störungen lässt sich dabei anhand der folgenden drei Indikatoren prüfen:
(1) Reichweite
Störungen der öffentlichen Ordnung haben nur dann einen Zweck, wenn sie von der Öffentlichkeit auch als solche wahrgenommen werden. Eine Reifenpanne auf einer Landstraße nötigt vielleicht ein oder zwei Autos zum Bremsen, aber hat darüber hinaus wenig Einfluss auf das politische Geschehen. Wem es hingegen gelingt, (aus Versehen) einen oder zwei zentrale Kreisverkehre zu blockieren, erzeugt damit ein Verkehrschaos, das potentiell für einige Stunden anhalten kann. Dieses aber macht nicht nur viele Wartende wütend, sondern erfordert zumindest auch den Einsatz von ein oder zwei Polizeiwagen, die an anderer Stelle fehlen, führt (je länger es dauert) wahrscheinlich zu ein oder zwei Anzeigen und Gerichtsprozessen und nötigt vielleicht gar einen Vertreter des faschistischen Regimes zu einem oder zwei zusätzlichen Pressestatements. Treten solche Vorfälle gehäuft auf, vermögen sie es, die Handlungsfähigkeit der Institutionen einzuschränken und schaffen damit zugleich Handlungsspielraum für andere Formen des Widerstandes, denn während die Polizei eine Streiterei beim blockierten Kreisverkehr schlichtet, können an anderer Stelle Plakate geklebt, Aktionen durchgeführt oder neue Störungen evoziert werden. Grundsätzlich gilt, dass eine Störung umso sinnvoller ist, je mehr Kräfte sie binden kann. Ebenso ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen von ihr betroffen sind, die dann anderen davon berichten können. Vorrangiges Ziel solcher Aktionen ist es, das noch junge faschistische Regime dahingehend zu diskreditieren, dass das Leben unter ihm schlechter sei, weil es ihm nicht gelingt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, die es seinen Untertanen vor der Wahl versprochen hat.
(2) Urheberschaft
Das faschistische Regime wird mit großer Wahrscheinlichkeit von Anfang an versuchen, jeglichen Widerstand als kriminellen Akt, als Verbrechen, als Terrorismus zu brandmarken. Darum ist es wichtig, dieses Narrativ zu bekämpfen und es auch nicht durch halbgaren Aktionismus zu bestätigen. Ein Publikum, das bereits eine längere Zeit (vielleicht gar im Regen) auf einen Redner wartet, wird all seine Ungeduld, seinen Zorn, seine unterdrückte Aktivität entladen, wenn nun ein Störer mit einem feindlichen Transparent über die Bühne läuft. Hier reicht schon ein Zuruf, damit die Fäuste fliegen und die prügelnden Faschisten werden sich dabei als Verteidiger und als Gemeinschaft fühlen. Noch abends im Bett werden sie sich wie ein Held vorkommen und mit ihren Gedanken um den feindlichen Terroristen kreisen, den man davon abgehalten hat, die Veranstaltung zu sabotieren. Eine solche Aktion führt nicht nur zu unangenehmen Konsequenzen für den Widerständler, sie hat auch nichts erreicht und vorhandene Narrative bestätigt. Wenn hingegen der Redner im Stau am Kreisverkehr steht, wird sich der Unmut der Wartenden schließlich gegen ihn selbst richten und während er der Presse ein Statement zu Kreisverkehren gibt, hat er vielleicht bereits ein oder zwei Anhänger verloren.
(3) Kombinatorik
Manche Störungen entfalten ihre volle Wirkung erst in Kombination mit anderen. Wer bereits zwei oder drei Stunden auf einen Redner gewartet hat und schließlich (falls es gar regnet) frierend und durchnässt zu seinem Auto geht, wird mit einer großen Wahrscheinlichkeit sehr wütend auf einen (oder sogar zwei) zerstochene Reifen reagieren. Er wird bereuen, dass er an diesem Abend zu dieser Veranstaltung gekommen ist und vielleicht gar beim nächsten Mal fehlen. Er wird seinen Zorn mit großer Wahrscheinlichkeit an anderer Stelle entladen und dadurch vielleicht gar eine neue Störung (oder einen Polizeieinsatz) hervorrufen.
Koordination
Auch wenn viele Störungen erst in Kombination ihre volle Wirkung entfalten, ist zu diesem Zeitpunkt davon abzusehen, große und komplexe Störungen zu organisieren, die eine umfangreichere Planung voraussetzen. Grundsätzlich gilt, dass die Gefahr für alle steigt, je mehr Mitwisser, Koordination, Absprache notwendig ist. Je häufiger solche Störungen auftreten, desto misstrauischer wird das faschistische Regime gegenüber den Verursachern sein und es wird Druck, Gewalt und Folter anwenden, um im Geheimen die Namen der Mitverschwörer zu erpressen. Wer dann aber schließlich in einem halbdunklen Raum sitzt und dem faschistischen Regime und seinen Schergen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, wird froh sein, dass es keinen Plan gab, den er verbergen muss und dass er offen und ehrlich alles über sich erzählen kann (denn das wissen sie ohnehin bereits). Er muss nichts als diesen einen Moment des Vorsatzes als Unachtsamkeit verschleiern und man wird ihm nicht nachweisen können, warum er den Blick in den Rückspiegel unterlassen hat. Wenn man nur oft genug sagt, dass es einem sehr leid tue, werden sie einen wohl schließlich gehen lassen.
Störungen der öffentlichen Ordnung müssen in diesem Sinne dezentral organisiert und durchgeführt werden. Zur Vorbereitung benötigt es häufig nichts als ein verändertes Bewusstsein. Man prüfe seine Umgebung, seinen Arbeitsplatz, seine täglichen Routinen und man schaue sich genau um, welche neuralgischen Punkte man im Verlauf des Tages passiert. Man halte sich bereit und möglichst unverdächtig, man warte auf den Moment, in dem eine kleine Handlung eine große Wirkung haben könnte.
Anmerkung von autoralexanderschwarz:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und
Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehende
Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und
die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen
das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Kommentare zu diesem Text
- antisemitisch, rassistisch
- stalinistisch
- ökofaschistisch
- herkunftselitär/vermögenselitär