Ein männlicher Briefmark – Ringelnatz-Programm (6)

Betrachtung

von  klausKuckuck

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Ein männlicher Briefmark erlebte

Was Schönes, bevor er klebte.

Er war von einer Prinzessin beleckt.

Da war die Liebe in ihm erweckt.

   

Er wollte sie wiederküssen,

Da hat er verreisen müssen.

So liebte er sie vergebens.

Das ist die Tragik des Lebens.



Ein Liebesbrief (vom Dezember 1930)


Von allen Seiten drängt ein drohend Grau

Uns zu. Die Luft will uns vergehen.

Ich aber kann des Himmels Blau,

Kann alles Trübe sonnvergoldet sehen.


Weil ich dich liebe, dich, du frohe Frau.

Mag sein, dass alles Böse sich

Vereinigt hat, uns breitzutreten.

Drei Rettungswege gibts: Zu beten,

Zu sterben und »Ich liebe dich!«


Und alle drei in gleicher Weise

Gewähren Ruhe, geben Mut.

Es ist wie holdes Sterben, wenn wir leise

Beten: »Ich liebe dich! Sei gut!«


Von allen Seiten drängt ein drohend Grau uns zu, die Luft will uns vergehen – dichtet Ringelnatz. Die Nazis marschieren auf. Der Dichter hat als Rettungsidee zunächst nicht viel mehr anzubieten als sein himmelblaues: Ich liebe dich … Ein anderer, der Kabarettist Werner Finck, war da schon besser gewappnet. Er findet Schutz vor den Aufmarschierern hinter der Ironie. 



Gang durch die Kuhherde


Nächtlich auf der dunklen Weide

Grasen viele große Kühe,

Kauen,

Schauen,

Tun mir nichts zu Leide,

Während ich mich durch sie durch bemühe.


Wenn sie wollten, könnten sie mich überrennen

Doch sie werden nicht dran denken,

Da sie

Quasi

Gar kein Denken kennen.

Außerdem sind sie nicht abzulenken. 


Und so geh ich lautlos durch die Herde

Auf dem Gras, daran sie kauen,

Eilig,

Weil ich

Plötzlich bange werde,

Dass sie meine schwache Position durchschauen.



Joachim Ringelnatz, dieses unermüdlich himmelblaue Verrücktheiten ausbrütende Stehaufmännchen – er findet aus seinen Albträumen, aus allem brutal auf ihn eindrängenden Grau immer dann heraus, wenn er sich mit seinem Erschrecken und seiner Angst in Gedichte flüchten kann. Seine Gedichte machen ihn unverwundbar, so scheint es ihm. Mit den spinnwebenzartenGebilden seiner Fantasie macht er sich für das Böse unangreifbar. Wie ein Kind, das sich die Augen zuhält und fest daran glaubt: Jetzt sieht mich keiner mehr.



Ein Rauch verweht.

Ein Wasser verrinnt.

Eine Zeit vergeht.

Eine neue beginnt.

Warum? Wozu?

Denk ich dein Fleisch hinweg, so bist

Du ein dünntrauriges Knochengerüst,

Allerschönstes Mädchen du.

Wer hat das Fragen aufgebracht?

Unsere Not!

Wer niemals fragte, wäre tot.

Doch kommts drauf an, wie jemand lacht.

Bist du aus schlimmem Traum erwacht,

Ist eine Postanweisung da,

Ein Telegramm, ein guter Brief –

Du atmest tief

Wie eine Ziehharmonika.



So einfach ist das, wenn man ein Dichter ist.


Das Ende des Programms folgt.




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